Roy Bianco & Die Abbrunzati Boys

Künstler*in Roy Bianco & Die Abbrunzati Boys

Roy Bianco & Die Abbrunzati Boys Greatest Hits Kritik Review
Roy Bianco & Die Abbrunzati Boys mögen auch mehr als eine Pferdestärke.
Album Greatest Hits
Label RCA
Erscheinungsjahr 2020
Bewertung

Fragt man 29.004 Erwachsene aus 26 Ländern, welche Tourist*innen sie nicht besonders gerne in ihrer Heimat begrüßen (wie es das Meinungsforschungsinstitut YouGov gerade getan hat), dann landen die Deutschen unter den Top5. Nur Brit*innen und Russ*innen sind im internationalen Vergleich als Feriengäste noch deutlich unbeliebter.

Es kommt allerdings auch drauf an, wen man fragt. Während deutsche Urlauber*innen in Spanien einen besonders schlechten Ruf haben (bei 17 Prozent der Befragten aus Spanien werden sie auf Platz 1 der Unbeliebtheitsskala genannt), zählen sie in Italien zu den liebsten Kund*innen. Fragt man Italiener*innen, woher für sie die idealen Tourist*innen kommen, nennen 18 Prozent die Feriengäste aus Deutschland.

Roy Bianco & Die Abbrunzati Boys (bis kurz vor Veröffentlichung dieses Debütalbums trug der Frontmann der Band aus München und Augsburg noch den Künstlernamen Roberto Bianco) scheinen das zu wissen, nicht erst seit Karl dem Großen oder Goethe. Sie kennen die Strahlkraft, die Italien für Menschen nördlich der Alpen hat. Schließlich lässt sich dort alles finden, was in Deutschland fehlt: gutes Wetter, leckeres Essen, elegante Mode, Wertschätzung für Familie und Lebensart. Dass die Deutschen mit Beginn des Massentourismus zuerst Italien für sich eroberten, lag eben nicht nur an der geografischen Nähe und der Tatsache, dass man sich dort nicht allzu lange für die eigene Nazi-Vergangenheit rechtfertigen musste. Es lag daran, dass Italien alles repräsentierte, was wir noch heute mit Urlaub assoziieren. Man konnte dort plötzlich selbst zum Genussmenschen werden und Leichtigkeit zulassen, selbst als verspießter, traumatisierter Gast aus dem Land von Konrad Adenauer.

Das wirkt bis heute fort, auch in der Musik. Während auf Spanisch gelegentlich mal ein Sommerhit in unsere Breiten vordringt (Bailando, Macarena, La Camisa Negra), dessen Interpret*innen dann aber kaum dauerhaft Spuren hinterlassen, gehören die größten italienischen Namen wie Eros Ramazotti, Gianna Nannini, Zucchero, Adriano Celentano oder Umberto Tozzi auch hierzulande zu den Pop-Acts, die jeder kennt. Nicht zuletzt hat die Apennin-Republik mit dem derzeit wieder schwer angesagten Italo-Pop oder dem Sound von Giorgio Moroder auch international bleibenden Eindruck gemacht. Und es gibt obendrein italienische Musiker*innen, die es geschafft haben, die deutsche Sehnsucht nach dem Süden in ein Klangewand mit deutschen Texten zu packen. An erster Stelle sind da Albano & Romina Power zu nennen – und an zweiter Stelle nun beinahe schon Roy Bianco & Die Abbrunzati Boys, die man mit diesen Greatest Hits guten Gewissens in diese Tradition stellen darf.

Die Legende, die diese Band um sich gesponnen hat (demnach wurden sie 1982 am Gardasee gegründet, haben internationale Wettbewerbe gewonnen und sind nach zwischenzeitlicher Auflösung seit 2016 wieder vereint) ist fast so gut wie ihre Musik und wird von ihnen genauso konsequent und stilecht verfolgt wie die Soundästhetik dieser Ära. Man kennt dieses Spiel mit der ironischen Unterwanderung des Schlagers, seiner verlogen großen Gefühle und auch seines Hangs zum schmierigen Exotismus beispielsweise von Alexander Marcus oder Christian Steiffen. Ihnen gegenüber haben Roy Bianco & Die Abbrunzati Boys einen entscheidenden Vorteil: Weil sie monothematisch sind, steigert sich der parodistische Effekt und zugleich wird auch die unverkennbare Liebe dieser Musiker zu ihrem Genre noch deutlicher.

Die Greatest Hits beginnen mit der auf einer E-Gitarre gespielten Eurovisions-Hymne, bis jemand, der eindeutig kein Muttersprachler ist „Bon giorno“ sagt. Damit sind die Koordinaten gesetzt: Zwischen Völkerverständigung und Volkshochschule besingt das Sextett seine Vorstellung von Bella Italia, bis (warum auch immer) ihre Version von Die Gedanken sind frei das Album abschließt.

