Film | Riefenstahl | |
Produktionsland | Deutschland | |
Jahr | 2024 | |
Spielzeit | 115 Minuten | |
Regie | Andreas Veiel | |
Sprecher*innen | Ulrich Noethen | |
Bewertung |
Worum geht’s?
Fast 100 Jahre nach ihrem ersten Film widmet sich Regisseur und Drehbuchautor Andres Veiel dem Leben und Werk von Leni Riefenstahl (1902-2003). Sie hat als Filmemacherin insbesondere in den 1930er Jahren mit Werken wie Das blaue Licht (1932) viele Innovationen auf die Leinwand gebracht, sich mit Filmen wie Triumph des Willens (1934) und der Dokumentation der Olympischen Spiele 1936 in Berlin aber auch in den Dienst der Nazi-Propaganda gestellt. Veiel ist dabei weniger an Arbeitsweise und Handwerk interessiert, sondern vielmehr an der Frage, wie Leni Riefenstahl selbst im Nachhinein ihr Verhältnis zum NS-Regime betrachtet. Er führt dazu frühere Interviews (auch nicht verwendete Szenen daraus) und Ausschnitte aus ihrem Werk zusammen. Vor allem aber kann er aus reichlich neuem Material schöpfen, das sich in ihrem für diese Dokumentation erstmals systematisch erschlossenen Nachlass fand, etwa Briefe, Fotos, Aufzeichnungen von Telefongesprächen, diverse Entwürfe ihrer Memoiren, Filmschnipsel und private Super-8-Aufnahmen.
Das sagt shitesite:
Riefenstahl ist eine uneingeschränkt zu empfehlende Dokumentation. Erstens gelingt es Veiel, in knapp zwei Stunden einen anschaulichen Überblick über das Leben der Filmemacherin zu geben, von der Kindheit über die Karriereanfänge und die Phase ihrer größten Popularität während der NS-Zeit bis zum Kampf um die Deutung ihrer Rolle in der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg, den sie bis ins hohe Alter geführt hat: War sie Kinovisionärin oder Rattenfängerin für die Nazis? Man lernt diese Frau, ihre Herkunft und Ambitionen, ihr Selbst- und ihr Weltbild hier sehr gut kennen, unabhängig davon, wie viele Vorkenntnisse man mitbringt.
Zweitens ist Riefenstahl ein Paradebeispiel für die getrennte Betrachtung von Künstlerin und Werk. Kreative und handwerkliche Leistungen der Frau, die erst Tänzerin werden wollte, dann als Schauspielerin tätig war und schließlich selbst Filme machte, behalten hier ihre Geltung. Sie werden nicht diskreditiert durch das Postulat, dass Filme wie Der Sieg des Glaubens (1933) oder Olympia (1938, zwei Teile) niemals als weltanschaulich neutral betrachtet werden können. Vielmehr wird aufgezeigt, wie ästhetische Ideale und politische Überzeugungen hier ineinander spielen. Begriffe wie Kraft und Stärke, Effekte wie Dominanz und Gefolgschaft sind hier für Leni Riefenstahl zentral, in beiden Sphären. Zu ihrer Darstellung als selbstbewusste, emanzipierte, ehrgeizige Künstlerin passt dabei auch die erstaunliche Materialfülle, aus der die Dokumentation schöpfen kann: Für viele Filme gibt es bereits das, was wir heute „Making Of“-Szenen nennen würden, in etlichen davon ist Leni Riefenstahl die einzige Frau unter Männern. Auch ihr umfangreicher Nachlass belegt, wie genau sie bereits früh in ihrer Karriere auch auf die eigene (Nach-)Wirkung bedacht war.
Vor allem aber besticht Riefenstahl, das ist der dritte und wichtigste Grund für die nachdrückliche Empfehlung zu einem Kinobesuch, durch eine ungeahnte Aktualität, die gleich mehrere Dimensionen hat. Man kann hier erleben, welche Macht ein vergleichsweise neues Medium (damals der Kino-Tonfilm, heute vielleicht Instagram, TikTok oder KI-generierte Bilder) auf das Publikum ausüben kann, und wie diese Macht zur politischen Manipulation genutzt wird. Jenseits davon zeichnet die Dokumentation die fatale Anziehungskraft des Autoritären nach, für dessen Inszenierung Leni Riefenstahl Muster erschaffen hat, die noch heute genutzt werden.
