Sag mir nichts

Film Sag mir nichts

Sag mir nichts Filmkritik Rezension
Lena (Ursina Lardi) und Martin (Ronald Zehrfeld) beginnen Hals über Kopf eine Affäre.
Produktionsland Deutschland
Jahr 2016
Spielzeit 90 Minuten
Regie Andreas Kleinert
Hauptdarsteller Ursina Lardi, Ronald Zehrfeld, Roeland Wiesnekker, Sarah Hostettler
Bewertung

Worum geht’s?

Lena und Martin begegnen sich in der S-Bahn. Aus einem Blickkontakt wird eine spielerische Verfolgungsjagd, dann haben die beiden Sex auf dem Parkplatz einer Schwimmhalle – ohne ein Wort miteinander gesprochen zu haben. Beide sind in einer Beziehung. Die Fotografin Lena sorgt sich wegen ihrer Teenager-Tochter und der ausbleibenden Aufträge für ihr Foto-Atelier. Der Reporter Martin träumt von einem Karrieresprung nach Berlin und wird von seiner Frau mehr oder weniger deutlich dazu gedrängt, endlich mit ihr eine Familie zu gründen. Als sie sich zufällig beim Einkaufen wieder begegnen, wird aus dem leidenschaftlichen Abenteuer eine Affäre. Sie tauschen Nummern aus, treffen sich in Hotels, fahren gemeinsam in einen Kurzurlaub – alles in aller Heimlichkeit. Bald haben beide das Gefühl, nicht mehr ohne einander leben zu können, aber sie zögern, ihr altes Leben aufzugeben.

Das sagt shitesite:

Den Satz „Sag mir nichts“, sagt die Frau von Martin, als sie seine Affäre entdeckt hat und die Illusion einer glücklichen Beziehung aufrecht erhalten will. Stark in diesem Film sind tatsächlich die ungesagten Dinge, von der ersten Begegnung der beiden Hauptfiguren bis zum Schluss des Films. Was macht die Anziehungskraft zwischen Lena und Martin aus? Was macht sie unglücklich in ihren Beziehungen? Braucht es da überhaupt ein Defizit, um einen Seitensprung zu wagen? Was hält sie davon ab, sich voll und ganz auf diese neue Liebe einzulassen? Ist das wirklich die große Liebe oder nur eine flüchtige Obsession? Und wenn es Letzteres ist: Wie lange wird sie halten und wird sich daraus vielleicht doch noch Liebe entwickeln?

All diese Fragen stellt Sag mir nichts, ohne sie jemals explizit zu diskutieren. Dass das so gut funktioniert, liegt natürlich auch an Ursina Lardi und Roland Zehrfeld in den Hauprollen, die genauso glaubhaft die heftige Leidenschaft in den expliziten, aber nicht reißerischen Erotikszenen dieses Films rüberbringen wie sie den Kampf mit dem Alltag zeigen. Der Beginn des Films lässt zwar noch befürchten, es werde hier ebenso schlüpfrig wie unglaubwürdig: So intensiv der Blickkontakt in der S-Bahn ist, so alltäglich die Situation des kleinen Ego-Boosts und Nervenkitzels eines spontanen Flirts, so unglaubwürdig ist dennoch, dass die beiden völlig Fremden in aller Öffentlichkeit übereinander herfallen und sich danach mir nichts, dir nichts trennen.

Zugleich zeigt diese Szene, die wie ein zur Realität gewordener feuchter Traum anmutet, letztlich die Kernidee des Films: Fantasien können wahr werden – sogar solche, von denen man gar nicht (mehr) wusste, dass sie in einem stecken. Es ist dieser Abgleich von Wunschtraum und Wirklichkeit, der Sag mir nichts prägt. Denn auch wenn sich Lena und Martin zunächst wie Teenager verhalten (eine schöne Entsprechung für diesen Taumel sind die bildschirmfüllend angezeigten SMS-Nachrichten der beiden Verliebten, die mit ihrer enormen Schriftgröße verdeutlichen, dass sie für sie im jeweiligen Moment die wichtigsten Wörter der Welt sind), müssen sie doch erkennen: Die Normalität ihres alten Lebens, die sie vielleicht sogar für Glück hielten, erscheint ihnen nicht mehr erstrebenswert, nachdem sie sich getroffen haben. Doch auch das vermeintlich Unverbindliche muss irgendwann definiert werden, einen Namen bekommen, eine Perspektive. So offensichtlich sie vor Routinen fliehen, frei sein, jung sein und neu anfangen wollen, so erkennen sie auch: Ohne Verpflichtungen können sie auch innerhalb dieser stürmischen, obsessiven Beziehung nicht bleiben.

Das liegt auch daran, dass es beiden bei diesem Seitensprung letztlich nicht um die erotische Anziehungskraft geht, nicht um den Sex oder die Spannung, die aus der Gefahr erwächst, ertappt zu werden. Es geht ihnen um die Person, um die Verbindung, um die Möglichkeit, ein neues Leben zu denken. Das macht Sag mir nichts so packend und glaubwürdig, am besten zum Ausdruck gebracht in der stärksten Szene des Films, als Lena verzweifelt, zerrissen und schwer angetrunken in der Silvesternacht zu The Prodigy tanzt. „Breathe the pressure / come play my game, I’ll test ya“, schallt es da aus den Lautsprechern. Und auch wenn wir wissen, dass es der Gesang von Keith Flint ist, der diese Worte artikuliert, so könnte es doch auch die Stimme des Lebens sein.

Bestes Zitat:

„Irgendwann wird da jemand sein, der es wert ist, dass es weh tut.“

Eine Szene aus dem Film.

https://www.youtube.com/watch?v=gkBZPm9lABg

Michael Kraft

Michael Kraft ist Diplom-Journalist und lebt in Leipzig. Auf shitesite.de schreibt er seit 1999 als Hobby über Musik, Filme, Bücher und ein paar andere Dinge, die ihn (und vielleicht auch den Rest der Welt) interessieren.

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