Künstler | Real Estate | |
Album | The Main Thing | |
Label | Domino | |
Erscheinungsjahr | 2020 | |
Bewertung |
„Ich habe Familie, und ich fühle mich verantwortlich, diese verrückte Welt für sie zu verschönern“, beschreibt Frontmann Martin Courtney einen der Ausgangspunkte für das fünfte Album seiner Band Real Estate. Das ist natürlich in diesen Zeiten nicht unbedingt einfach. Das heute erscheinende The Main Thing ist geprägt von Sorgen, um das persönliche Glück und das der eigenen Liebsten ebenso wie um die Lage der Welt.
Umso erstaunlicher ist, wie wenig turbulent die 13 Lieder der Band aus New York klingen. Friday eröffnet das Album und erinnert an die fluffige Atmosphäre auf Moon Safari, auch in etlichen anderen Momenten auf dieser Platte hat man den Eindruck, man begegne hier Air mit einer Emo-Sozialisation. In Falling Down ist alles sehr behutsam, Shallow Sun wird extrem elegant, aus dem Bass von Procession könnte man etwas Tanzbares machen, aber der Rest der Instrumente schwelgt lieber.
Silent World könnte von den Smiths sein, wenn ihre Träume blütenrein und nicht Thatcher-verseucht gewesen wären. Das offensichtlich an eins von Courtneys Kindern gerichtete You wirkt, als hätte man bei den Byrds den Bass etwas lauter und die Gitarre etwas leiser gedreht. Paper Cup lässt durch seine Percussions und das relaxte Tempo an eine Strandbar denken, durch die entspannte Gaststimme von Amelia Meath (Sylvan Esso) wird es zusätzlich mellow.
„Wir erschaffen unsere eigene Nostalgie. Ich bewege mich ständig vorwärts, deshalb liegt immer mehr hinter mir, über das ich reflektieren kann“, sagt Martin Courtney, und diesen Mix aus Gelassenheit, Introspektion und Entdeckergeist hört man The Main Thing sehr genau an. Denn auch, wenn softe Sounds hier dominieren, ist The Main Thing weit davon entfernt, frei von Spannung zu sein. November beeindruckt mit einem ausgetüftelten Harmoniegesang, allerdings zeigt ein Blick hinter die Klangfassade, dass in diesem Lied keine Spur von Gemütlichkeit steckt. In Gone ist ein Unwohlsein zu erahnen, auch in Also A But, dem ersten Lied von Real Estate, das Gitarrist Julian Lynch geschrieben hat, offenbart sich hinter dem fluffigen Gesang ein ziemliches Spektakel.
„Wenn man sich die erste Platte von uns anhört, erkennt man ein wehmütiges Gefühl, das wir diesmal weiter ergründen wollten“, sagt Bassist Alex Bleeker. „Jetzt, wo wir älter sind, wird die Komplexität darin offensichtlicher.“ Zum erweiterten Spektrum gehören zwei Instrumentalstücke: Sting, geschrieben von Keyboarder Matt Kallman, setzt ein Klavier auf einen Computerbeat, der Album-Abschluss Brother basiert auf einem vier Jahre alten Demo, ist also älter als die meisten Songs auf dem Vorgänger-Album In Mind.
Am deutlichsten werden die Energie, Kraft und Entschlossenheit, die in dieser Platte stecken, im Titelsong. The Main Thing ist als Referenz an den gleichnamigen Song von Roxy Music gedacht, zugleich unterstreicht es, wie zentral das Musikmachen für Real Estate ist, nicht nur als Beruf, sondern auch als Fundament ihres Selbstverständnisses. “Durch die Sorgfalt und Aufmerksamkeit, die wir in diese Platte gesteckt haben, ist uns klar geworden, dass es für uns eine Katharsis ist, Musik zu machen und sie mit anderen teilen zu können“, sagt Alex Bleeker. „Die Hauptsache ist, dass man seiner Inspiration folgt, in der Hoffnung, diese Botschaft auch den Menschen um dich herum zu vermitteln. Hoffentlich bestärkt das Album die Menschen darin, an sich und aneinander zu glauben – so wie es das für uns getan hat.“