RIN – „Nimmerland“

Künstler RIN

RIN Nimmerland Review Kritik
Beschränkter Horizont: Die Welt von RIN endet im Kinderzimmer.
Album Nimmerland
Label Division
Erscheinungsjahr 2019
Bewertung

„Irgendwie erwachsen, aber fühl mich wie ein Kind“, lautet eine Zeile in Alien gegen Ende dieses Albums. Sie ist nicht nur die Erklärung dafür, warum die Platte Nimmerland heißt (nach der Insel aus Peter Pan, auf der man niemals älter wird). Sie zeigt auch gleich das Grundproblem beim zweiten Album von RIN: Seine (ohnehin minimale) Selbstreflexion ist ganz oft bloß Selbstmitleid, was angesichts von vier Gold- und vier Platinauszeichnungen für Hits wie Bros, Monica Bellucci oder Dior 2001 ziemlich jämmerlich wirkt. Noch schlimmer: RIN bewegt sich in diesem Rätseln über sich selbst und die Welt keinen Schritt von der Stelle.

„Ist es gut oder schlecht? Das ist, was ich nicht weiß“, heißt eine andere Zeile aus Alien. Das ist vor allem peinlich, weil der Mann, der bürgerlich Renato Simunovic heißt, nicht etwa ein orientierungsloser Teenager ist, sondern dieser Lebensphase schon seit rund zehn Jahren entwachsen sein sollte. Es ist auch seltsam, weil er neben dieser vermeintlichen Sensibilität zugleich die üblichen Rap-Posen von Weibern, Geld und guter Zeit bedient. RSVP beispielsweise handelt davon, dass Protzen in der Heimat am meisten Spaß macht, wo man den Zurückgebliebenen zeigen kann, wie weit man es gebracht hat. Voyage besteht weitestgehend aus Verweisen auf Uhren, Schuhe und Autos. Auch Hollywood feiert Glamour und hohlen Materialismus, der Traum von Amerika wird dabei nicht nur überhöht, weil die Neue Welt angeblich so spektakulär ist, sondern auch, weil die eigene Umgebung so trist erscheint.

„Wir wollen alle nach Amerika“, unterstellt Hollywood und in diesem „Wir“ und „alle“ steckt ein weiteres Problem von Nimmerland. RIN versammelt etliche Verweise auf Popkultur auch jenseits von (Deutsch-)Rap, zugleich aber bleibt er in einem eng abgeschlossenen System von Referenzen und Codes. Hier kann man erleben, wie klein der Horizont wird, wenn man nur in seinem eigenen Saft schmort. Dass die Weltkugel, die auf dem Albumcover zu sehen ist, sich in RINs Kinderzimmer befindet, ist da bezeichnend.

Man kann noch weiter gehen und hier die negativen Effekte eines Milieus sehen, das den Blick für die Welt jenseits der eigenen Grenzen verloren hat. Wenn in den deutschen Spotify-Jahrescharts die ersten fünf Plätze an Deutschrap-Acts gehen (2019 sind das: Capital Bra, Samra, RAF Camora, Kontra K und Bonez MC), kann so etwas wohl passieren: Die Möglichkeit wird gar nicht mehr mitgedacht, dass junge Menschen vielleicht auch außerhalb dieses Systems leben (wollen) könnten. Es erscheint für RIN unvorstellbar, dass es Altersgenossen gibt, die sich nichts aus Statussymbolen machen, die von Auto-Tune genervt sind, die Juice für ein Getränk halten und eine Aufmerksamkeitsspanne haben, die länger als eine Zeile reicht.

