Porches – „All Day Gentle Hold!“

Künstler*in Porches

Porches All Day Gentle Hold! Review Kritik
Sieht nach Punk aus, oder? Ist es auch fast.
Album All Day Gentle Hold!
Label Domino
Erscheinungsjahr 2021
Bewertung

Man kann sich All Day Gentle Hold! als so etwas wie das Punk-Album von Aaron Maine vorstellen. Es gibt hier zwar nach wie vor viele Elemente, die man im klassischen Oi-Drei-Akkorde-Punk niemals finden würde, wie Stimmeffekte und Drumcomputer. Trotzdem ist diese Platte direkter, auch härter und Gitarren-lastiger als alles, was der Mann aus New York bisher unter seinem Künstlernamen Porches gemacht hat.

Zu dieser Kategorisierung passen auch ein paar weitere Eckdaten: Maine hat die elf Songs in seinem Heimstudio in New York aufgenommen. Kein Lied ist länger als 3 Minuten, die durchschnittliche Spielzeit liegt bei rund 2:15 Minuten. Der Künstler, der als Teenager nach eigenen Angaben viel Pop-Punk und Grunge gehört hat, nennt die Platte eine Sammlung der „energetischsten und spontansten Momente, die ich zu den fesselndsten Songs zusammengefügt habe“.

Besonders deutlich wird dieser Wandel in der Herangehensweise und im Klanggewand beispielsweise in Swimming Big. Als der Gast-Gesang von Chloe Kohanski einsetzt, hat das Lied wirklich eine Ähnlichkeit mit Wheatus oder meinetwegen Avril Lavigne, auch wenn die niemals einen so komplexen Rhythmus erschaffen hätten, wie er hier in den anderen Teilen zu hören ist. Swarovski enthält die alte Botschaft von „The drugs don’t work“ (und dazu die sehr schöne Zeile „I know we ain’t shit / but we ain’t shit to each other“), vorangetrieben von einem Schlagzeug mit viel Punch. Auch in Watergetsinside trifft ein unerbittlicher Beat auf eine sehr schöne Melodie, der Album-Abschluss Comedown Song (Gunk) klingt hingegen wie eine betrübte Variante von Weezer.

Natürlich gibt es auf All Day Gentle Hold! aber auch genug Elemente, in denen man das bisherige Werk von Porches wiederekennen kann. Lately eröffnet das Album als Song über eine Beziehung, die auf der Kippe steht. Es ist nur noch die Frage, wer als erstes die Flucht ergreift, und sie wird formuliert mit Auto-Tune, viel Egozentrik und am Ende etwas Drama. In A Fashion hat eine sehr reizvolle Trägheit, auch das Spiel mit den Stimmeffekten funktioniert hier blendend, gemeinsam mit dem sehr lebendigen und einnehmenden Grab The Phone wird es das beste Lied der Platte.

Wenn man will, kann man in Back3School eine naive Begeisterung heraushören, in der ein neuer Lieblingssong ebenso aufregend sein kann wie das erste heimliche Knutschen. Der Beat und der Semi-Jangle der Gitarre von Okay gaukeln Heiterkeit vor, aber allein die Tatsache, dass dieses „Okay“ jeweils acht Mal wiederholt werden muss, unterstreicht seine Zerbrechlichkeit. I Miss That setzt auf das schon erwähnte Zusammenspiel von Drumcomputer und Stimmeffekten, trotzdem merkt man auch in diesem Track eine große Unmittelbarkeit: Zwischen der Gefühlswelt und dem, was auf den Tonträger gebannt wurde, gibt es fast keine Entfernung, keinen Unterschied, keine Verformung.

Das ist eine Stärke von Porches, auch diesmal: Es gibt keine Ironie, auch kein sonstiges Schutzschild. Aaron Maine kämpft mit der Liebe und dem Leben, und er lässt uns voll und ganz daran teilhaben. Zugleich ist die Idee, daraus sofort und spontan Songs zu machen, auch die Schwäche von All Day Gentle Hold! Die Stücke wirken manchmal nicht ausgegoren und deshalb wie eine Fingerübung. Nicht, weil es ihnen an Emotionalität fehlen würde, aber an Qualitätskontrolle.

Für das Video zu Back3School muss Porches sicher nachsitzen.

Porches im Interview beim Deutschlandfunk.

Michael Kraft

Michael Kraft ist Diplom-Journalist und lebt in Leipzig. Auf shitesite.de schreibt er seit 1999 als Hobby über Musik, Filme, Bücher und ein paar andere Dinge, die ihn (und vielleicht auch den Rest der Welt) interessieren.

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