Quasi Breaking The Balls Of History

Quasi – „Breaking The Balls Of History“

Künstler*in Quasi

Quasi Breaking The Balls Of History Review Kritik
„Breaking The Balls Of History“ ist die erste Quasi-Platte seit zehn Jahren.
Album Breaking The Balls Of History
Label Sub Pop
Erscheinungsjahr 2023
Bewertung

Man nennt das wohl: Impact. Als Janet Weiss im August 2019 zuhause in Portland war, krachte ein Auto in ihr Haus. Bei dem Unfall brach sie sich beide Beine und das Schlüsselbein. Das war natürlich ein Schock für die ehemalige Schlagzeugerin von Sleater-Kinney, und dessen Wirkung wurde, als sie wieder genesen war, noch von der Covid-19-Pandemie verstärkt. „Es bringt nichts mehr, in die Zukunft zu investieren“, lautete ihre Schlussfolgerung. „Die Zukunft ist jetzt. Wenn du etwa tun willst, dann tue es jetzt. Schiebe es nicht auf. All diese Dinge merkt man erst, wenn es schon fast zu spät ist. Alles könnte in einer Sekunde weg sein.“

Bezogen auf Quasi, ihre gemeinsame Band mit Sam Coomes, bedeutete das: Es wurde höchste Zeit, einen Nachfolger für Mole City (2013) vorzulegen. Sie spielten jeden Nachmittag zusammen in ihrem Proberaum und packten in die zwölf Songs von Breaking The Balls Of History ihre Verwunderung über all das, was draußen in der Welt passierte. „Wenn man jünger ist und in einer Band spielt, macht man Platten, weil man das eben so macht. Aber dieses Mal fühlte sich die ganze Sache auf eine Art und Weise zielgerichtet an, auch weil die Umstände so einzigartig waren“, sagt Sam Coomes. Im Ergebnis klingen sie so frisch, kraftvoll und inspiriert, wie es für eine Band eigentlich gar nicht erlaubt sein dürfte, die seit 30 Jahren existiert und aus mittlerweile geschiedenen Eheleuten besteht.

Zwei Aspekte prägen das zehnte Album von Quasi. Erstens hört man dem mit John Goodmanson innerhalb von fünf Tagen in Seattle aufgenommenen Breaking The Balls Of History die Freude daran an, wieder gemeinsam Musik machen zu können. Zweitens ist hier in vielen Momenten eine elementare Erschütterung zu spüren, die wohl mindestens dem Knall des Moments entspricht, wenn ein Auto eine Hauswand durchbricht. Dinge, die man immer für selbstverständlich gehalten hat, sind plötzlich ins Wanken geraten. Und das führt dazu, dass Weiss und Coomes sowohl vieles hinterfragen als auch sich gegenseitig ein paar Basics versichern wollen. Selbst die Naturgesetze und die Mathematik sind von der Verunsicherung betroffen. In Gravity fließt Wasser plötzlich nach oben, ein Ballon aus Blei kann fliegen, Menschen laufen über Wasser, und zwar in Schuhen aus Beton. „What exactly is a human being?“, lautet die Frage im aggressiven und mit atonalen Elementen spielenden Rotten Wrock, „Two plus two can equal five“ eine der Thesen des Songs.

Die Musik aus Drums, Gitarren, Bass und Orgel entspricht vom ersten Ton des Albums an dieser Stimmung aus Verwunderung, Trotz und Empörung. Last Long Laugh eröffnet die Platte, als wolle eine Trommel zum Schafott führen, dann gesellen sich eine schwere Orgel, eine Monster-Gitarre, ein ekstatischer Rhythmus und die zweite Stimme hinzu. Immer wieder auf Breaking The Balls Of History liefert sich das Schlagzeug packende Duelle mit den anderen Instrumenten in einer Disziplin, die „Ausgelassenheit“ heißt, etwa im Titelsong, der sich als 70-sekündiger Wutausbruch erweist.

Dazu kommen plakative Zeilen, die mit wenigen Worten verdeutlichen, wie grundsätzlich die Skepsis mittlerweile ist, mit der Quasi der Welt begegnen. „We’re a million miles apart now“ und „Fuck the whole human race“, heißt es in Back In Your Tree, das wohl auch die Unfähigkeit thematisiert, eine funktionierende Gesellschaft bilden zu können, und darauf unter anderem mit einem Schrei von Sam Coomes reagiert, in dem all die Kraft und all der Weltekel von Kurt Cobain stecken. „Uncle Sam / sick of men“, propagiert Riots & Jokes, „Thoughts and prayers won’t get you there / but I guess they make a pretty pair“, hat Nowheresville erkannt, „Black coffee / no future“, lautet die Situation in Doomscrollers, das beispielsweise Homeschooling, TikTok und Klimawandel-Leugner ins Visier nimmt und mit seinem Refrain zeigt, dass Quasi durchaus auch elegant sein können.

Der beste Song der Platte wird Queen Of Ears dank der sehr prominenten Orgel, die an The Blood Arm denken lässt, und des tollen Harmoniegesangs. Zu den musikalisch reizvollsten Momenten gehören auch das bewusst sperrige Shitty Is Pretty, das sphärische und im Text vor allem aus dem Wortpaar „Neither / Nor“ bestehende Inbetweenness und die Ballade The Losers Win als Abschluss des Albums mit Musik wie von einem Jahrmarkt, auf dem ein Fluch liegt. Das Schöne an Quasi und letztlich der Impact der Platte ist: Man findet hier nicht nur Trost in der Erkenntnis, dass auch andere Menschen hochgradig irritiert sind beim Blick auf die Welt, sondern auch ein Ventil für all diese Sorgen. Auch für Janet Weiss hat das nach dem doppelten Schock mit schwerer Verletzung und Pandemie bestens funktioniert. „Es fühlte sich so lebensbejahend an“, sagt sie über die Arbeit an Breaking The Balls Of History. „Ich kann in der Musik hören, wie glücklich ich bin, dort zu sein und wieder auf diesem Niveau zu spielen. Ich darf existieren.“

Das Video zu Doomscrollers ist herrlich psychedelisch.

Quasi bei Twitter.

Michael Kraft

Michael Kraft ist Diplom-Journalist und lebt in Leipzig. Auf shitesite.de schreibt er seit 1999 als Hobby über Musik, Filme, Bücher und ein paar andere Dinge, die ihn (und vielleicht auch den Rest der Welt) interessieren.

Alle Beiträge ansehen von Michael Kraft →

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.