Bei ihm sind die Texte intuitiv und assoziativ, man kann auch sagen: nicht zu Ende gedacht, schon gar nicht detailversessen. Es gibt in seinen Tracks keine Story, meist nicht einmal ein Thema jenseits von „Ich bin der wichtigste Mensch der Welt, und ich komme nicht klar.“ Hauptsache, es reimt sich, notfalls mit unreinen Reimen. Das steht in einem grotesken Missverhältnis zur Selbsteinschätzung des Mannes aus Bietigheim-Bissingen. „Ich wollte den Leuten zeigen, dass es sich noch lohnt, Liebe in die Musik zu stecken“, sagt er über Nimmerland, ebenso: „Kunst in allerhöchster Form – komm und übertreff‘ [sic!] mich!“

Die einzige seiner Aussagen, die sich als halbwegs zutreffend erweist, lautet: „Dieses Album ist mein Leben.“ In der Bietigheimication preist RIN mit besonders prominentem Auto-Tune-Einsatz seine Herkunft, auch in Fabergé ist er „down mit seinen Brüdern“, diesmal begleitet von einer besonders mächtigen Bass Drum. Der Inhalt von Nirvana lässt sich wohl mit „Ich kann mich nicht dazu aufraffen, das Haus zu verlassen“ zusammenfassen. Die Frau, die in Keine Liebe (mit Bausa) besungen wird, ist schillernd, schräg, widersprüchlich, in mancher Hinsicht auch abstoßend – und man weiß natürlich sofort, dass RIN zu dieser Charakterisierung vor allem kommt, weil sie ihn nicht ranlässt. Echt müssen auch noch den Refrain ihres größten Hits Du trägst keine Liebe in dir dafür hergeben.

Auch in Up In Smoke ist Eitelkeit ein prägendes Element, in diesem Fall begleitet von der Erkenntnis, dass sich Larmoyanz offensichtlich noch besser anfühlt, wenn man sie teilen kann. Zugleich zeigt dieser Track: Die Musik, größtenteils beigesteuert von den Produzenten Minhtendo und Alexis Troy (Kollegah, 257ers), ist noch das Beste an dieser Platte. Sie ist zwar auch nicht spektakulär oder bahnbrechend, aber allein handwerklich eine Liga über dem Rap von RIN und zwei Ligen über seinen Texten. So schafft Up In Smoke glaubhaft eine Atmosphäre von großer Sehnsucht, für die es dennoch einen Vorbehalt gibt. Vintage integriert im Sound ein paar originelle Details, das Liebeslied Brunai funktioniert zumindest halbwegs, weil RIN sich darin emotionale Bedürftigkeit eingesteht. Nimmerland (feat. Bilderbuch) ist erst entspannt, dann geheimnisvoll, schließlich ein bisschen funky – und damit ein Höhepunkt des Albums.

Vintage gibt es als Bonustrack noch einmal in einem Remix mit Sido & Luciano. Diese beiden zeigen mühelos, wie viel mehr Charakter ihr Rap hat im Vergleich zu dem Mann, der sie hier zur Zusammenarbeit eingeladen hat. M.I.A. greift noch einmal das Thema vom Kampf mit dem Erwachsenwerden auf. RIN sinniert darin: Manches ist ja ganz schön im Leben, aber da muss doch noch mehr sein. Wieder thematisiert er also sein Unwohlsein und seine Orientierungslosigkeit – und hat zugleich nicht einmal den Hauch einer Ahnung, was man dagegen machen könnte (kleiner Tipp: Intelligenz, Konzentration und Autonomie helfen; es schadet auch nichts, mit dem Kiffen aufzuhören).

Nach dem Debütalbum Eros (2017) und dem ein halbes Jahr später folgenden Mixtape Planet Megatron ist Nimmerland für RIN ein Dokument des Stillstands. Die Platte ist sagenhaft langweilig, auch weil letztlich kein Inhalt da ist. Statt sein Leben und seinen Erfolg zu feiern, inszeniert sich RIN als Dauerpubertier. Auch von Lebensfreude und Zuversicht à la Peter Pan gibt es keine Spur. Jung sein heißt hier nicht etwa: rebellisch, aufbegehrend, wild, kompromisslos und mitreißend sein. Sondern vor allem: verwirrt, unzufrieden und ohnmächtig.

Auch im Video zu Fabergé steckt RIN wieder im Kinderzimmer.

RIN bei Facebook.

Michael Kraft

Michael Kraft ist Diplom-Journalist und lebt in Leipzig. Auf shitesite.de schreibt er seit 1999 als Hobby über Musik, Filme, Bücher und ein paar andere Dinge, die ihn (und vielleicht auch den Rest der Welt) interessieren.

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