RIN – „Kleinstadt“

Künstler*in RIN

RIN Kleinstadt Review Kritik
In der „Kleinstadt“ hat RIN zuletzt wieder viel Zeit verbracht.
Album Kleinstadt
Label Division
Erscheinungsjahr 2021
Bewertung

Bei der Bundestagswahl im September erhielt keine Partei so viele Stimmen von Erstwähler*innen wie die FDP. Gemeinsam mit den Grünen kamen die Liberalen laut Nachwahlbefragungen auf 23 Prozent. Das sorgte für viel Verwunderung in der Politikberichterstattung, ist bei genauerer Analyse aber nicht allzu erstaunlich. Deutschrap ist das dominierende Musikgenre für diese Generation, und die FDP ist der politische Arm von vielem, wofür Deutschrap steht.

Das beweist auch RIN mit seinem dritten Album Kleinstadt. Er ist stolz auf materielle Erfolge (zehn Mal Gold und drei Mal Platin gab es für Singles wie Dior 2001 und Keine Liebe, auch sein Debütalbum Eros wurde vergoldet, der Nachfolger Nimmerland erzielte bisher mehr als eine halbe Milliarde Streams). Er zelebriert seine Statussymbole, vor allem Autos und Schmuck. Er nutzt digitale Tools (RIN war der erste deutsche Act mit einer eigenen Show auf Apple Music). Und vor allem ist ihm Individualismus viel wichtiger als Zugehörigkeit oder gar der Blick auf größere gesellschaftliche Zusammenhänge über den Tellerrand der eigenen Clique hinaus.

Damit steht der Mann, der als Renato Simunovic geboren wurde, natürlich nicht allein. Glücklicherweise erweist er sich auch auf Kleinstadt (natürlich bezogen auf seine Heimat in Bietigheim-Bissingen, wo er wegen Corona zuletzt wieder recht viel Zeit verbracht hat) als einer der Deutschrapper, deren Texte nicht hohl und deren Sounds (produziert hat größtenteils wieder Alexis Troy) nicht eindimensional sind. Trotzdem spricht aus dieser Platte eine schockierende Orientierungslosigkeit, gepaart mit der Unfähigkeit, die Lösung dafür jenseits der Oberfläche zu suchen.

Yugo eröffnet das Album mit dem Verweis auf den eigenen Erfolg und Status, ist dabei aber nicht frei von (Selbst-)Zweifeln. Denn RIN erkennt hier: Es gibt immer noch Leute, denen man etwas beweisen muss – und sei es weiterhin die vermeintliche Selbstverständlichkeit, dass man genauso wertvoll ist wie sie selbst. Das Rap-übliche Protzen gibt es später noch (halbwegs originell) in Money On My Mind und FYM (die Abkürzung steht für „Fuck your money“), in dem es mit dem Blick auf Gestern und Heute gepaart wird, vor allem aber auf die Dinge, die sich in der Zeit zwischen Gestern und Heute nicht verändert haben und wohl auch nie verändern werden. Der Album-Schlusspunkt Mrznja sucht zu einem lupenreinen Notorious-B.I.G.-Beat nach Identität, ohne dabei allerdings allzu tief zu gehen.

Verwirrung kann man auch in ADHS erkennen. RIN beschreibt hier eine Entwicklung der Welt und seines Umfelds, der er nicht folgen kann. „Du denkst ich bin ein Mann, doch ich bin eigentlich ein Kind“, heißt es – er verweist also wieder auf das Motiv, das schon Nimmerland prägte. Von Entfremdung handelt Meer, überraschenderweise mit einer Gitarre wie aus Nirvanas Heart-Shaped Box in der Strophe und Linkin-Park-Ästhetik im Refrain. Im verspielten San Andreas scheint GTA auf der Playstation mit der Realität zu verschmelzen. In Swiffer macht sich kurz Konsum-Müdigkeit breit, begleitet von einer sehr detailreichen Produktion inklusive einer cleveren Beatles-Referenz.

Leider ist bei weitem nicht alles in dieser Kleinstadt inhaltlich oder klanglich so interessant. Eye Of The Tiger trägt zwar den Titel der Rockhymne, die für die unbändige Motivation von Rocky steht, ist aber saft- und kraftlos. Auch Sado bleibt lahm, 1976 zieht nach drei Vierteln des Albums endlich einmal das Tempo an, was der Spannungsbogen zu diesem Zeitpunkt bitter nötig hat, verpufft dann aber. Athen (feat. Schmyt) ist die Sorte von Musik, mit der niemand etwas anfangen kann, der kein ausgeprägtes Faible für Deutschrap hat. Es gibt keinen Punch, keine Melodie, keine Poesie, kein Gefühl. Der Track erstickt stattdessen in den Referenzen und den Codes seines Genres.

Am besten ist RIN, wenn er die Vielseitigkeit seiner Stimme (nicht nur mit seinem Rap) ausreizt wie in Apple, auf ungewöhnliche Einflüsse wie die Dub-Elemente in 5 Star Stunna setzt oder eine gelungene Atmosphäre kreieren kann wie in Rot, dessen Titel sich nicht auf eine politische Präferenz, sondern auf die Farbe des Himmels bezieht. Der zweite Gastauftritt von Schmyt wird in Douglas sehr cool und kurzweilig, auch Dirty South hat erfreulich viel Präsenz, ist mutig im Sound und gönnt sich ein bisschen Wahnsinn. Das in seiner Leichtigkeit beinahe an Cro erinnernde Insomnia (mit den Giant Rooks) ist einer der wenigen Momente auf Kleinstadt, die wirklich zugänglich werden und die Hand in Richtung Hörer*in ausstrecken.

Das ansonsten hier dominierende Um-sich-Selbst-Kreisen ist eines der Probleme dieser Platte, und passt natürlich ebenfalls bestens zur FDP-Assoziation. Einen Vorteil hat dieser Effekt aber auch: Kleinstadt biedert sich nicht an und ist weder eindimensional noch plakativ. RIN verlangt Konzentration von seinem Publikum. Man muss auf diese 18 Tracks zugehen, und das ist eine gute Sache.

Im Video zu FYM bekommt Daimler ein Dankeschön.

RIN bei Instagram.

Michael Kraft

Michael Kraft ist Diplom-Journalist und lebt in Leipzig. Auf shitesite.de schreibt er seit 1999 als Hobby über Musik, Filme, Bücher und ein paar andere Dinge, die ihn (und vielleicht auch den Rest der Welt) interessieren.

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