Runner Always Repeating Albumkritik

Runner – “Always Repeating”

Künstler*in Runner

Runner Always Repeating Review Kritik
Nur die Hälfte der Songs auf “Always Repeating” ist neu.
Album Always Repeating
Label Run For Cover
Erscheinungsjahr 2021
Bewertung Foto oben: (C) Fleet Union / Helen Ballentine

Man könnte Noah Weinman, den Mann hinter Runner, für uninspiriert oder gar faul halten, wenn man auf die Tracklist von Always Repeating schaut. Denn die Hälfte der hier versammelten zehn Songs hat er schon einmal veröffentlicht. Fünf Lieder sind nämlich lediglich neu aufgenommene Versionen von Songs, die schon 2017 auf seinem Debütalbum Awash beziehungsweise im vergangenen Jahr auf der EP One Of One erschienen sind.

Allerdings zeigen die Credits zugleich, dass er keineswegs arbeitsscheu ist. Weinmann hat die Platte, die zwischen Providence, Los Angeles und New York entstanden ist und schließlich in Massachusetts und Woodstock aufgenommen wurde, selbst produziert und die meisten Instrumente (Gitarre, Bass, Trompete, Banjo, Klavier und Keyboards) auch selbst eingespielt. “Es sollte sich ehrlich und hausgemacht anfühlen und ein wenig rau”, erklärt Weinman zu seiner Entscheidung, auf ein sehr reduziertes Setting (live tritt er hingegen manchmal mit einem Sextett auf) und ein mobiles Studio zu setzen. “Aber das schließt nicht aus, dass man sich auf den Song einlässt. Als wäre man im Raum und würde zuhören, wie das Ganze entsteht. Ich habe versucht, einige Artefakte des Prozesses zu bewahren, damit er sich präsent anfühlt.”

Dass er sich dabei auch erneut mit bereits vorhandenem Material auseinander gesetzt hat, ist keine Bequemlichkeit, sondern führt letztlich zum Kern seines Schaffens. Der Albumtitel Always Repeating verweist darauf ebenso wie sein Künstlername als Runner: Weinman ist ein Suchender, Getriebener, Heimatloser. Er hat in Ohio studiert, ging dann zurück nach Los Angeles (wo er auch derzeit lebt), bereute das aber schnell: “Das ging bis zu einem Punkt, an dem ich glaubte, dass all die Menschen, die ich kannte und getroffen hatte, vielleicht gar nicht existierten. Ich hatte den Kontakt zu allen verloren. Ich war wirklich einsam. Ich habe diese Lieder geschrieben, um die Hand auszustrecken und zu versuchen, wieder eine Verbindung herzustellen. Es ist interessant, dass sich die Gefühle, die ich damals hatte, mit den Gefühlen überschneiden, die ich im vergangenen Jahr hatte, wo sich wohl jeder irgendwie weit weg und entfernt gefühlt hat.”

Das Element der Desorientierung hat auf diesem Album also gleich drei Ausprägungen. Es beschreibt erstens die verwirrende Stituation der Pandemie-Welt. Es ist zweitens geografisch gemeint im Sinne einer Entwurzelung. Und es ist drittens biografisch zu verstehen: Das Gefühl, nach dem Studium keinen Anschluss mehr zu finden und nicht mehr zugehörig zur Welt zu sein, ist natürlich auch ein typischer Effekt des Prozesses, den man verharmlosend so gerne “Erwachsenwerden” nennt.

“Als ich das College verließ, war ich unsicher und ängstlich, und ich wusste, dass ich Veränderungen vor mir hatte, aber ich war mir nicht sicher, ob ich bereit war, sie zu vollziehen”, sagt Weinman bezeichnenderweise. “Ich kreiste nur in meiner eigenen Angst und Unentschlossenheit, und jetzt bin ich wieder dabei, dieselben Songs aufzunehmen, in einer Welt, die in vielerlei Hinsicht noch unsicherer ist als damals. Dass ich mit Einsamkeit und Ängsten kämpfe, gilt für die gesamte Musik, die ich schreibe. Und ob Pandemie oder nicht, diese Lieder würden sich immer noch relevant anfühlen. Ich habe es damals durchgemacht, ich mache es jetzt durch, und ich werde es wahrscheinlich in ein paar Jahren wieder durchmachen.”

