Schmeiß Dein Handy weg!

Voll motiviert: Der "Bulle von Ölz" beim Vorentscheid.
Voll motiviert: Der "Bulle von Ölz" beim Vorentscheid.

Die spinnen, die Finnen. Ist ja bekannt. Dennoch schaffen sie es immer wieder, den Rest der Welt mit neuen Skurrilitäten zu überraschen. Solchen wie den Leningrad Cowboys. Oder Nordic Walking. Oder Handyweitwurf.
Jawohl: An diesem Wochenende findet in Savonlinna auf der kleinen Insel Riihisaari bereits zum fünften Mal die Weltmeisterschaft in dieser Sportart statt. Wie alle Beteiligten beteuern, handelt es sich dabei keineswegs um eine Protestaktion gegen moderne Kommunikationsmittel (auch wenn ein bisschen Wut über den Crazy Frog für die Athleten sicherlich motivierend sein kann). Der Erfinder der Sportart hat zuvor auch keinen fatalen Anruf vom Finanzamt oder eine schicksalsträchtige SMS von der Schwiegermutter bekommen. Stattdessen entstand der Gedanke einer Handyweitwurf-Meisterschaft im Rahmen der Sponsorensuche für einen anderen abseitigen Wettstreit: die Luftgitarren-Meisterschaft.

Die Macher dieser Veranstaltung fragten auf der Suche nach Sponsoren auch bei einem Handy-Hersteller an. Und dieser meinte, dass er eher das Weitwerfen von Mobiltelefonen unterstützen würde als das Spielen der Luftgitarre. Wegen der wenig eleganten Absage nahm man ihn prompt beim Wort und organisierte eine Meisterschaft. Der Sponsor machte zwar einen Rückzieher, die Titelkämpfe wurden aber trotzdem ausgetragen.

Es gibt in Finnland inzwischen sogar verschiedene Disziplinen: Im klassischen Schleuderwurf über die Schulter gewann im letzten Jahr Ville Piippo mit der Weltrekordweite von 82,55 Metern. Weltmeister werden auch im Freistil (in dem es lediglich um originelle Wurftechnik geht, die von einer Jury mit Punkten bewertet wird), bei den Junioren und in Teams ermittelt. Telefone ohne Akkus oder mit Klappmechanismus sind – Ehrensache – nicht zugelassen.

Allerdings spinnen die Österreicher auch. Zumindest Micky Klemsch. Der ist nämlich ebenfalls dem Handyweitwurf verfallen und hat es bis zum Landesmeister gebracht. „Ich werde in Finnland als Favorit gehandelt“, sagt er. Das überrascht, denn bisher war der Sport fest in finnischer Hand. Bei der WM im vergangenen Jahr waren nur sechs Nicht-Finnen unter den ersten 50. „Dieses Jahr wird die internationale Beteiligung aber weitaus breiter sein, da die Berichterstattung im vergangenen Jahr nach der WM große Wellen geschlagen hat“, erwartet Klemsch.

Sein körperliches und mentales Training habe er jetzt ein Jahr lang nur auf diesen Event hin getrimmt – und dabei sogar einen Sponsor gefunden: Die Vorarlberger Bäckerei Ölz ist auf seinem T-Shirt vertreten. Passenderweise hat er sich für den WM-Antritt auch einen Künstlernamen gesucht: „Der Bulle von Ölz“.

Natürlich will ich nicht verschweigen: Die Deutschen spinnen auch. Gleich 322 Teilnehmer aus fünf Ländern kamen vor kurzem zur Handyweitwurf-EM nach Kamenz-Thonberg in Sachsen. Stefan Großmann aus Vaihingen hat mit 62,41 Metern den Titel errungen.

Mehr als 20 Meter unter dem Weltrekord also – sind die Deutschen so weit weg von den Spitzenkräften? Weit gefehlt: Grund für die geringeren Weiten sind andere Regeln. Weil die Deutschen eben ordentlich sind, wurde bei der EM in Kamenz nämlich in drei verschiedene Gewichtsklassen (die Handys, nicht die Werfer) unterteilt. Weil die Deutschen gerne Auto fahren, gibt es nach ihren Statuten beispielsweise auch eine Klasse C+, in der Autotelefone das Fliegen lernen.

„Wir haben wirklich ganz andere Regeln. Die Finnen schmeißen ja mit Akkus“, erklärt Nico Morawa die feinen Unterschiede. Der Sachse hat am 17. Oktober vergangenen Jahres mit 67,50 Metern die Bestweite in seiner Disziplin aufgestellt und ist außerdem Vizepräsident der „Vereinigung Deutscher Handywerfer e.V.“ Seit fünf Jahren gibt es diesen Verband.

Die Entstehungsgeschichte ist mindestens genauso originell wie die der finnischen Konkurrenz. „Ich habe früher in einem Geschäft für Mobiltelefone gearbeitet. Das war zu der Zeit, als die Call-Ya-Angebote aufkamen und die Leute alle keine Verträge mehr haben wollten. Damit kamen die Kunden dann nicht klar. Oft kamen sie zurück und fragten: Wie funktioniert denn dieses Ding? Was soll ich damit machen? Da haben wir irgendwann geantwortet: Schmeißen Sie es doch einfach im hohen Bogen weg“, erzählt Morawa.

