Rolling Stones – „From The Vault. Sticky Fingers Live“

Künstler Rolling Stones

Rolling Stones Sticky Fingers Live Review Kritik
„Sticky Fingers Live“ ist der sechste Teil der Reihe „From The Vault“.
Album From The Vault: Sticky Fingers – Live At The Fonda Theatre 2015
Label Eagle
Erscheinungsjahr 2017
Bewertung

„Vault“ – das bedeutet so viel wie „Tresor, Schatzkammer“. Man könnte sich fragen: Was soll da bei den Rolling Stones noch eingelagert sein? Nach 56 Jahren als Band, nach 23 Studioalben und einer dreistelligen Anzahl von Singles könnte man davon ausgehen, man habe von ihnen alles gesehen und gehört, was Geltung hat. Erst recht, wenn eine Veröffentlichung innerhalb der From The Vault-Serie auch schon der sechste Teil ist, die Archive also womöglich schon um die wirklich relevanten Fundstücke beraubt sind.

Und dann kommt Mick Jagger zu Beginn von Sticky Fingers – Live At The Fonda Theatre 2015 zu Start Me Up auf die Bühne – und er sieht aus, als hätte er sich den ganzen Tag, sein ganzes Leben auf die Möglichkeit gefreut, dieses Konzert zu geben, dieses Publikum zu beglücken und dieses Lied zu singen, so energisch und überzeugend ist er. Das bleibt auch in den folgenden Songs die Botschaft dieser Show, die am 20. Mai 2015 in Los Angeles aufgezeichnet wurde: Diese Sache mit den Rolling Stones funktioniert immer noch. Die Band, manchmal auf die Kernbesetzung reduziert, öfter um ein paar Musiker aus der Tourband ergänzt, ist packend, spielfreudig, authentisch.

Natürlich liegt der Wert dieses Konzertmitschnitts, der als DVD, Blu-ray, als Set mit DVD plus CD sowie als DVD plus drei LPs erschienenen ist, nicht darin, dass man hier eine sehr gute Live-Performance der Rolling Stones dokumentiert bekommt. Zum Teil der From The Vault-Reihe wurde er, weil sich an diesem Abend in Hollywood etwas Historisches ereignete: Zum ersten Mal spielten die Rolling Stones das 1971 veröffentlichte Sticky Fingers in voller Länge. Die Tracklist wurde für die Show im Vergleich zum Original-Album zwar verändert, doch die Aufregung, mit der sowohl Band als auch Publikum sich dieser Gelegenheit widmen, ist schnell ansteckend.

Sway hat Ecken und Kanten (und viele Gitarrensoli), Can’t You Hear Me Knocking wird unter anderem mit einem Saxofonsolo und Percussions etwas opulenter, am Ende sogar fast orgiastisch. Das als „extra langsam“ angekündigte I Got The Blues erweist sich als sagenhaft intensiv, in Bitch nimmt sich Keith Richards viele Freiheiten für seine Gitarre, Wild Horses hat nichts von Routine, sondern ist nichts weniger als ein sehr bewegender Moment. Brown Sugar, das auf Sticky Fingers den Auftakt macht und hier das reguläre Set abschließt, scheint jedem auf der Bühne und im Publikum eine Injektion mit Energie, Jugend und Sex zu verpassen. Danach gibt es Schmankerl noch eine Coverversion von BB Kings Rock Me Baby (mit starkem Mundharmonika-Solo von Mick Jagger) und Jumping Jack Flash, das auch 47 Jahre nach seiner Veröffentlichung wie eine Urgewalt klingt.

Zweimal ist Mick Jagger an der Gitarre zu sehen (bei Dead Flowers akustisch, bei Moonlight Mile elektrisch), zweimal schwächelt er als Sänger auch ein wenig, worüber die meisterhafte Performance nur fast hinwegtäuschen kann. In Sister Morphine klingt sein Gesang gekünstelt, auch in You Gotta Move scheint er mehr Gefallen daran zu finden, seine Stimme zu hören, als sich wirklich in den Song hineinzulehnen. Das sind freilich winzige Defizite in einem insgesamt glorreichen Konzert. Fast ebenso sehr wie beim Geschehen auf der Bühne wird das beim Blick auf die Fans im Publikum deutlich, denen man ansieht, wie besonders und bewegend dieser Abend für sie ist. Mick Jagger selbst scheint von der Erfahrung so angetan zu sein, dass er zwischendurch meint, die Band könnte doch demnächst doch auch Their Satanic Majesties Request in voller Länge auf die Bühne bringen. Man darf diese Ansage als Scherz verstehen, denn das 1967 veröffentlichte Album gilt erstens als einer der wenigen Flops im Katalog der Rolling Stones, zweitens haben sie fast keines der darauf enthaltenen zehn Stücke jemals live gespielt. Nach diesem Abend im Fonda Theatre würde man sich aber fast wünschen, sie würden es mal versuchen.

Die Rolling Stones spielen Brown Sugar live im Fonda Theatre.

Website der Rolling Stones.

Michael Kraft

Michael Kraft ist Diplom-Journalist und lebt in Leipzig. Auf shitesite.de schreibt er seit 1999 als Hobby über Musik, Filme, Bücher und ein paar andere Dinge, die ihn (und vielleicht auch den Rest der Welt) interessieren.

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