Die teilweise vier Jahre alten Songs sind also auch deshalb hier erneut vertreten, weil sie schlicht und ergreifend noch immer ausdrücken, was dieser Künstler fühlt. Dass Weinman in einer Schleife feststeckt, dies sogar erkannt hat, aber das eben noch lange nicht reicht, um daraus auszubrechen, verleiht seinen Liedern so viel Tragik. Das vielleicht beste Beispiel dafür ist New Sublet, das mit einer klasse Atmosphäre beweist, dass man ganz viel emotionale Tiefe in einen Song über einen Abend packen kann, den man einfach bloß bei Immoscout24 vor dem Rechner verbracht hat: “Sitting drunk on the internet / looking at prices of places / for cities you don’t live in and you’ve never been / you’re just getting addicted to starting all over again.”

Diese Fähigkeit, den eigenen Weltschmerz auch mit großem Abstand und sogar mit einem Hauch von Selbstironie betrachten zu können, ist ein weiterer großer Pluspunkt bei Runner. So heißt es etwa in Urgent Care: “You were whom I’d hoped to see  / sitting in your favorite chair / the third time this week / that we’ve both been here / at urgent care”, zu einem stolpenden Beat aus der Maschine, der einen seltsamen Kontrast mit dem urtümlichen Banjo bildet.

Musikalisch bietet Always Repeating sonst gerne verwunschene Sounds wie in Bodysurfing, manchmal auch etwas mehr Präsenz (Heliotrope) oder eine Prise Psychedelik (Captain Stupido). Noch reduzierter als die hier gängigen Arrangements wird der Schlusspunkt Skewed, ganz zu Beginn der Platte, demonstriert Awash derweil, was bei Runner mit extrem wenigen Mitteln möglich wird: Kern dieses Lieds ist eine ganz einfache Schrammelgitarre, und das wäre allein von Akkordfolge und Sound her eigentlich todlangweilig, würde es nicht von so göttlichem Harmoniegesang und einem so cleveren Text begleitet.

Monochrome wird toll zerbrechlich und wehmütig, rund um großartige Zeilen wie diese: “I was scared to let you cut me open / ’cause you’re not gonna like what you find”, ebenso schmerzhaft ehrlich werden auch Trundle Bed (“And someday I’d like to ask if all this distance feels all right / but we don’t talk much and when we do we always fight”), das sehr gekonnt mit sanften Bläsern spielt, und Ur Name An A Grain Of Rice (“And I hate talking on the phone / because my speaking voice is boring / and I can’t stand to be alone / ’cause it’s so easy to ignore me”), das Selbstmitleid auf meisterhafte Weise in Wohlklang verwandelt.

“Der Akt des Songschreibens und die Zeit, in der ich alleine bin und Songs schreibe, sind für mich eine Möglichkeit, meine Gefühle zu verarbeiten”, sagt Weinman. “Ich schreibe Lieder in der Hoffnung auf eine Verbindung: Wenn jemand anderes sich weniger allein fühlt, wenn er meine Musik hört, dann fühle ich mich vielleicht auch weniger allein.”

Das Video zu Monochrome hat eindeutig mehr als eine Farbe.

Runner bei Instagram.

Michael Kraft

Michael Kraft ist Diplom-Journalist und lebt in Leipzig. Auf shitesite.de schreibt er seit 1999 als Hobby über Musik, Filme, Bücher und ein paar andere Dinge, die ihn (und vielleicht auch den Rest der Welt) interessieren.

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