Wenn es nach Ralf Rangnick geht, dann sollte man sich das heutige Datum sehr genau merken. Genauer gesagt: sogar die exakte Uhrzeit. „Um 13 Uhr beginnt hier eine neue Zeitrechnung“, kündigt der Sportdirektor von RB Leipzig bei seiner ersten Pressekonferenz an.
Er hat mit Alexander Zorniger (bisher Sonnenhof Großaspach) einen neuen Trainer für den Viertligisten mitgebracht, und als Überraschung mit Ex-Stabhochspringer Tim Lobinger auch noch einen sehr prominenten Athletiktrainer. Und er hat Großes vor in Leipzig. „Red Bull verleiht Flügel – das soll auch für unsere Spielweise gelten. Wir wollen Jugendlichkeit, Dynamik und Abenteuerlust ausstrahlen“, kündigt er an. Das 45.000 Fans fassende Red Bull Arena, in der letzten Saison bei Punktspielen im Schnitt von gut 7000 Zuschauern besucht, könne man „regelmäßig vollkriegen“, glaubt er. Und der neue Coach legt die Messlatte an seine Arbeit ebenfalls gleich am ersten Arbeitstag so hoch wie möglich: „Unser Anspruch muss sein, dass wir in diesem Jahr aufsteigen“, sagt der 44-jährige Zorniger.
Das sind Worte, die man gerne hört in Leipzig. Die Stadt, in der jahrzehntelang das größte Stadion Deutschlands stand, in der einst der DFB gegründet wurde und die den ersten deutschen Fußballmeister stellte, lechzt seit Jahren nach hochklassigem Fußball. Als sich Red Bull vor drei Jahren beim damals fünftklassigen Vorort-Club SSV Markranstädt eingekauft hat und den Verein in RasenBallsport Leipzig umbenannte, schien man diesem Ziel so nahe wie schon lange nicht mehr. Doch entscheidend voran ging es seither nicht.
Mit der Finanzkraft des Energy-Drink-Riesen im Rücken holte man Ex-Nationalspieler wie Ingo Hertzsch oder Pekka Lagerblom nach Leipzig und baute für 30 Millionen Euro ein hochmodernes Trainingsgelände. Leipzigs aktuell erfolgreichster Fußballclub spielt trotzdem nach wie vor bloß in der vierten Liga, in der neuen Saison wieder gemeinsam mit dem Lokalrivalen Lok, der sich aus der Oberliga nach oben gekämpft hat.
Kontinuität ist kein Selbstzweck
Das große Versprechen vom Bundesliga-Fußball wird bis auf Weiteres unerfüllt bleiben, und entsprechend skeptisch bis ungeduldig sind Fans und Öffentlichkeit geworden. Zorniger ist in drei Jahren schon der dritte Trainer, der sich bei RB Leipzig am Aufstieg in die dritte Liga versucht. Clubchef Florian Müller will aber nichts davon wissen, dass der Trainerstuhl ein Schleudersitz ist: „Kontinuität stellt keinen Wert an sich dar, sondern erst im Zusammenhang mit Erfolg“, stellt er klar.
Die neuen Verantwortlichen im sportlichen Bereich finden ebenfalls deutliche Worte für die Enttäuschungen der beiden letzten Spielzeiten. „Wenn die Vergangenheit gut gewesen wäre, wären wir alle nicht hier. Man hat mit dem Etat eines richtig guten Zweitligisten zweimal in Folge nicht den Aufstieg von der vierten in die dritte Liga geschafft“, sagt Rangnick. Zorniger möchte nicht über die Arbeit seines Vorgängers Peter Pacult urteilen, sagt aber doch: „Irgendetwas kann nicht gestimmt haben, sonst wären wir mit dem Team in der dritten Liga. Die letzten zwei, drei, vier Prozent haben vielleicht gefehlt.“ Damit das nicht mehr passiert, soll eventuell ein Sportpsychologe eingestellt werden.
Auch sonst wird fleißig umgebaut, wieder einmal. Der derzeit etwa 30 Spieler umfassende Kader soll auf etwa 24 Kicker reduziert werden. Das Durchschnittsalter von aktuell 28,5 Jahren soll deutlich sinken. „Wir wollen Spieler, für die es der nächste logische Karriereschritt ist, bei uns zu spielen, die erfolgshungrig sind und sich entwickeln wollen“, erläutert Rangnick das Anforderungsprofil. Neben Lobinger als neuem Mitglied des Trainerteams wird es auch alle 6 bis 8 Wochen Workshops mit den Verantwortlichen der anderen Red-Bull-Teams geben.
Zorniger kann auch hemdsärmelig
„Alle, die gut sind, motiviert sind, und bereit sind, die Reise mitzumachen, sind willkommen“, umschreibt Rangnick die Formel für das Großreinemachen. Auch sonst ist er versucht, gute Stimmung, Optimismus und Professionalität zu verbreiten. Wenn er vom „brutal schnellen Umschaltspiel“ spricht, das die EM-Spiele prägte, oder Zorniger seine Spielphilosophie kurz als „4-4-2 mit aggressiver Balleroberung“ und Grundwerten wie „Leidenschaft, Respekt, Miteinander“ umschreibt, dann kann man fast gar nicht anders, als an den Siegeszug von RB Leipzig glauben, der tatsächlich genau in diesem Moment beginnt.
