Reality

Film Reality

Reality Film Kritik Review
Luciano (Aniello Arena) erwartet einen Anruf, der ihn zum Star machen soll.
Produktionsland Italien
Jahr 2012
Spielzeit 115 Minuten
Regie Matteo Garrone
Hauptdarsteller Aniello Arena, Loredana Simioli, Nando Paone, Graziella Marina, Nello Iorio, Nunzia Schiano
Bewertung

Worum geht’s?

Luziano arbeitet als Fischhändler in Neapel. Er ist beliebt bei seinen Kunden, weil er immer einen frechen Spruch auf den Lippen hat, auch seine Kinder und seine Frau lieben ihn für dieses komödiantische Talent, das er manchmal auch mit Auftritten als Drag Queen auslebt. Als er bei einem dieser Auftritte zufällig Enzo begegnet, der durch seinen Fernsehauftritt bei Big Brother ein Star geworden ist, und sich kurz darauf die Gelegenheit bietet, selbst am Casting für die TV-Sendung teilzunehmen, macht Luziano mit. Er wird tatsächlich zum Casting nach Rom eingeladen und ist fortan mehr und mehr überzeugt von der Größe und Einmaligkeit dieser Chance. Als sich die Neuigkeit, dass er vielleicht bald regelmäßig im Fernsehen zu sehen sein wird, in seinem Viertel verbreitet, wird Luziano erst recht zur lokalen Berühmtheit. Für ihn selbst hat der Flirt mit dem Fernsehen allerdings fatale Folgen: Er hört nach dem Casting wochenlang nichts mehr von der Produktionsfirma und der Sendestart der neuen Staffel von Big Brother rückt immer näher. Statt zu dem logischen Schluss zu kommen, dass er offenkundig also nicht als Bewohner ausgewählt wurde, glaubt Luziano, in seinem Alltag von den TV-Machern beobachtet zu werden, quasi als heimliche Fortsetzung des Castings. Deshalb will er nachweisen, ein möglichst außergewöhnlicher Charakter zu sein – was dazu führt, dass ihm sein Leben entgleitet.

Das sagt shitesite:

In den ersten Einstellungen zeigt Reality einen Flug über Neapel, dann eine Hochzeitsgesellschaft als Kaleidoskop des Lebens in der Stadt. Die Heimat von Regisseur Matteo Garrone spielt hier eine gar nicht so heimliche Hauptrolle, wie schon in seiner Verfilmung des Camorra-Sachbuchs Gomorrha. Es gibt eine weitere Verbindung zu diesem Film: Hauptdarsteller Aniello Arena, den Garrone schon damals besetzen wollte, hat das Schauspielern im Gefängnis gelernt: Als verurteilter Mafia-Mörder sitzt er seit 1991 eine lebenslange Freiheitsstrafe ab, für die Dreharbeiten zu Reality bekam er schließlich Freigang.

Er hat großen Anteil daran, aus diesem Film eine Komödie zu machen, in der zugleich eine abgrundtiefe Medien- und Gesellschaftskritik steckt. Bezeichnenderweise zieht Luziano ein Casting anfangs gar nicht in Betracht, seine Kinder müssen ihn drängen, dorthin zu gehen. Doch dann versteift er sich völlig auf diese Chance zum Aufstieg und Ausstieg. Ihm geht es, auch im Vergleich zu vielen Freunden und Nachbarn in Neapel, finanziell und sozial gar nicht schlecht. Aber ein Auftritt bei Big Brother scheint ihm ein besseres Leben, besseres Geld, bessere Beliebtheit zu versprechen. Er gibt alles für diese fixe Idee, frei nach seinem Motto „Never give up!“, und wird dabei erst verblendet, dann lächerlich.

Das Irreale, Inszenierte wirkt auf ihn so viel verlockender und wertvoller als das echte Leben, zunächst gilt das auch für sein unmittelbares Umfeld. Darin lässt sich einige Jahre nach Reality natürlich auch eine Parallele zu Social Media erkennen, ebenso wie in der hoffnungslosen Selbstüberschätzung, die der Protagonist hier an den Tag legt. Er glaubt tatsächlich, diese Sendung sei auf ihn angewiesen – und merkt dabei gar nicht, wie mehr und mehr das Gegenteil der Fall ist. Die Botschaft ist so klar wie zutreffend: Reality-TV ist natürlich nicht echt, aber es (ver)formt trotzdem unser Bild von der Wirklichkeit. Jeder ist besonders, jeder kann ein Star sein – der Widerspruch in diesem Versprechen wird ausgeblendet, umso mehr wird aber versucht, dieser Ideologie zu entsprechen.

Reality schafft es, dabei auf der persönlichen Ebene zu bleiben und mit seinem Helden zu fühlen, zugleich aber auch die systemische Komponente zu beleuchten, etwa durch einen Vergleich zwischen TV und Religion, der im Berlusconi-Italien und im erzkatholischen Neapel besonders kontrastreich wird: Das Fernsehen erscheint Luziano als höhere Macht, es wird eine allgegenwärtige Instanz, deren Ansprüchen und Anforderungen man gerecht werden muss, und übernimmt damit eine gottgleiche Position. Der Big-Brother-Container scheint zum Himmelreich zu werden – und letztlich zum Symbol dafür, wie gefährlich ein Irrglaube sein kann.

Bestes Zitat:

„Es ist besser, sich mit dem Problem herumzuschlagen, wie man sein Geld ausgeben kann, als mit dem Problem, gar keins zu haben.“

Der Trailer zum Film.

Michael Kraft

Michael Kraft ist Diplom-Journalist und lebt in Leipzig. Auf shitesite.de schreibt er seit 1999 als Hobby über Musik, Filme, Bücher und ein paar andere Dinge, die ihn (und vielleicht auch den Rest der Welt) interessieren.

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