Precious

Film Precious

Precious Filmkritik Review
Precious (Gabourey Sidibe) fliegt von der Schule und landet in einem Förderprogramm.
Produktionsland USA
Jahr 2009
Spielzeit 110 Minuten
Regie Lee Daniels
Hauptdarsteller Gabourey Sidibe, Mo’Nique, Paula Patton, Mariah Carey, Lenny Kravitz
Bewertung

Worum geht’s?

Claireece ist 16, geht zur High School und erwartet bereits ihr zweites Kind. Als die Schuldirektorin davon Wind bekommt und die Schwangerschaft als Ergebnis eines unvernünftigen Teenager-Abenteuers betrachtet, fliegt das Mädchen, das von allen nur Precious genannt wird, von der Schule, obwohl sie eigentlich recht gute Noten hat, sich im Unterricht brav verhält und sogar ein besonderes mathematisches Talent zu haben scheint. Auch deshalb kommt sie über ein Stipendium in einem Förderprogramm unter, das sie auf dem Weg zum Schulabschluss unterstützten und ihr vielleicht sogar ein Studium ermöglichen sollen. In der neuen Klasse erlebt sie erstmals Geborgenheit und Anerkennung und kann sich der Lehrerin und ihren Mitschülerinnen offenbaren: Ihre Mutter erschwindelt sich Sozialhilfe, auch für das Baby mit Down-Syndrom, das Precious bereits zur Welt gebracht hat, um das sich aber die Großmutter kümmern muss. Der Vater dieses Kindes, ebenso wie des Babys, das sie dann gesund zur Welt bringt, ist nicht etwa ein Mitschüler, sondern ihr eigener Vater, der sie regelmäßig vergewaltigt.

Das sagt shitesite:

„Du bist dumm geboren. Kein Schwein braucht dich. Und kein Schwein will dich.“ Solche Sätze hört Precious den ganzen Tag von ihrer Mutter. Sie wird schikaniert bis hin zum Sadismus von dieser vollkommen resignierten, passiven und verbitterten Frau. Ihre Tochter zu erniedrigen ist für sie offensichtlich die einzige Gelegenheit, sich mächtig zu fühlen. Die Möglichkeit, irgendjemand könne es gut mit ihr meinen, liegt völlig außerhalb ihrer Vorstellungskraft.

Diese Figur, grandios gespielt von Mo’Nique, ist in ihrer Verweigerung aller Attribute, die gemeinhin für Mütterlichkeit stehen, ein Schock. Sie verkörpert damit am besten die Härte und Schonungslosigkeit, die zu den großen Stärken von Precious gehört. Hier findet in den Dialogen und Bildern eine Sprache und eine Welt den Weg auf die Leinwand, die man dort sonst kaum sieht und die wir auch jenseits des Kinos allzu gerne ausblenden (bezeichnenderweise stellt Precious fest, als sie erstmals in der Gegenwart von eloquenten Menschen willkommen ist: „Die reden wie Fernsehsender, die ich nicht gucke“). Diese Welt ist aber kein fiktives Anti-Hollywood-Paralleluniversum, sondern sehr real, im Jahr 1987, in dem die Handlung angesiedelt ist, ebenso wie heute. Nicht nur die Familie und das Zuhause dieser jungen Frau sind erbarmungslos kalt, ihre ganze Welt ist es. Sie kann dem nur durch Tagträume entfliehen, statt der bitteren Realität sieht sie dann Fantasien vom Leben als Kinostar, Sängerin, Fotomodell oder einfach als wertgeschätztes Mitglied in einer Kirchengemeinde vor sich.

Der zweite Geniestreich in diesem Film ist, dass er nicht den erwartbaren Linien des Melodramas folgt, als sich für die Schülerin unverhofft die Möglichkeit bietet, diese Träume zumindest ein bisschen zur Wirklichkeit machen zu können. Als sie in das Förderprogramm und die neue Klasse kommt, erlebt Precious die Geborgenheit in einer Gemeinschaft verschiedener Außenseiter. Sie erfährt die motivierende Kraft der Bildung, die sie aufblühen lässt. Die junge Frau wird nicht nur besser in der Schule, sondern gewinnt auch einen eigenständigen Blick auf die Welt, einschließlich der Bewertung der skandalösen Situation in ihrem Zuhause und der Beziehung zu ihrer Mutter. Regisseur Lee Daniels erliegt in seiner Verfilmung des Debütromans Push von Sapphire aber nicht der Versuchung, daraus eine Geschichte von Zusammenhalt und Emanzipation wie im Breakfast Club oder Club der toten Dichter oder gar einen Bildungsroman mit Happy End zu machen. Sein Film bleibt eine recht nüchterne Sozialstudie, der Blick bleibt klar auf die Hauptfigur gerichtet und die Tatsache, dass sie unterprivilegiert ist, bleibt so unumstößlich wie ihre Schwangerschaft oder ihre Aids-Erkrankung, von der sie gegen Ende des Films erfährt.

Auch darin liegt die moralische Kraft von Precious: Jeder Zuschauer wird erkennen, dass die Hindernisse und Beharrungskräfte viel größer sind als die kleine Prise an Hoffnung, die es hier auch gibt. Denn das Schicksal von Precious ist natürlich kein individuelles. Egal, wie motiviert sie sein wird oder wie viel Unterstützung sie erfährt: Die Einschränkungen, die ihr das Leben schwer machen, sind systemische. Es ist klar, dass die Verwirklichung des American Dream für sie als schwarze, stark übergewichtige Frau aus der Unterschicht noch unwahrscheinlicher ist als ohnehin schon. So sehr sie von ihrer eigenen Familie vernachlässigt und missbraucht wurde, so sehr hat sie auch unsere Gesellschaft im Stich gelassen.

Bestes Zitat:

„Manche Leute haben so ein Licht um sich herum und das leuchtet dann für andere. Ich glaube, manche von denen waren früher in einem Tunnel. Und in dem Tunnel war vielleicht das einzige Licht, das sie hatten, das in ihnen drin. Und dann, obwohl sie schon lange aus dem Tunnel raus sind, leuchten sie immer noch für die anderen.“

Der Trailer zum Film.

Michael Kraft

Michael Kraft ist Diplom-Journalist und lebt in Leipzig. Auf shitesite.de schreibt er seit 1999 als Hobby über Musik, Filme, Bücher und ein paar andere Dinge, die ihn (und vielleicht auch den Rest der Welt) interessieren.

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