Als an einem Tag so viele Geräte zurückgegeben wurden, dass eine ganze Kiste voll war, machte er die Ankündigung dann gemeinsam mit einem Kollegen wahr: „Wir gingen auf den Sportplatz und schmissen die Dinger so weit es ging. Das war die beste Frustbewältigung.“ Allerdings kam gleich erneute Enttäuschung auf: Von den Weiten, die Morawa in der Schule mit dem Schlagball erzielt hatte, blieb er nun mit dem Handy weit entfernt. „Ein ungeübter Werfer schafft höchstens 15 bis 20 Meter“, warnt er.

Es erfordere viel Training, bis man einmal an der 60-Meter-Marke kratzen kann. „Dabei geht es gar nicht so sehr um Kraft. In erster Linie ist das eine Frage der Technik“, so Morawa. Der Rekordhalter gibt auch gleich einen Tipp: Man muss das Telefon so werfen wie einen Stein, den man auf dem Wasser tanzen lassen will.

Eine Frage der Technik ist das Handywerfen aber auch noch in anderer Hinsicht. Denn nicht alle Telefone sind für große Weiten geeignet. „Anfänger greifen fast immer in die Kiste mit Nokia und Siemens, weil das die Marktführer sind. Aber Motorola und Ericsson haben viel bessere Flugeigenschaften“, verrät Morawa zur richtigen Wahl des Wurfobjekts.

Die Geräte werden bei den Wettkämpfen vom Verband gestellt. 350 Handys stehen im Moment zur Verfügung, meist ausrangierte oder defekte Telefone von Mitgliedern oder Firmen aus der Gegend. „Einige davon funktionieren auch noch. Aber das sind dann teilweise riesige Briketts von 1994, mit denen sich heute keiner mehr auf die Straße traut“, so Morawa. Einen Vorteil hätten die veralteten Geräte allerdings: Sie sind sehr robust. „Wir haben Telefone, mit denen wir schon seit fünf Jahren werfen. Bis auf ein paar kleine Kratzer halten die das aus. Das ist bei moderneren Handys mit Klappmechanismus nicht mehr der Fall. Nach ein paar Würfen sind die kaputt“, erzählt Morawa. Allen Telefonen werde vor dem Werfen der Akku entnommen. Das sei der größte Unterschied zur WM in Finnland.

Die deutschen Farben wird dort Thomas Chedor aus Nachrodt vertreten. Er gewann als absoluter Handywurf-Neuling die nationale Vorausscheidung im Juni in Bielefeld mit 77,44 Metern und rechnet sich bei der WM durchaus etwas aus. „Ich fahre da hin, um zu gewinnen“, kündigte er auf der Fähre nach Finnland an (wo ich ihn, ebenso wie zuvor Nico Morawa, erstaunlicherweise auf seinem Handy erreiche). „Ich gehe mit sportlichem Ehrgeiz an die Sache ran. Zu viel Druck will ich mir aber auch nicht machen“, lautet seine Devise.

Seit seiner Qualifikation hat er sich „nicht gezielt vorbereitet, aber zwischenzeitlich ein bisschen geworfen“. Die Trainingsgeräte stellten seine Nachbarn, die in der Mobilfunkbranche arbeiten. „Ich habe festgestellt, dass die Weite sehr vom Handy abhängt. Mit manchen komme ich bloß 15 Meter weit“, erzählt Chedor, der auf kleine Nokia-Geräte schwört.

Das nächste Highlight seiner Karriere könnte die WM 2006 in Deutschland werden. Gemeint ist ausnahmsweise nicht das Fußball-Großereignis, sondern – natürlich – der globale Wettstreit der Handywerfer. Wenn es nach Nico Morawa geht, bekommen die Finnen nämlich im nächsten Jahr Konkurrenz. Denn der WM im hohen Norden steht man beim deutschen Verband skeptisch gegenüber. „Ich finde es ein bisschen unfair, dass die WM jedes Jahr in Finnland stattfindet. Für viele Werfer ist es nicht möglich, dort teilzunehmen“, meint er. Deshalb will Morawa, der auch Vizepräsident der International Association of Mobile Phone Throwers ist, im nächsten Jahr eine eigene WM in Deutschland auf die Beine stellen. Zahlreiche Teilnehmer aus der Bundesrepublik, Österreich, Polen und den Niederlanden haben schon ihre Unterstützung angekündigt. Fragt sich bloß noch, wer nun am meisten spinnt.

Michael Kraft

Michael Kraft ist Diplom-Journalist und lebt in Leipzig. Auf shitesite.de schreibt er seit 1999 als Hobby über Musik, Filme, Bücher und ein paar andere Dinge, die ihn (und vielleicht auch den Rest der Welt) interessieren.

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