Film | Pleasure | |
Produktionsland | Schweden, Niederlande, Frankreich | |
Jahr | 2021 | |
Spielzeit | 109 Minuten | |
Regie | Ninja Thyberg | |
Hauptdarsteller*innen | Sofia Kappel, Revika Anne Reustle, Evelyn Claire | |
Bewertung |
Worum geht’s?
Linnéa ist 19 und in einer Kleinstadt in Schweden aufgewachsen. Jetzt zieht sie in die USA, um dort als Pornostar durchzustarten. Ihren Eltern hat sie gesagt, sie mache ein Praktikum, und dann alle Verbindungen nach Hause gekappt. „Ich liebe einfach Schwänze“, lautet ihre Motivation, unterlegt vom Hashtag #ProudSlut. Linnéa, die sich als Darstellerin den Namen Bella Cherry gibt, will sich ausprobieren, ihre Grenzen erfahren und erweitern, natürlich gerne auch Ruhm, Luxus und Bewunderung erleben. Sie kommt in einer WG mit anderen jungen Frauen aus der Sexindustrie unter, die der Newcomerin ein paar Tipps geben und ihr beim Start ins Pornobusiness zur Seite stehen. So kann Linnéa recht bald Fuß fassen und bekommt einige Rollen in kleineren Produktionen. Als sie bei einem Dreh jedoch gegen ihren Willen bei besonders harten Szenen mitmachen soll und sich misshandelt fühlt, aber keinen Rückhalt bei ihrem Manager findet, fasst sie einen Entschluss: Sie will in die oberste Liga der Pornostars aufsteigen und vom legendären Mark Spiegler unter Vertrag genommen werden, damit sie unantastbar wird. Das erfordert allerdings, dass sie Dinge mit sich machen lässt, die sie nie für möglich gehalten hätte – und bei denen sie bald hinterfragt, ob das alles wirklich noch ihrer Idee vom unbeschwerten Ausprobieren entspricht.
Das sagt shitesite:
Pleasure zeigt zu Beginn, wie die junge Schwedin in die USA einreist und dann ihre Arbeit als Pornodarstellerin aufnimmt. Es erfolgt ein juristischer Check, dann ein medizinischer Check. Alles läuft wie ein Verwaltungsakt ab, und natürlich ist die Symbolik dieser Bilder klar. Auch Penetration ist in dieser Industrie nichts anderes als ein Verwaltungsakt. Es geht um eine Ware und um Inszenierung, nicht um Sexualität, schon gar nicht um Lust. Bella Cherry soll nicht den Partner verführen und anmachen, mit dem sie gerade vor der Kamera den Liebesakt vollzieht. Sie soll die Kamera selbst verführen, also das dahinter stehende, männliche Publikum. Kennenlernen, Vorspiel, Stellungswechsel – all das passiert auf Kommando, mit vielen Unterbrechungen und Wiederholungen, bis die Illusion der immer willigen, immer verfügbaren jungen Frau im Kasten ist. Das ist alles, nur nicht das im Filmtitel suggerierte Vergnügen.
Regisseurin Ninja Thyberg, die zuvor bereits in einem Kurzfilm die Bedingungen der Pornoindustrie thematisiert hatte, nähert sich ihrem Thema mit erstaunlicher Neutralität und einem fast dokumentarischen Charakter, zu dem auch gehört, dass bis auf Hauptdarstellerin Sofia Kappel fast alle anderen hier tatsächlich im Porno-Business arbeiten, also Kameraleute, Darsteller*innen und Produzenten zu sehen sind, die sich quasi selbst spielen und für die nötige Authentizität sorgen. Dass sie alle bereitwillig mitgewirkt haben, unterstreicht die erstaunlichste Eigenschaft dieses Films: Pleasure entzaubert etwas, von dem ohnehin alle wissen, dass es keinen Zauber gibt. Wer sich nur halbwegs mit den Produktionsbedingungen von Sexfilmen auskennt, wird wissen, wie weit sie von der naiven Vorstellung „Ich ficke den ganzen Tag und werde auch noch dafür bezahlt“ entfernt sind. Niemand der hier Beteiligten würde behaupten, dass es in dieser Branche fair oder respektvoll zugeht. Trotzdem gelingt es in diesen knapp zwei Stunden, einen guten Teil davon zu enthüllen und vor allem die große Ambivalenz zwischen großer persönlicher Identifikation, sogar Fürsorge auf der einen Seite und erbarmungslosen Strukturen auf der anderen Seite offenzulegen.
