Ren Harvieu – „Revel In The Drama“

Künstler Ren Harvieu

Ren Harvieu Revel In The Drama Review Kritik
Für die Arbeit an „Revel In The Drama“ ließ sich Ren Harvieu bewusst Zeit.
Album Revel In The Drama
Label Bella Union
Erscheinungsjahr 2020
Bewertung

Es wirkt entweder arrogant, fahrlässig oder faul, wenn man ein erfolgreiches Debütalbum hinlegt (Through The Night erreichte Platz 5 im UK und wurde unter anderem vom Guardian und der BBC gefeiert) und sich dann sieben Jahre Zeit für einen Nachfolger lässt. Aber Ren Harvieu hat gute Gründe dafür, und der Titel von Revel In The Drama deutet auch schon an, aus welcher Richtung sie kommen. Es ist eine Platte voller Schönheit und Selbstbehauptung, die aus Schmerz, Niederlage und Trennung geboren ist.

Als Through The Night schon aufgenommen, aber noch nicht veröffentlicht war, brach sich Ren Harvieu bei einem Sturz einen Wirbel. Auch wegen dieser lebensbedrohlichen Verletzung beendete Island Records die Zusammenarbeit mit ihr. “Ich war darüber nicht überrascht oder wütend. Ich kannte diese Leute kaum, und eindeutig kannten auch sie mich nicht. Außerdem hatte ich andere Sorgen: Ich kämpfte mit schlimmen Verletzungen. Ich musste mich irgendwie wieder in die Welt hineinbewegen – und fragte mich, ob ich das überhaupt wollte.”

Womöglich richtet sich jetzt ein Lied wie You Don’t Know Me an die einstigen Bosse, vielleicht sind sie auch nur Teil des Ganzen und stehen für all jene, die ein Bild in Ren Harvieu sahen (oder erzeugen wollten), das so gar nicht ihrem Selbstbild entsprach. Der entsprechende Song hat all die Zutaten, die beispielsweise auch das gemeinsame Album von Elvis Costello und Burt Bacharach so großartig gemacht haben: Klavier, Streicher, Wehmut, vor allem aber eine schmerzhafte Ehrlichkeit beim Blick auf (romantische) Beziehungen. Auch das intensive My Body She Is Alive, das die Platte abschließt, verweist schon im Titel auf die Zeit des Unfalls und die Lehren, die sie aus ihrem Sturz gezogen hat.

Nicht nur ihre Verbindung zur Plattenfirma war zu Zeiten von Through The Night nicht allzu innig, sondern auch die zwischen Künstlerin und diesem Album selbst. “Ich habe bei ein paar Liedern auf dieser Platte mitgeholfen, die ich immer noch sehr mag. Aber ich fühlte mich eher wie das Sprachrohr für das Talent von jemand anderem. Das nagte besonders an mir, weil ich wusste, dass ich ganz viel in mir hatte, was ich selbst in eigenen Texten ausdrücken wollte. Ich hatte nur noch nicht gelernt, wie das geht. Ich kam auch nicht damit klar, dass die Leute so stark auf das Gefühl in meiner Stimme reagierten. Vielleicht hatte ich noch Angst davor, ihre wahre Kraft für mich zu erschließen”, sagt Ren Harvieu heute.

Zusätzlich zum Sturz und dem folgenden beruflichen Ärger endete noch ihre Beziehung, sie trennte sich von ihrem Manager und musste ihre Heimatstadt Salford verlassen. “Auf einen Schlag war alles weg. Ich wusste, dass ich weggehen, neu anfangen und mich selbst wieder neu erschaffen musste.” Zur wichtigen Unterstützung dabei wurde Romeo Stodart, Frontmann von The Magic Numbers, den sie 2015 traf und mit dem sie dann zwei Jahre lang zusammen an diesen Liedern gearbeitet hat. “Von Anfang an war da eine Energie, die ich noch nie in der Zusammenarbeit mit jemand anderem gespürt hatte. Eine irre musikalische Verbindung”, schwärmt sie. “Romeo akzeptierte einfach, wer ich war, und spornte das an. Mir wurde langsam klar, dass ich in meinen Liedern gar nicht jemand anders sein musste.”

Dieses Gefühl von Emanzipation, Akzeptanz, Neuerfindung und Selbstbewusstsein prägt Revel In The Drama ebenso wie die Stimme von Ren Harvieu. Curves And Swerves enthält die Zeile „Maybe I’m too much for you”, die nicht als Entschuldigung gemeint ist, allenfalls als Warnung. “Are you sure you want to play with fire?”, lautet ihre Frage in Yes Please, bevor der Chor dann antwortet “Yes, please!” – es ist einer von etlichen Momenten auf diesem Album, der wohl auch Anna Calvi bestens gefallen würde. Das gilt auch für das bedrohliche Cruel Disguise, das sexy Crooning in This Is Our Love oder die sinnliche Atmosphäre und den ungewöhnlichen Rhythmus von This Is How You Make Me Feel.

Ein weiteres Charakteristikum sind die extrem eleganten Arrangements etwa in Spirit Me Away mit dem Klavier im Zentrum und am Ende herrlichen Streichern, Tomorrow’s Girl Today, das mit einer schlichten Gitarre beginnt und sich zu einem großen Finale entwickelt, oder dem reduziert wirkenden Little Raven, in dem bei genauerer Betrachtung ebenfalls reichlich Musikalität und Komplexität stecken. Strange Thing kann man sich vorstellen wie das Lied einer etwas melancholischen Lily Allen. Teenage Mascara betrachte die Künstlerin als „einen Tanz zwischen den verschiedenen Versionen von uns selbst. Dieser chaotische, traumhafte Rausch der Musik hilft, die sehr verschiedenen Emotionen zu vermengen, die wir manchmal haben. Manchmal fühlen wir uns wie süße Sex-Kätzchen, dann wie verzweifelte, bettlägerige Wesen mit fettigen Haaren. Ich denke, es ist wichtig, das alles zu feiern“, sagt Ren Harvieu. Passend dazu ist die Stimme in diesem Song betont unschuldig, was mit provokanten Zeilen wie „Don’t it feel good to be bad” und leichtem Country-Flair einen Kontrast bildet, der etwa auch bei Stella Donnelly bestens funktioniert.

Dass sie auch nach der Begegnung mit Romeo Stodart noch ziemlich lange für Revel In The Drama brauchte, streitet Ren Harvieu nicht ab. „Ich hatte es nicht eilig, denn ich hatte während der Arbeit an der Platte endlich wieder Spaß“, sagt sie. „Wir sind lange aufgeblieben, haben getrunken, getanzt und Musik gehört. Es fühlt sich an, als würde ich das Mädchen in mir wieder entdecken, das versteckt und zum Schweigen gebracht worden war. Ich sagte zu Romeo, dass ich nicht bloß schöne Bilder entwerfen wollte, sondern im Drama meines Lebens schwelgen wollte, den guten und den schlechten Seiten. Früher hatte ich Angst, in meinen Texten wirklich etwas auszudrücken, aber jetzt nicht mehr. Ich fühlte mich frei.“

Die Stimme steht im Mittelpunkt: Das ist wohl die Botschaft im Video zu Yes Please.

Website von Ren Harvieu.

Michael Kraft

Michael Kraft ist Diplom-Journalist und lebt in Leipzig. Auf shitesite.de schreibt er seit 1999 als Hobby über Musik, Filme, Bücher und ein paar andere Dinge, die ihn (und vielleicht auch den Rest der Welt) interessieren.

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