Bei Ponte di Rialto scheint ihr Auftrag zu lauten „Packe alle Venedig-Klischees in fünf Minuten, und dann bitte noch acht Galeeren-Ladungen Schwulst obendrauf!“, in Vino Rosso trällert die Trompete, rollt das R und im Rebensaft-Rausch kann man das Bild vielleicht sogar plausibel finden, dass schließlich auch Montepulciano und Chianti „rot wie die Liebe“ sind. Die Orgel klingt derweil ungefähr so seriös wie der Ort, in dem sich Roberto Bianco so unsterblich in seine Antonella (deren Name später natürlich noch auf „Mortadella“ gereimt wird) verliebt hat, nämlich eine Spielhalle.

Das umwerfende Baci träumt von Küssen, Ferrari und Meer, die wichtigste Zutat dabei ist Eingängigkeit. Auch Alitalia zeigt, dass man hier nicht nur Witzbolde vor sich hat, sondern Musiker mit viel Talent für Melodie. Die hoch defizitäre Fluglinie wird in diesem Lied zur Verkörperung des Fernwehs mit dem Versprechen „Nach den Alpen nur das Glück“, und es klingt, als würde der Refrain wirklich abheben in Richtung einer schöneren Welt, einer Zukunft voller Liebe, Adria, Peroni, Sonne und Dolce Vita. In Palermo ist natürlich auch wieder die große Liebe ausgebrochen, sie gilt einem Mädchen („in ihren Augen große Träume / und ihr Gesicht ein offenes Buch“), das den umgekehrten Weg sucht, nämlich den nach Norden und zu Wohlstand, notfalls wohl auch als Urlaubs-Mitbringsel eines deutschen Touristen.

Maranello vertont den Traum vom Rasen im Luxus-Sportwagen als Mischung aus Italo-Pop und einem dramatischen Falco-Finale. Der Abschied hat immer Saison trauert einem Ferienflirt nach und bräuchte nur einen Hauch weniger Ironie, um auch zu den Flippers zu passen. Capri ’82 bringt als Ballade zum E-Piano schon im Titel die (westdeutsche) Nostalgie nach vermeintlich seligen Zeiten zum Ausruck („Das Leben, es war fantastisch / nichts war seitdem noch so schön wie Capri ’82“), die sich in diesen Greatest Hits immer wieder findet, und paart sie hier mit durchaus glaubhafter Leidenschaft.

Es ist eine große Stärke von Roy Bianco & Die Abbrunzati Boys, dass ihre Begeisterung für Bella Italia zwar glaubhaft ist, aber nie so überhöht wird, wie wenn beispielsweise Wanda stumpf „Bologna!“ oder „Amore!“ krakelen. Vor allem erkennen sie, dass die Italien-Liebe der Deutschen in der Regel keiner Großherzigkeit entspringt (siehe die eingangs erwähnte YouGov-Umfrage), sondern einem heimlichen Neid auf so viel Schönes, dem man hierzulande nur unnützen Blödsinn wie Exportüberschüsse, Mülltrennung und ein stabiles politisches System entgegensetzen kann.

Zweimal lassen sie auf Greatest Hits fast unbemerkt diese Fratze des hässlichen Deutschen auftreten. In Dolce Vita hat er im Casino von San Remo all seine Jetons verloren und hält das für eine Unverfrorenheit, er beschwert sich entsprechend protzig, selbstgerecht und übellaunig, weil er es schlicht für angemessen hält, dass seine Gier im Urlaub auch belohnt wird. Cococabana verschiebt das Urlaubsidyll aus Südeuropa nach Südamerika, einschließlich des Imperativs „Jetzt bin ich endlich hier / tanz den Samba mit mir!“, der eher zu einem Eroberer oder Kolonialherrn passt als zu einem Gast. Dass Deutsche zu so viel Selbstkritik, Ironie und nicht zuletzt Spaß in der Lage sind wie Roy Bianco & Die Abbrunzati Boys, ist angesichts solcher in den weltweiten Ferienresorts durchaus noch real existierender Landsleute sehr wohltuend.

Roy Bianco & Die Abbrunzati Boys senden Grüße aus Venedig.

Website von Roy Bianco & Die Abbrunzati Boys.

Michael Kraft

Michael Kraft ist Diplom-Journalist und lebt in Leipzig. Auf shitesite.de schreibt er seit 1999 als Hobby über Musik, Filme, Bücher und ein paar andere Dinge, die ihn (und vielleicht auch den Rest der Welt) interessieren.

Alle Beiträge ansehen von Michael Kraft →

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.