Im Zweifel soll man bekanntlich für den Angeklagten entscheiden. Einen Generalverdacht darf es ebenso wenig geben wie eine Sippenhaft. Doch der Profi-Radsport ist gerade dabei, diese juristischen Grundsätze vergessen zu machen. Egal, welche Anstrengungen die Teams und Verbände in den vergangenen Wochen unternommen haben, um ihre Sportart sauber zu machen (oder sie zumindest sauber erscheinen zu lassen) – die positive A-Probe bei Patrik Sinkewitz macht alles zunichte. Sollte sich der Dopingbefund erhärten, wäre dies vermutlich der Sargnagel nicht nur für die Karriere des 26-jährigen Pilgerzellers, sondern auch für die Radsportbegeisterung in Deutschland.
Mitleid ist dabei nicht angebracht. Nicht mit Sinkewitz, dem klar war, welche Konsequenzen ihm drohen, wenn er dopt und dabei erwischt wird. Auch nicht mit den Teams. Sie wussten genau, dass sie während der Tour de France mit Argusaugen beobachtet werden. Doch statt die Chance zu einem Neuanfang zu nutzen, gab es nur Lippenbekenntnisse. Wäre es den Rennställen wirklich Ernst, würden sie ihre Fahrer selbst testen. Doch das passiert nicht einmal beim T-Mobile-Team, dem selbst ernannten Vorreiter für einen sauberen Radsport. Betrug wird vielleicht nicht mehr propagiert, aber offensichtlich weiterhin in Kauf genommen.
Dass es ausgerechnet Sinkewitz getroffen hat, der einer jüngeren, scheinbar weniger belasteten Fahrer-Generation angehört, und ausgerechnet das T-Mobile-Team, das am energischsten aufräumen wollte, zeigt, wie tief der Sumpf in der Szene ist. Ermittlungsbehörden kommen erst nach und nach dahinter, wer wen betrügt, wer dahinter steckt und wer profitiert.
Dass Dopingtäter ihre Geständnisse medial inszenieren und dafür auch noch zu Rettern ihrer Sportart stilisiert werden wollen, führt vor Augen, wie durch und durch verlogen das Geschäft ist. Sollte die B-Probe das Doping bei Sinkewitz bestätigen, muss sich auch der Pilgerzeller diesen Vorwurf gefallen lassen. Anfang Juni in den Pyrenäen mit einem sechsfach zu hohem Testosteron-Wert unterwegs zu sein und knapp vier Wochen später in einem Interview zu erzählen, man halte nichts von Doping: Das ist schamlos.
Dass ARD und ZDF sofort aus der Live-Berichterstattung ausgestiegen sind, ist lobenswert konsequent. Schließlich haben die Enthüllungen der vergangenen Wochen auch das klar gemacht: Die stattlichen Gehälter der Rad-Idole, die ihre Höchstleistungen nur durch verbotene Stimulanzen erzielt haben, wurden jahrelang auch mit GEZ-Gebührengeldern finanziert. Das nicht mehr mitzumachen, sollten nicht nur die Sender, sondern auch die Zuschauer als selbstverständlich empfinden. Auch die Telekom, zu einem Drittel noch immer ein Staatsunternehmen, muss sich fragen, ob sie Sportkriminalität weiterhin sponsern will – zum Teil aus Steuergeldern.
Natürlich ist Sinkewitz kein Einzelfall. Natürlich wird auch in anderen Sportarten gedopt. Doch gerade deshalb sollte es keine mildernden Umstände geben. Denn es war schließlich der Sport, der die Idee der Fairness in der Welt verbreitet hat. Auch heute macht dieser Gedanke noch einen großen Teil seiner Faszination aus. Jeder Fan – auch jeder Anhänger von Sinkewitz – sollte sich das klar machen. Wer schon von den alltäglichen Tricksereien in Politik und Wirtschaft genug hat, der will nicht auch noch im Sport betrogen werden.