Power Plush Coping Fantasies

Power Plush – „Coping Fantasies“

Künstler*in Power Plush

Power Plush Coping Fantasies Review Kritik
Zart und sensibel zeigen sich Power Plush auf „Coping Fantasies“.
Album Coping Fantasies
Label Beton Klunker
Erscheinungsjahr 2023
Bewertung

„Let’s pave the way for an age of sensitivity“, singen Power Plush im letzten Lied dieses Albums. Ihr Utopia ist eine Gesellschaft, in der die Menschen aufeinander achten und sich gegenseitig trösten, zeigt der Text. Das passt nicht nur wunderbar zum Weltbild der Generation Z, zu der das Quartett aus Chemnitz gehört. Es passt auch bestens zum Sound des Debütalbums Coping Fantasies.

Die Band hat sich 2019 gegründet und spielt seit 2020 in ihrer heutigen Besetzung aus Maria (Gitarre, Gesang), Svenja (Gitarre, Gesang), Anja (Bass, Gesang) und Nino (Schlagzeug). Mit Shows im Vorprogramm von Kraftklub, Leoniden, den Beatsteaks, Tocotronic und Blond, vielen Festivalauftritten im Sommer 2022 sowie der EP Vomiting Emotions aus dem Herbst 2021 haben Power Plush für Aufsehen gesorgt und viele Fans gewonnen.

Das wichtigste Feature der Band ist auf dem von Mario Simic (Mavi Phoenix, Rikas) produzierten Coping Fantasies kaum zu überhören: Es ist der mehrstimmige Gesang der drei Frauen in der Band, die allesamt auch fürs Songwriting zuständig sind. Dass es hier keine Konkurrenz um Autorinnencredits oder den Platz vorne in der Bühnenmitte gibt, unterstreicht die Eigenschaft, die für das Verständnis dieser Band wohl genauso wichtig ist wie das Zusammenspiel der Stimmen: Hier geht es um Miteinander statt Konkurrenz, um Umarmungen statt Ellenbogen, um die unverhoffte Freude, Geistesverwandte gefunden zu haben, die genauso an der Welt da draußen zu knabbern haben wie man selbst.

„Life’s not supposed to be easy“, haben sie schließlich in Heavenly erkannt, das mit einem schwungvollen Refrain und sogar etwas Härte im Hintergrund (etwa durch die Fuzz-Gitarre) glänzt. Der Titel von All I See wird mit „is a giant mess“ fortgesetzt, und das beschreibt eine Überforderung, die nicht zur Kapitulation führt, aber erst einmal zum Rückzug. „I’ll be lost forever“, lautet die Prognose in Trashcan, das als Lösungsansatz dann ein radikales Aufräumen im eigenen Leben wählt, bei dem alles weg kann, was nicht zur Selbstliebe beiträgt. Freeze // Emergency thematisiert den Wechsel von Faulenzen zu Eskalieren zum Kater zum notgedrungenen Chillen und hat dabei all die schönen Dinge des Lebens im Hinterkopf, die man durch diesen Kreislauf verpasst, der Sound des Lieds wechselt entsprechend (und höchst elegant) zwischen verträumt, bestimmt und verzweifelt.

Dieser Weltschmerz ist natürlich bestens etabliert in (im weitesten Sinne) Indiemusik, er scheint auch beinahe zwangsläufig für junge Leute aus Sachsen, die sich für die Welt und ihre Mitmenschen interessieren. Vertont wird er bei Power Plush meist im Midtempo, wobei das Spektrum vom bewusst trägen She Changed bis zu Nothing Left To Lose reicht, das einen tollen Drive und den schönsten Refrain des Albums hat, großartig „emptiness“ auf „therapist“ und „so pissed“ reimt und am Ende sogar so etwas wie Ausgelassenheit erkennen lässt – ein bisschen wie Kate Nash nach einer Überdosis Zuckerwatte.

Es gibt viele schüchtern-schicke Gitarren, die beinahe Angst vor der Kraft des eigenen Verstärkers zu haben scheinen, und viel feines Gespür für wirkungsvolle Details, etwa die Wah-Wah-Gitarre oder den zwischendurch kurz Richtung House abbiegenden Bass in Girl He Toxic. Veredelt wird all das immer wieder vom Gesang, und das Rezept dafür ist so einfach wie effektiv: Jede der drei Stimmen ist schön, aber wenn Anja, Maria und Svenja zusammen singen, sind sie himmlisch.

Zu den Höhepunkten gehört Butterfly, das so luftig, niedlich und zerbrechlich klingt wie sein Titel. Die Ausgangssituation ist „Between love and lust / between affection and confusion“ angesiedelt, das Ergebnis lässt an die Cardigans denken – auch, weil hier nicht nur Melancholie erkennbar wird, sondern auch ein bisschen Verruchtheit. Goodbye erzählt mit einem wundervollen Spannungsbogen vom Ende einer Beziehung, das schmerzhaft ist und sich dennoch richtig anfühlt („An end that gives us peace / it’s closure that we need / to save what’s left of us“). Auch Leave Me Alone lässt aufhorchen, mit einem Sound und auch einem Thema, das gut zu den Muncie Girls passen würde, denn Power Plush artikulieren hier den klaren Hinweis: Ich will nicht nett sein müssen oder mich sonstwie anpassen, um nachts auf dem Heimweg nicht belästigt oder vergewaltigt zu werden. Ich will einfach ich sein können.

Da ist wieder der Wunsch nach Anerkennung der eigenen Bedürfnisse, nach Geborgenheit und nicht zuletzt nach einem respektvollen Miteinander, der Coping Fantasies prägt. Es scheint ganz so, als hätten Power Plush ein solches Schutzgebiet innerhalb der weiterhin erstaunlich lebendigen Szene in Chemnitz (das Album erscheint bei der von Blond gegründeten Plattenfirma) und innerhalb ihrer eigenen Band gefunden. Es ist eine schöne Sache, dass sie uns zum Dabeisein und Mitmachen einladen.

Der Safe Space im Video von Utopia ist eine Zeltburg.

Website von Power Plush.

Michael Kraft

Michael Kraft ist Diplom-Journalist und lebt in Leipzig. Auf shitesite.de schreibt er seit 1999 als Hobby über Musik, Filme, Bücher und ein paar andere Dinge, die ihn (und vielleicht auch den Rest der Welt) interessieren.

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