Diese Ambivalenz betrifft auch Linnéa selbst. Sie beginnt naiv, begeistert und neugierig, am Ende ist sie desillusioniert, korrumpiert und berechnend. Sie feiert Erfolge und findet ein Teil von dem erfüllt, was sie sich erhofft hat, aber sie erlebt auch Enttäuschung und Einsamkeit. Besonders perfide dabei ist der wiederholte Hinweis, dass sie jederzeit aussteigen könnte, bis hin zu einer für sie wohl einigermaßen problemlos möglichen Rückkehr in eine beschauliche bürgerliche Existenz in Schweden. Sie entscheidet sich aber immer wieder dazu, weiterzumachen, noch extremere Hardcore-Drehs durchzuziehen und sich (auch über Social Media, dessen Bedeutung zur Selbstvermarktung für die Darstellerinnen hier sehr deutlich gezeigt wird) immer weiter zu entblößen und sich immer schamloser anzupreisen, getrieben vom eigenen Ehrgeiz.
Das Wörtchen „Cut“ steht dabei genau an der Grenze des Kontrasts der beiden Seiten der Realität dieser Branche: Läuft die Kamera, wird Bella Cherry benutzt, beschimpft, bespuckt, geschlagen und beinahe vergewaltigt. Thyberg zeigt das ebenso schonungslos wie explizit. Ist die Klappe gefallen, erhält Linnéa Zuspruch, Applaus, Trost, meist sogar von denselben Menschen, die wenige Sekunden zuvor noch an ihrer Erniedrigung beteiligt waren. Man kann in diesem Zuckerbrot-und-Peitsche-Prinzip tatsächlich so etwas wie Zusammenhalt innerhalb einer Filmcrew oder einer Agentur erkennen, ein außergewöhnliches Miteinander und eine erstaunliche Wärme. Aber eben auch einen knallharten Konkurrenzkampf mit absoluter Fixierung auf Effizienz. Auch hier setzt Pleasure, das mit vielen Bildern von Pools, Partys und Palmen, Clubs und Luxus-Schlafzimmern selbst die polierte Ästhetik der Porno-Fabriken nutzt, auf die Methode, kein Urteil abzugeben und nicht an den Pranger zu stellen, sondern bloß zu zeigen, wie die Menschen in dieser Branche ticken, damit sie sich schließlich selbst entlarven kann.
Nicht zuletzt wird in Pleasure das Für und Wider des Lebens unter Porno-Kolleginnen reflektiert. Schnell wird klar, wie wenig dieser knochenharte Beruf ohne weibliche Solidarität funktionieren würde. In der WG erlebt Linnéa zuerst, wie wenig Glamour in Wirklichkeit mit ihrem Traumjob verbunden ist: Das Essen ist schlecht, die Mitbewohnerin schnarcht, sie muss in aller Herrgottsfrühe aufstehen und nach ihren ersten Engagements reichlich Neid, Lästern und Intrigen erleben. Sie erfährt aber auch viel Unterstützung, von Make-Up-Tipps über Hintergrundwissen zur Seriosität einzelner Agenturen bis hin zum gemeinsamen Üben der besten Posen für einen Blowjob mit einer Banane als Penis-Attrappe. Es ist bezeichnend, dass es für diese weibliche Ambivalenz zwischen Schützenhilfe und Ellenbogen keine männliche Entsprechung gibt, denn von dieser Seite erlebt Linnéa stets nur Machtspielchen und Manipulation. Das ist die stärkste Botschaft von Pleasure: Das Vergnügen (und den Profit) in diesem Business haben ausschließlich die Männer.
Bestes Zitat:
„Es ist ein Abenteuer. Und da stehe ich drauf.“
Der Trailer zum Film.