Porches – „Ricky Music“

Künstler Porches

Porches Ricky Music Review Kritik
Porches betrachtet „Ricky Music“ als musikalisches Tagebuch.
Album Ricky Music
Label Domino
Erscheinungsjahr 2020
Bewertung

Do U Wanna heißt der dritte Song auf dieser morgen erscheinenden Platte. Aus der banalen/verlockenden Frage „Do you wanna dance?“ wird darin eine Sinnkrise, und das zeigt prototypisch, wie offenherzig und zugleich emotional vielfältig die Musik von Aaron Maine ist, der hinter diesem Namen steckt. „Ich mache seit 2009 Musik als Porches. Es ist eine ständige Erforschung aller Klänge oder Ideen, die ich in einem bestimmten Moment interessant finde“, sagt er. „Im Idealfall werden diese scheinbar unterschiedlichen Ideen im Laufe der Zeit innerhalb des Kontexts des Porches-Katalogs vereinheitlicht. Ein bisschen wie ein öffentliches Tagebuch. Wie bei jeder anderen Art von Tagebuch kannst du dich beim Öffnen eines alten Tagebuchs sehr unterschiedlich fühlen: stolz, beschämt, aufgeregt, eingeschüchtert, gedemütigt, verrückt, klug, idiotisch. Ich fühle all diese Dinge in Porches.“

Man kann das auch bei Ricky Music wieder bestätigt finden, das zwischen Dezember 2017 und Frühjahr 2019 entstanden ist und von Jacob Portrait (Alex G, Whitney, Unknown Mortal Orchestra) co-produziert wurde. „Diese Platte ist ein Bericht über die Schönheit, Verwirrung, Wut, Freude und Trauer, die ich in dieser Zeit erlebt habe. Ich glaube, ich war genauso verloren wie wild verliebt. In diesen Liedern suche ich manchmal verzweifelt nach Klarheit und manchmal habe ich genug Abstand, um mich selbst in einigen meiner dunkelsten Momente auszulachen. Darum geht es auf diesem Album.“

Patience (geschrieben mit Devault) eröffnet den Reigen mit einem E-Piano, später Gitarren und überraschend brachialen Drums, vor allem aber mit großer Sehnsucht, die das gesamte Album durchzieht. I Wanna Ride artikuliert wieder den Wunsch nach Zweisamkeit, der Sound würde zu den reduzierten Momenten der Pet Shop Boys passen. Madonna (mit Gastgesang von Mitski) ist das musikalisch aufwändigste Stück auf Ricky Music und behandelt die Situation, in der eine Person objektiv, von außen betrachtet, abwesend ist, aber subjektiv, in der inneren Gedankenwelt, stets präsent bleibt. Daraus erwächst ein Schmerz, der so groß ist, dass er sogar die Sichtbarkeit des Monds wie eine persönliche Beleidigung erscheinen lässt. Die Abkürzung im schrägen PFB steht für „Pretty fucking bad“, und das ist die Beschreibung seiner Situation, auch das experimentell-abstrakte I Can’t Even Think ist nicht frei von Selbstmitleid.

Das musikalische Spektrum ist noch etwas breiter als auf dem Vorgänger The House (2018) und reicht von Lounge-Jazz, der von einem Virus befallen worden ist (Fuck_3, mit Hintergrundgesang von Zsela und Dev Hynes), bis hin zu dezenter Rock-Ästhetik wie im sehr gelungenen Rangerover, in dem der Blood-Orange-Kumpel ebenfalls mitwirkt. Lipstick Song vereint eine Twin-Peaks-Gitarre mit tollem mehrstimmigen Gesang, es ist durchzogen von Fantasien, die sich materialisieren sollen durch pure Kraft der Gedanken oder durch pure Stärke der Erinnerung. Das innige Hair platzt geradezu vor Gefühl, auch wenn der Sound sehr reduziert bleibt. Das letzte Wort in der darin geäußerten Frage „Can you take me back?“ zerbricht beinahe, so gering ist die Hoffnung auf die gewünschte Antwort.

Dass hier Erlebnisse, Gefühle und nicht zuletzt künstlerische Ideen sehr ungefiltert ihren Ausdruck finden, macht erneut die Stärke von Porches aus. „Manchmal kann man Wörter aneinander reihen, die buchstäblich keinen Sinn ergeben, aber sie erfassen ein bestimmtes Gefühl so perfekt, dass es keine Rolle spielt. Du weißt, wann es sich richtig anfühlt, und du weißt, wann es sich falsch anfühlt. Ich will das, was ich mache, gerne in der Nähe meines Zuhauses behalten. Manchmal ist dieses Zuhause die Fantasie, manchmal ist es autobiografisch, aber es ist immer eine Möglichkeit, meine Erfahrungen auf eine Weise zu interpretieren, die mir vertraut ist“, sagt Aaron Maine. „Mein Ziel ist es, auf den Grund meiner selbst zu schwimmen und die schönsten und seltsamsten Dinge zu finden, die ich anbieten kann. Porches ist meine Liebesaffäre mit der Musik und der Welt. Musik hält mich am Leben und ich hoffe, dass diese Songs auch den Menschen dienen können, die sie hören.“

Die Musik ist für ihn also ein Fahrzeug, mit dem er die Welt und sich selbst erkunden kann, zugleich ein Medium, um die dabei gewonnenen Erkenntnisse zu teilen, was wohl gleichermaßen den Effekt haben soll, sich selbst davon zu befreien und anderen Menschen ein Angebot zum Verständnis damit zu machen. Der vielleicht erhellendste Moment auf Ricky Music ist deshalb Wrote Some Songs. Das Stück ist zwar bloß eine Skizze (mit Hintergrundgesang von Peter Maine), zeigt aber trotzdem am deutlichsten diese Funktion der Kunst für ihn und zugleich ein typisches Element des Albums: Hier herrscht eine Perspektive der Reue, der Enttäuschung oder des Bedauerns vor, aber sein Stolz bleibt dabei stets intakt.

Wie passend: Die Tanzpartnerin in Do U Wanna ist die Therapeutin.

Website von Porches.

Michael Kraft

Michael Kraft ist Diplom-Journalist und lebt in Leipzig. Auf shitesite.de schreibt er seit 1999 als Hobby über Musik, Filme, Bücher und ein paar andere Dinge, die ihn (und vielleicht auch den Rest der Welt) interessieren.

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