Ryley Walker – „The Lillywhite Sessions“

Künstler Ryley Walker

The Lillywhite Sessions Ryley Walker Review Kritik
Mit den „Lillywhite Sessions“ huldigt Ryley Walker der Dave Matthews Band.
Album The Lillywhite Sessions
Label Dead Oceans
Erscheinungsjahr 2018
Bewertung

Warum Ryley Walker seine eigene Version der Lillywhite Sessions gemacht hat, ist eine berechtigte Frage. Er kann sie allerdings schnell und einleuchtend beantworten: The Lillywhite Sessions sind ein offiziell nie veröffentlichtes Album der Dave Matthews Band aus dem Jahr 2001. Diese Combo ist in den USA zwar deutlich bekannter und erfolgreicher als hierzulande, aber auch dort weit davon entfernt, als cool zu gelten. Ryley Walker allerdings war schon als Kind in den Vororten von Chicago ein Fan dieser Band. Jetzt nutzt er seinen Status als der „wahrscheinlich experimentierfreudigste Singer-Songwriter, den die USA derzeit zu bieten haben“ (Eclipsed), um vielleicht ein bisschen von seiner eigenen Coolness auf die Helden von einst zu übertragen und der Welt zu zeigen: Schaut mal, was das für interessante Musik ist!

Diggin‘ A Ditch interpretiert er mit baufälligem Gitarrensound und ordentlichem Schwung, sodass man etwa an die Lemonheads denken kann. Ebenso überzeugend ist Grace Is Gone, das erstaunlich filigran und elegant wird für ein Liebeskummer-Sufflied. Busted Stuff eröffnet das heute erscheinende Album als lässiger und etwas verschlafener Folkrock. Wenn Ryley Walker singt, kann man glauben, seine Stimme bestehe aus nichts anderem als Sensibilität, in den instrumentalen Passagen geht es schnurstracks Richtung Jazz.

Und mit diesem Begriff sind wir beim Problem von The Lillywhite Sessions angekommen, die Walker erneut mit seinen langjährigen Mitstreitern Andrew Scott Young und Ryan Jewell aufgenommen hat. Wie in diesem Genre üblich, gibt es in den Stücken reichlich Teile, die offensichtlich nur aneinander gehängt sind, um noch ein bisschen mehr Virtuosität und Vielfalt zeigen zu können, aus Neugier der Musiker auf einen bestimmten Klang oder aus der schieren Notwendigkeit, den Saxofonisten, den man in der Band hat, eben auch mal halbwegs prominent einzubinden. Niemals jedoch fügen sich einzelne Passagen im Sinne des Songs zusammen, nirgends mit dem Eindruck von Zwangsläufigkeit, der eine herausragende Komposition auszeichnet.

Grey Street erzeugt mit Soul-Elementen eine subtile und erotische Spannung wie bei Roachford, integriert dann aber reichlich Holzbläser, die keinerlei Notwendigkeit haben. Das instrumentale Sweet Up And Down will funky sein, wird aber schnell langweilig. Big Eyed Fish klingt wie Jamiroquai (auch nicht gerade der Inbegriff von Coolness) kurz vor dem Wegdämmern, Raven zeigt als Schlusspunkt der Platte, dass Pearl Jam als Softjazz auch keine allzu gute Idee sind.

Captain ist in seinem Kern wohl ein Blues, auch wenn Ryley Walker hier sehr ätherisch wird und zwischendurch wieder eine ungesunde Lust auf kakophonische Experimente offenbart. JTR hat zunächst eine verheißungs- und schwungvolle Leichtfüßigkeit, dann passiert aber viel zu lange nichts Erwähnenswertes mehr, schließlich gibt es gut sieben Minuten lang bloß Töne, Geklimper und nervtötende Anti-Musik. Auch das anfangs angenehm zurückhaltende Bartender kippt spätestens beim Wort „Jesus“ in Weinerlichkeit und auch hier muss man wieder gut vier Minuten musikalisches Kauderwelsch zum Abschluss ertragen.

Momente wie den Kit Kat Jam kann man immer wieder erleben, wenn eine vergleichsweise konventionelle Band (Spin Doctors, Counting Crows) beschließt: Komm, wir zeigen mal, dass wir auch ganz anders können, und zwar total kompliziert! Monkey Man ist eine Klangcollage mit elektronischen Effekten, die so sehr nach E-Musik schreit, dass man schnell nachvollziehen kann, warum Ryley Walker im April 2019 in der Hamburger Elbphilharmonie spielen wird.

Mit den Lillywhite Sessions hat er zwar erneut großen Mut bewiesen, einen Gefallen hat er seinen einstigen Helden von der Dave Matthews Band damit allerdings nicht unbedingt getan. Es ist ein bisschen, als würde Mac DeMarco plötzlich seine heimliche Liebe zu Huey Lewis & The News ausleben, oder Robyn ihre jarzehntelang verdrängte Leidenschaft für Roxette. Nur dass Huey Lewis und Roxette bessere Songs für so eine Neuinterpretation gehabt hätten.

So klingt die Dave Matthews Band aus dem Mund von Ryley Walker.

Website von Ryley Walker.

Michael Kraft

Michael Kraft ist Diplom-Journalist und lebt in Leipzig. Auf shitesite.de schreibt er seit 1999 als Hobby über Musik, Filme, Bücher und ein paar andere Dinge, die ihn (und vielleicht auch den Rest der Welt) interessieren.

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