Die Interviewsequenzen mit ihr zeigen, ebenso wie von ihr gesammelte Reaktionen in Leserbriefen oder von Anrufer*innen, erschütternde Kontinuitäten, sie unterstreichen immer wieder, wie tief völkisches Denken, die Sehnsucht nach starken Führungspersönlichkeiten und das Selbstverständnis als Herrenmenschen in unserem Land auch lange nach dem Ende des Dritten Reichs verankert sind. Dazu passen die – ebenfalls heute wieder sichtbare – Verklärung von Geschichte, das Leugen der eigenen Schuld und der Wunsch, mit NS-Verbrechen endlich abzuschließen, die hier regelmäßig zum Ausdruck kommen.
Nicht zuletzt frappiert Riefenstahls Umgang mit dem, was wir heute wohl „alternative Fakten“ nennen würden. Sie sagt mehrfach, es sei ihr nur um die Kunst gegangen, nicht um eine Ideologie, sie habe das Nazi-Regime lediglich dokumentiert, nicht glorifiziert. Diese Rechtfertigung kann sie nur aufrecht erhalten, weil sie im Zweifel auf Erinnerungslücken verweist, belegte Tatsachen leugnet oder ein Gespräch einfach abbricht, wenn sie sich argumentativ in die Enge getrieben fühlt. Bezeichnenderweise erwidert sie auf Vorwürfe, mit denen sie konfrontiert wird, mehrfach Sätze wie „Davon habe ich nie etwas gesehen!“ oder „Ich war gar nicht dabei!“ Als könne nur wahr sein, was man mit eigenen Augen gesehen hat, als sei es unmöglich, durch wissenschaftliche Arbeit oder journalistische Recherche (beides wird von ihr regelmäßig diskreditiert, in bester Fake-News- und Cancel-Culture-Manier heutiger Rechtspopulisten) ebenfalls Tatsachen ermitteln zu können. Diese Position wirkt umso seltsamer in ihrem Metier, arbeitet sie doch mit dem Medium, das den persönlichen Augenschein wie kein anderes nachahmt (aber eben nur nachahmt) und mit dem Selbstverständnis, dass sie mit dieser medialen Vermittlung zwar Kunst schafft, aber dennoch authentische Inhalte transportieren zu meint.
Zu den großen Pluspunkten der Dokumentation gehört auch, dass sie trotz solcher Widersprüche keine Wertung vornimmt. Die gelegentliche Stimme aus dem Off, die Ulrich Noethen beisteuert, setzt Material in den Kontext oder ordnet Fundstücke aus dem Nachlass ein. Wenn überhaupt eine Kommentierung erfolgt, dann subtilerweise so, wie Riefenstahl auch selbst in ihren Filmen gearbeitet hat: auf der Ebene von Schnitt, Kameraperspektiven oder bewusst gesetzten Freeze Frames.
Die Übermittlung der Botschaft, dass ihre Werke natürlich nicht harmlose Kunst, sondern sehr wirkungsvolle Unterstützung für ein verbrecherisches Regime waren, überlässt die Dokumentation Leni Riefenstahl selbst. Der Film entlarvt dabei noch mehr: In ihrem Beharren auf dem „Es war nicht alles schlecht“, in ihrer Behauptung, man werde mundtot gemacht, wenn man unliebsame politische Positionen ausspreche, und nicht zuletzt in ihrem offenkundigen Selbstbetrug durch die eigene Inszenierung als unpolitische, bloß dienstbeflissene, womöglich von der Propaganda selbst verführte junge Frau verkörpert sie auf erschreckende Weise den Blick des Mainstreams im Nachkriegs(west)deutschland auf den Nationalsozialismus.
Bestes Zitat:
„Um uns erinnern zu können, müssen wir anderes verdrängen.“
Der Trailer zum Film.