Künstler | Rex Orange County | |
Album | Pony | |
Label | Epic | |
Erscheinungsjahr | 2019 | |
Bewertung |
„I had a year that nearly sent me off the edge“, heißt eine der ersten Zeilen auf dieser Platte. Man kann diese Verwunderung über Trubel, Erschöpfung und Versuchung gut verstehen, die Rex Orange County in 10/10 mit einer kleinen Dosis Auto-Tune artikuliert. Denn der 22-Jährige hat eine Karriere hingelegt, die erstaunlich, in mancher Hinsicht sogar widersprüchlich ist.
Er hat bereits zwei Alben in Eigenregie veröffentlicht, das erste davon 2016 als 18-Jähriger (cool). Er hat die BRIT-School besucht, wo beispielsweise Adele, Katie Melua oder Leona Lewis das Pop-Handwerk gelernt haben (uncool). Tyler The Creator gehört zu seinen Fans und lud ihn zur Zusammenarbeit ein, später hat Rex Orange County auch mit Frank Ocean, also noch einem Künstler aus dem Odd-Future-Umfeld, kollaboriert (cool). Vom Cover des morgen erscheinenden Pony strahlt er, als wolle er einen Justin-Bieber-Nachfolgewettbewerb gewinnen, folglich kann man bei seinen Konzerten auch in erster Linie sehr junge Mädchen im Publikum erkennen (uncool). Dieser Appeal hat ihm allerdings auch mehr als 700 Millionen Streams für seine Songs und Platz 2 auf der „Sound Of 2018“-Liste der BBC eingebracht, also noch vor Lewis Capaldi und Billie Eilish (cool).
Man kann Pony die Zerrissenheit manchmal anhören, die mit solchen Eckdaten einhergehen kann. Stressed Out zeigt das nicht nur mit seinem Titel, sondern erweist sich auch als beinahe provokantes Stück: Es beginnt mit Gähnen, fährt dann unter anderem einen Chipmunk-Hintergrund-Gesang auf und ist nach etwas mehr als 100 Sekunden auch schon wieder zu Ende. Auch aus dem Text von Pluto Projector lässt sich eine kleine Sinnkrise heraushören, die wird allerdings in einem enorm souveränen und glaubwürdigen Song gepackt.
Ohnehin findet man auf Pony schnell die Antwort auf die Frage, warum Rex Orange County von so vielen und so unterschiedlichen Menschen ins Herz geschlossen wird: Er hat gute Songs, er singt schöne Melodien und er hat etwas zu sagen. So einfach ist das – und manchmal erstaunlich klassisch für einen vermeintlichen Teenie-Act. Ein Stück wie Always zeigt das: Der Text beweist Einfühlungsvermögen und spricht Mut zu, der Sound würde mit Bläsern und Backgroundchor auch zu Stevie Wonder passen. Every Way erinnert daran, dass Alexander O’Connor (so sein bürgerlicher Name) live schon einmal Billy Joel covert. Was sich in Laser Lights nach dem Beginn aus Klavier und Quasi-Rap entwickelt, könnte man sogar Jazz nennen.
Face To Face hat eine ähnliche Dramaturgie: Es beginnt reduziert, dann setzt ein lockerer Groove à la Jamiroquai ein, um den sich nach und nach viele weitere gute Ideen anordnen. Auch Never Had The Balls klingt so wie viele Lieder von Rex Orange County: eingängig, clever, niedlich, abwechslungsreich und kurzweilig, wozu etwa Handclaps und ein Eighties-Gitarrensolo beitragen. Das etwas experimentelle It Gets Better ist gegen Ende der Platte der einzige Schwachpunkt: Es will vielleicht eine Leistungsschau von allem sein, was er drauf hat, wird aber überfrachtet und unausgegoren. Im folgenden It’s Not The Same Anymore zeigt der 22-Jährige aber gleich wieder, wie souverän seine Kombination aus Musikalität und Sensibilität auch in einem ambitionierten Moment klingen kann: Hier behält er über mehr als sechs Minuten problemlos den roten Faden.