Künstler | Rex Orange County | |
Album | Live At Radio City Music Hall | |
Label | Epic | |
Erscheinungsjahr | 2020 | |
Bewertung |
Rex Orange County (bürgerlich: Alexander O’Connor) ist 22 Jahre alt und hat im Oktober sein drittes Album veröffentlicht. Man darf sich durchaus fragen, was ihn schon zu einem so frühen Zeitpunkt seiner Karriere dazu bringt, mit Live At Radio City Music Hall einen Konzertmitschnitt zu veröffentlichen.
Die erste plausible Antwort lautet: Der junge Engländer ist durchaus geschäftstüchtig. Er hat sich unter anderem durch Kollaborationen mit Tyler The Creator, Benni Sings, Frank Ocean und Randy Newman (!) einen Namen gemacht und es so auf mehr als 700 Millionen Streams seiner Songs gebracht. In den Städten, wo er während der letzten Konzertreise zu Gast war, hat er teils eigene Läden eröffnet, in denen es ausschließlich Rex-Merchandise zu kaufen gab. Und weil diese Tournee im März abgebrochen werden musste, ist es wohl nicht die dümmste Idee, sowohl den Tausenden Fans, die ihn live erlebt haben, als auch denen, die Corona-bedingt vorerst auf dieses Erlebnis verzichten müssen, mit dieser Platte ein Souvenir beziehungsweise eine Vorschau an die Hand zu geben.
Die zweite mögliche Erklärung hängt mit diesem Erfolg zusammen, ist aber deutlich romantischer: Es ist durchaus wahrscheinlich, dass Rex Orange County in Zukunft noch erfolgreicher, noch größer und berühmter wird. Aber die zurückliegende Tournee, die er auch mit einer knapp halbstündigen Dokumentation auf YouTube in Szene gesetzt hat, wird eines Tages im Rückblick auf seine Karriere vielleicht deren schönste Zeit gewesen sein. Vier Jahre nach seinem selbst veröffentlichen Debütalbum und seinen ersten Konzerten überhaupt ist er nun mit seinen Kumpels (seine Liveband besteht größtenteils aus ehemaligen Mitschülern der BRIT-School) in ausverkauften Hallen unterwegs, genießt die Bewunderung und ist in der Tournee-Doku Funny How Things Go From One Thing To Another in einigen Momenten einfach nur ein glücklicher Tourist, der es nicht fassen kann, Orte wie Las Vegas, Florida oder Stockholm entdecken zu können. Natürlich ist er auch ein versierter Musiker (es spielt Gitarre, Klavier und Schlagzeug), der einigermaßen stolz davon erzählt, zuhause in England mehrfach die legendäre Brixton Academy gefüllt zu haben. Die Live-EP wurde bei den beiden Abenden am 7./8. Februar 2020 in der ehrwürdigen und knapp 6000 Leute fassenden Radio City Music Hall in New York aufgezeichnet, zu diesem Anlass hat sich Rex Orange County extra Anzug und Krawatte angezogen statt dem üblichen Hoodie. In der Doku ist er nach dem Konzert in der Garderobe zu sehen, wie er sagt „It was the best thing I’ve ever done“, mit Freudentränen in den Augen.
Das Schöne an Live At Radio City Music Hall ist, dass man dieser Platte diese unverfälschte Begeisterung anhört. Live zu spielen sei sein „favourite thing in the world“, sagt der 22-Jährige, und die Fans genießen dieses Erlebnis genauso. 10/10, der Auftakt des Albums, wird von der ersten Silbe an lauthals mitgesungen, zunächst gibt es darin nur E-Piano und die Stimme von Rex Orange County, dann setzt die Band ein, was einen erneuten Jubelsturm zur Folge hat. Bei Never Enough bekommt sogar der Drumcomputer, dem die ersten Takte gehören, Szenenapplaus, am Ende steigert sich das Lied in ein tolles Finale. Der erste Ton der Gitarre (sie bleibt in diesem Song das einzige Instrument) in Corduroy Dreams löst pure Begeisterung aus. Bei Sunflower singen die Fans die ersten Zeilen allein, und zwar unaufgefordert, am Ende verwandelt sich das Stück in eine Jazz-Extravaganza mit reichlich Soli.
Man darf dabei durchaus die Frage stellen, was den erstaunlichen Erfolg dieses Künstlers ausmacht (drei der Lieder auf dieser Platte stammen vom 2019er Album Pony, das die Top10 im UK und den USA erreicht hat). Seine Stimme ist nicht herausragend, das musikalische Konzept ist erstaunlich altmodisch: Die Band darf Musikalität beweisen, Rex Orange County präsentiert recht konventionelle Songs mit schönen Melodien, aber ohne viele der Zutaten, die man im großen Pop-Business heute sonst so oft findet. Eine Ballade wie Pluto Projector hätte problemlos auch von Leo Sayer oder Richard Marx stammen können, vor 30 oder 40 Jahren. Es gibt mit New York State Of Mind auch eine Coverversion von Billy Joel (er habe einfach das Gefühl gehabt, dieses Lied an diesem Ort spielen zu müssen, sagt Rex Orange County). Was den Reiz dieser Songs ausmacht, findet man hier schnell beantwortet: Die Lieder des jungen Manns versprechen Hoffnung und Trost, ein Konzert mit ihm verspricht eine gute Zeit. „I wanna be the one to help“, „You know my bedroom needs“, „You saved me from myself“ oder „I can’t wait to be your number one“ lauten einige der Textzeilen, mit Always schließt eine Soul-Ballade die Platte ab, die ebenfalls dieses sehnsuchtsvolle Außenseiter-Gefühl zum Ausdruck bringt.
Es ist fast rührend, zu sehen und zu hören, wie mühelos solche Aussagen noch immer funktionieren, vor allem bei jungen Mädchen, die auf der Platte so deutlich zu hören sind und auch in der begleitenden Doku eine prominente Rolle einnehmen: Sie schenken ihrem Star selbstgemalte Bilder, Blumensträuße oder Landesflaggen mit Grußbotschaften, eine Konzertbesucherin erzählt, dass sie sieben Stunden vor dem Venue gewartet hat. In Best Friend sieht man die leuchtenden Augen, mit denen dieses Lied mitgeschrien wird, förmlich vor sich, ebenso wie die wild winkenden Arme oder die hüpfenden Körper junger Menschen, die am Ende alle richtig ausflippen. Kaum zu fassen: Der Künstler fordert diese Fans sogar auf, ihre Handys wegzupacken, damit sie sich völlig auf den Moment einlassen (und sich sogar noch intensiver daran erinnern) können. Sie gehorchen ihm tatsächlich, und sie werden es nicht bereut haben – spätestens seit sie wissen, dass es jetzt ja eine offizielle Aufzeichnung gibt.
Die Doku zur Tour von Rex Orange County.
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