Poliça – „When We Stay Alive“

Künstler Poliça

Polica When We Stay Alive Review Kritik
„When We Stay Alive“ handelt vom Sieg über die Vergangenheit.
Album When We Stay Alive
Label Memphis Industries
Erscheinungsjahr 2020
Bewertung

Was Poliça auch auf ihrem vierten Album ausmacht, zeigt schon das erste Stück der Platte. Driving ist digitale Musik, die auf wundersame Weise analog klingt, mit einem technisch verfremdeten Gesang, der auf wundersame Weise eindringlich klingt. Die zentrale Besonderheit des morgen erscheinenden When We Stay Alive ist die Entstehungsgeschichte dieser zehn Lieder. Sie beginnt mit einem Unfall und endet mit so etwas wie der Neuentdeckung der eigenen Indentität.

Am 28. Februar 2018 fiel Sängerin Channy Leaneagh vom Dach ihres Hauses, als sie dort Eis kratzen wollte. Sie trug schwere Wirbelsäulenverletzungen davon und musste während der Rehabilitation ein Korsett tragen, für mehrere Monate. Die Phase, in der sie sich kaum bewegen konnte, nutzte sie zur Arbeit an diesen Liedern, vor allem aber dazu, ihren Blick aufs Leben neu zu justieren. „Ohne es zu wissen, habe ich in der Vergangenheit in einem Trauma gelebt“, sagt sie. „Es geht hier nicht um Unterdrückung. Es geht darum, sich die Macht zurückzuerobern von der Vergangenheit, diese Macht in der Gegenwart zu bewahren und eine neue Geschichte für mich zu entwickeln.“

Tata ist die beste Entsprechung dieser Zielsetzung. Hier lassen sich zwar auch Strophe, Bridge und Refrain erkennen, das Stück scheint sich zugleich aber ständig weiterzuentwickeln, in immer neue Richtungen, statt dieses Standard-Schema bloß brav zu wiederholen. Integriert in diesen Ansatz werden Stärken, die man von der Band aus Minneapolis schon kennt. Be Again ist lautmalerisch und hypnotisch, am Anfang von Sea Without Blue stand wohl der Bass, der hier den Weg weist. Feel Life zeigt, wie dominant die Stimme von Channy Leaneagh sein kann, in Steady kann Produzent Ryan Olsen seine Stärken zeigen: Die Quellen der Musik sind in diesem Song weniger verschwommen und verschleiert, die einzelnen Töne und Bestandteile besser zu erkennen.

Dieser Aspekt verweist auf einen kleinen Widerspruch auf When We Stay Alive. Denn trotz der Bedeutung der Texte, die mitunter Bekenntnis-Charakter haben oder ein Sendungsbewusstsein erkennen lassen, dominiert hier doch eine häufig mysteriöse, ätherische Klangwelt. Schon zehn Sekunden, nachdem Leaneagh eine Zeile gesungen hat, weiß man nicht mehr, was der Wortlaut war, aber man spürt die Aussage – auch dann noch, wenn das Lied längst vorbei ist.

Blood Moon hätte in den 1980ern ebenso zu Cyndi Lauper gepasst wie zu Kate Bush, die Musik in Fold Up ist so etwas wie Soft-Techno, Little Threads hat eine sehr prominente Bass Drum, die man auf diesem Album ganz oft findet. Dass zusätzlich zur Könnerschaft im Sound auf When We Stay Alive  eine größere inhaltliche Tiefe bei Poliça zu finden ist, führt Forget Me Now noch einmal vor Augen: Das wäre in jedem Arrangement und in jedem Zeitalter ein sehr guter Song gewesen.

Ätherisch und mysteriös scheint auch die Zielsetzung beim Video zu Forget Me Now gewesen zu sein.

Im Februar gibt es Poliça live in Deutschland:

16.02.2020 Zoom (Frankfurt)

18.02.2020 Artheatre (Köln)

19.02.2020 Grünspan (Hamburg)

25.02.2020 Columbia Theater (Berlin)

29.02.2020 Hansa 39 (München)

Website von Poliça.

Michael Kraft

Michael Kraft ist Diplom-Journalist und lebt in Leipzig. Auf shitesite.de schreibt er seit 1999 als Hobby über Musik, Filme, Bücher und ein paar andere Dinge, die ihn (und vielleicht auch den Rest der Welt) interessieren.

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