Künstler*in | Rare Americans | |
Album | RA3: Jamesy Boy & The Screw Loose Zoo | |
Label | Empire Records | |
Erscheinungsjahr | 2021 | |
Bewertung |
Rhythm Kitchen heißt der Song, der auf dieser Platte gleich zweimal vertreten ist. Einmal präsentieren ihn Rare Americans mit einem Gastauftritt von D. Smoke, einmal in einer OG Version, die sich bis auf das fehlende Feature nicht allzu sehr von der anderen Fassung unterscheidet. „Ich erinnere mich, dass mein Bruder Jared mir vor etwa 10 Jahren sagte, wenn er ein Restaurant eröffnen würde, würde er es ‚Rhythm Kitchen‘ nennen. Ich hatte so ein lebhaftes Bild im Kopf und dachte, das wäre eine tolle Kulisse für das animierte Universum von Rare Americans“, erklärt Frontmann James Priestner den Titel. „Rhythm Kitchen ist ein verlockender Ort, an dem sich selbstdarstellerische Gäste treffen, um sich zu unterhalten und sich ohne Vorurteile zu vergnügen. Ein Ort für Sonderlinge und Außenseiter. Er ist skurril, hat das Essen und die Fanfaren von Die Schöne und das Biest, gemischt mit dem ausgelassenen Klavier von Tom Waits.“
Beide Versionen des Tracks zeigen das musikalische Grundprinzip von Priestner und seinen Mitstreitern Lubo Ivan und Jan Cajka (Gitarren), Ginger Chen (Bass) und Duran Ritz (Schlagzeug): Bei den Kanadiern ist Rap die Methode, aber kein Korsett. Die echten Instrumente sorgen für eine große klangliche Vielfalt, die von Rock bis zu osteuropäischen Einflüssen reicht (die beiden Gitarristen stammen aus der Slowakei). Vor allem aber kann man Rhythm Kitchen auch gleich eine Tugend anhört, die das dritte Album des Quintetts noch viel entscheidender prägt. „Life is delicious“, heißt die zentrale Zeile darin, und entsprechend positiv klingt RA3: Jamesy Boy & The Screw Loose Zoo.
„Wir versuchen, unsere Fans zu inspirieren und zu stärken“, erklärt Priestner das Ethos der Rare Americans. „Wir sind eine unabhängige Band, wir sind Underdogs, und ich denke, viele unserer Fans können sich damit identifizieren.“ Mit dem „Screw Loose Zoo“ aus dem Albumtitel ist die kunterbunte Fangemeinde der Band gemeint, der „Jamesy Boy“ ist das Alter Ego des Sängers. Um die Anhänger*innen bei Laune zu halten, ist RA3: Jamesy Boy & The Screw Loose Zoo nicht nur schon das zweite Album in diesem Jahr (im März erschien Rare Americans 2 und brachte ihnen über 250 Millionen Streams ein), sondern wird auch begleitet von acht animierten Musikvideos, die die Geschichte von Jamesy Boy bildlich umsetzen, inspiriert von den Werken von Roald Dahl. Künftig soll es auch Videospiele, Comics, Romane und mehrere Fernsehserien im RA-Kosmos geben.
Diese Produktivität und Ambition hört man der Platte auf die denkbar beste Weise an: In einem Track wie dem Album-Schlusspunkt Full Moon stecken so viele Ideen, dass er beinahe anstrengend wird. Im extrem abwechslungsreichen Walkin’n’Talkin‘ könnte man glauben, ein gut gelaunter Eminem sei als Frontmann bei Bran Van 3000 eingestiegen. Bei der in der Tat sonnigen Liebesgeschichte von Hey Sunshine scheint Cro (die beinahe naive Eingängigkeit) auf Everlast (die hier so häufig anzutreffende Kombination aus HipHop-Beat und Gitarren) zu treffen.
Priestner schreibt die Songs für Rare Americans gemeinsam mit seinem schon erwähnten, elf Jahre älteren Bruder Jared, der aber nicht in der Band spielt. Während des Lockdowns haben sie mehr als 50 Lieder erschaffen, die besten 16 sind nun auf der Platte zu finden. Die Bandbreite reicht von der etwas arg bekifften Ballade Steam To Blow bis zu Baby Boy, das geradezu hymnisch im Refrain wird. Ein Stück wie die Demo Version von Something Else Entirely ist eher zum Schunkeln geeignet als zum Lowriden, das umwerfende Wayne’s World 2 ist sagenhaft heiter, uneitel und effektiv. Die Lust auf Pop und Experimente im ebenso entspannten wie romantischen Shay lässt an die New Radicals denken und offenbart auch eine weitere Parallele, die hier deutlich wird: Wie deren Gregg Alexander ist auch James Priestner ein gewitzter und origineller, aber kein großer Sänger.
Zu den Stärken der Band gehört, dass sie – auch das ist gänzlich anders als im Standard-Hip-Hop – über alltägliche Anekdoten und nachvollziehbare Gefühle singt – und dabei immer etwas den Schalk im Nacken hat. Good Guy thematisiert mentale Gesundheit, auch wenn man denken könnte, es handele von einem besonders abenteuerlichen Schulausflug. Mit dem putzig-ausgelassenen Mama Bear huldigt James Priestner seiner Mutter, Pandora’s Box erlaubt sich ein bisschen Outkast-Wahnsinn angesichts des irren Zustands unserer Welt.
Auch PhD ist erstaunlich ernsthaft angesichs des hohen Unterhaltungsfaktors dieser Musik, es handelt von der Identitätssuche, die dann doch besser ohne die Medikamente funktioniert, die vorgeblich die eigene Psyche unterstützen sollen. Hier greift letztlich dasselbe Prinzip wie im Album-Auftakt Baggage: Das Lied hat eine große Leichtigkeit und am Ende eine große Kraft, in deren Kern wohl eine „Scheiß drauf“-Perspektive steckt. Rare Americans haben erkannt: Die Wunden der Vergangenheit kann man auch ignorieren, eine Last kann man auch abwerfen.
„Die größten Hindernisse im Leben sind oft wir selbst. Wir fürchten uns vor dem Versagen und davor, dass Leute uns nicht mögen oder zurückweisen“, meint Priestner. „RA3 ist eine Erinnerung daran, sich selbst nicht im Weg zu stehen. Die meisten Dinge, die wir im Leben bereuen, sind die Dinge, die wir ausprobieren wollten, aber nicht den Mut fanden sie zu tun.“