Künstler | (Sandy) Alex G | |
Album | Rocket | |
Label | Domino | |
Erscheinungsjahr | 2017 | |
Bewertung |
Ein Gastauftritt hat in der Regel einen einfachen Zweck: Cross-Promotion. Der Einladende holt sich ein bisschen frisches Blut für sein Werk, der Eingeladene steigert im besten Falle seine Bekanntheit, beide demonstrieren, wie gut sie vernetzt sind. Es dürfte äußerst selten vorkommen, dass so ein „Featuring“ oder die Rolle als Gastmusiker bei einem der Beteiligten für eine künstlerische Neuorientierung sorgt.
Bei Alex Giannascoli alias (Sandy) Alex G ist das allerdings passiert. Er spielte 2016 die Gitarre auf zwei Alben von Frank Ocean und bekam dadurch nicht nur reichlich Aufmerksamkeit für seine eigene Musik, sondern auch wieder mehr Lust auf Zusammenarbeit mit anderen Künstlern. „Ich habe mich immer damit schwer getan, andere Leute auf meinen Platten spielen zu lassen. Als ich aber sah, wie wohl er sich damit fühlte, die Beiträge anderer Musiker zu verwenden, hat sich das ein wenig geändert“, sagt der 23-Jährige. Rocket, sein achtes Album, wimmelt deshalb geradezu vor Gastauftritten. Samuel Acchione (Gitarre) und John Heywood (Bass), beide Mitglieder in der Tourband von (Sandy) Alex G, machen mit, auch Colin Acchione, der Bruder von Samuel, ist auf Rocket zu hören. Emily Yacina singt bei zwei Liedern mit, dazu kommt Molly Germer als Violinistin und Sängerin. Sogar seine Schwester Rachel hat einen Gastauftritt: Sie hat das Cover des Albums gemalt.
Der kunterbunte Haufen passt bestens zur Arbeitsweise des Manns aus Philadelphia. Denn das Werk von (Sandy) Alex G ist weit davon entfernt, eine intime oder autobiographische Entsprechung seiner Persönlichkeit zu sein. Viel lieber schlüpft er für seine Lieder in andere Figuren und spielt mit den Erzählperspektiven. Das gilt auch auf Rocket. „Ich habe versucht, Narrative zu erschaffen, in denen sich jeder Zuhause fühlen kann, die aber zugleich etwas konkreter sind“, sagt er über das Album, an dem er fast unmittelbar, nachdem Beach Music (2015) erschienen war, zu arbeiten begann.
Das hat ziemlich erstaunliche Effekte. Der vergleichsweise schmissige und zupackende Countryrock von Proud fängt als Lobeshymne an und wird am Ende zur Abrechnung. Der später besungene Bobby scheint ein schlechter Einfluss zu sein, in jedem Fall meint das die Angebetete, der hier zu einem sehr ursprünglichen Country-Sound alles untergeordnet wird. Die Kraft, die (Sandy) Alex G in Powerful Man anstrebt, muss er sich ein bisschen einreden, und er will sie auch nutzen, um anderen beizustehen. In diesem Song ist die Geige von Molly Germer besonders prominent zu hören. „Sie hat damit eine wichtige Ebene eingebracht, die ich alleine nicht hinbekäme“, hat Alex G erkannt.
Die Vielfalt der Figuren auf Rocket entspricht dem bunten Mix an Genres. County erweist sich als Jazz-Pop, der erst abstrakt und ambient ist (wollen wir es „abstrient“ nennen?), dann etwas mondän. Ein luftiges Schlagzeug und der Stimmeffekt lassen Witch in die Nähe der Flaming Lips rücken, Brick ist so rabiat und irre, dass man es sich gut von den Beastie Boys vorstellen könnte. Am Ende des Auftaktsongs Poison Root wiederholt er unzählige Male „Now, I know everything”, zuvor gibt es mit akustischer Gitarre und näselndem Gesang die Grundelemente dieser Platte, dazu oft kleine, aber wohl gesetzt Beiträge von Banjo, Streichern, Klavier und sogar Hundegebell.
Horse wird ein spooky Instrumental, auch der Titelsong kommt ohne Text aus. „Mir gefällt das Wort ‘rocket’, weil es so unreif klingt und so sehr nach Aufmerksamkeit heischend“, erklärt (Sandy) Alex G die Wahl für den Albumtitel. Judge klingt wie ein verlorener Grunge-Klassiker – als dann der Gesang einsetzt, wird es zwar etwas heiterer, wäre aber beispielsweise auf Mellon Collie weiterhin gut aufgehoben gewesen. Das reduzierte Big Fish erinnert an die akustischen Balladen von J Mascis, Guilty schließt das Album mit etwas swingender Jazz-Ausgelassenheit ab.
„Ich will, dass Rocket komplett anspruchslos ist. Es sollte voller Figuren sein, die überhaupt nicht wissen, wie durchgeknallt sie sind“, erklärt der Künstler. So erzählt er in Alina aus der Sicht eines Schulmädchens, verträumt, hoffnungsvoll und etwas verworren. Noch beunruhigender wird Sportstar. Das Lied nimmt zu Auto-Tune und einer dominanten Klavierfigur die Sicht eines obsessiven Fans ein. „Let me tie your Nikes”, ist dabei noch die harmloseste Bitte an den Star. Wenn (Sandy) Alex G mit seinem quantitativ üppigen und qualitativ besonderen Output so weiter macht, dürfte es nicht mehr lange dauern, bis er selbst mit solchen Stalkern zu kämpfen hat.