Rangnick ist einer, der womöglich mit Stolz den ursprünglich hämisch gemeinten Spitznamen des „Fußball-Professors“ trägt. Zorniger, der den Job in Leipzig als „Riesen-Möglichkeit“ bezeichnet, machte neben Erfolgen mit seinem Viertliga-Team Sonnenhof Großaspach schon als ambitionierter Co-Trainer beim VfB Stuttgart und zuletzt als Jahrgangsbester des Lehrgangs für DFB-Fußballlehrer auf sich aufmerksam. Der Raum für die Pressekonferenz in Leipzig ist luxuriöser als der beim FC Bayern, und die leeren Stadionränge sind definitiv ebenfalls bereit für etwas deutlich Größeres.
Das Problem ist nur: RB Leipzig hat in den vergangenen Jahren den besten Beweis dafür angetreten, dass sich der Erfolg im Fußball nicht planen und auch nicht kaufen lässt. Dass nun zwei Männer an der Spitze stehen, deren Konzeption wie am Reißbrett entworfen wirkt, könnte da durchaus stutzig machen. An Fachkompetenz im Umfeld hat es bei den Roten Bullen auch in den vergangenen Jahren nicht gemangelt, sondern eher an Herzblut, Killerinstinkt und dem letzten Fünkchen Professionalität auf dem grünen Rasen.
Die Hoffnung, dass diesmal alles besser wird, gründet sich auf den neuen Coach, der bei seiner Antrittspressekonferenz zumindest andeutet, dass er bei aller Expertise auch hemdsärmelig sein kann. „Im Fußball darf man nicht lange rumreden, sondern muss zugreifen. Zugreifen und anpacken“, sagt er. Und als die Frage auftaucht, ob ihm Rangnick nicht allzu sehr ins Handwerk pfuschen könnte, stellt er klar, dass er darin kein Problem sieht. Er wäre „ein Volltrottel“, wenn er den Rat eines solchen Mannes in den Wind schlagen würde.
Noch mehr gründet das Fundament des neuen Zeitalters in Leipzig aber auf etwas anderem: Hoffenheim. Dort trat Rangnick im Juli 2006 seinen Dienst an. Damals war Hoffenheim Drittligist, ein Dorfklub mit viel Geld, wenig Infrastruktur und ohne Image. Zweieinhalb Jahre später zwang die Mannschaft im Bundesliga-Spitzenspiel beinahe den FC Bayern in die Knie. „Ich war damals im Urlaub auf Mauritius, und nach diesem Spiel kannte jeder dort Hoffenheim“, erinnert sich Rangnick. Genau davon träumt man auch in Sachsen, und genau deshalb hat ihn Red-Bull-Chef Dietrich Mateschitz wohl geholt. Rangnick ist der einzige Fußball-Fachmann in Deutschland, der das geschafft hat, woran man in Leipzig bisher scheiterte: das erfolgreiche Umsetzen eines Masterplans bis zur Bundesliga.
Rangnick strotzt vor Tatendrang
Rangnick will den Club genau wie damals „als lernendes System“ begreifen. Aus seiner Tätigkeit in Hoffenheim zieht er auch die Zuversicht, in seiner neuen Funktion als Sportdirektor erfolgreich arbeiten zu können. Er sei zwar bis zum Anruf von Mateschitz vor zwei Wochen fest davon ausgegangen, nach seiner Burnout-Erkrankung als Trainer wieder ins Fußballgeschäft einzusteigen. Trotzdem traut er sich das neue Aufgabengebiet ohne Einschränkung zu: „Ich hatte auch in Hoffenheim mit vielem zu tun, was nicht den Trainerjob betraf.“
Nach der Pause scheint Rangnick vor Tatendrang zu strotzen. Nach ein paar Tagen im Dienst hat er bereits Red Bull Salzburg und RB Leipzig auf den Kopf gestellt. Die Trainerposten sind besetzt, etliche Transfers und andere Personalien werden folgen. „Die Zeit bis Ende August wird für mich ein Crash-Test“, gibt der 54-Jährige zu. „Es gilt, die wichtigsten Positionen zügig zu besetzen.“ Dass er sich mit zwei Jobs womöglich übernimmt und seine Gesundheit aufs Spiel setzt, glaubt er nicht. „Das hier ist eine einmalige Konstellation, die sehr gut zu meiner Situation passt“, sagt er. Weil er sich um Salzburg und Leipzig kümmern müsse, laufe er nicht Gefahr, sich zu sehr in eine Aufgabe zu verbeißen.
Eine ganz kleine Hintertür hält er sich dann aber doch offen. „Hoffenheim war damals in der dritten Liga. Hier müssen wir in der vierten Liga anfangen. Dafür haben wir eine ganz andere Infrastruktur, ganz andere Startvoraussetzungen. Andererseits muss man auch sehen: Durch die Playoff-Spiele ist der Aufstieg noch schwerer geworden.“
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