Schwarz – „White Room“

Künstler Schwarz

Schwarz White Room Review Kritik
Als Schwarz will Roland Meyer de Voltaire ein neues Kapitel seiner Karriere beginnen.
Album White Room
Label Styleheads Music
Erscheinungsjahr 2019
Bewertung

Das Ankommen scheint immer noch das große Thema von Roland Meyer de Voltaire zu sein. Er ist als Diplomatensohn in Moskau aufgewachsen und zog dann gerade in dem Alter, in dem man erkennt, dass eine Heimat keine Selbstverständlickeit ist, nach Bonn. Mittlerweile lebt er in Berlin, wo er zuletzt mit Aljoscha Pause, Megaloh, Enno Bunger oder Schiller (den er auch auf Tour begleitet hat) zusammengearbeitet hat.

Schon, als er vor gut zehn Jahren noch in der Indie-Rockband Voltaire spielte, waren Songs wie Tür und Wo das Ergebnis, die als Symbol für diese Heimatlosigkeit stehen können. Seit 2017 ist er als Schwarz aktiv, und gleich die erste Single trug den Titel Home. Auch dem heute erscheinenden Debütalbum hört man dieses Gefühl, noch immer einen Anker im Leben zu suchen, sehr deutlich an. Der Titelsong White Room blickt auf die Bedeutung des Verwurzeltseins (und scheint ein kleines Plädoyer für Weltoffenheit zu enthalten), auch in Empty Space ist die räumliche Komponente schon im Namen des Lieds erkennbar. Die Basis davon ist eine Klavierballade, der Song zeigt aber auch die Vorliebe für ungewöhnliche Sounds, die bei Schwarz teils auf verfremdeten Field-Recordings beruhen.

Wenn er im Album-Abschluss Leftwing Duckling die Zeile „I’m right where I want to be“ singt, dann scheint sich das für ihn wie die absolute Ausnahme in seinem Leben anzufühlen. Die Musik dazu könnte indes das nächste Lied sein, mit dem Deutschland beim ESC abkackt – und dieser Bezug führt zum Problem von White Room: Das Album ist handwerklich top, hat aber in vielen Passagen den Beigeschmack von Hobby und Fingerübung. Vieles ist zu reißerisch, nirgends findet sich ein Gefühl, das nicht von Pathos getrübt ist. Schwarz will hörbar mehr sein als die Gebrauchmusik, die man sonst so häufig im Genre des Elektropop findet, aber die Emotionalität bei ihm wirkt simuliert oder egozentrisch. Wenig hilfreich ist dabei auch die Spielzeit des Albums von 53 Minuten: Mit zwei, drei Liedern weniger wären ein paar der hohlen Momente sicher weniger aufgefallen.

Cold Sunlight wirkt, als hätten Muse versucht, ein Lied im Stile von Depeche Mode zu machen. Change ist sehr typisch für das Album, denn es enthält ein paar gute Momente, aber auch viel Kitsch. Beneath The Skin beginnt geheimnisvoll, später schafft es der Refrain nur beinahe, diesen Eindruck zu zerstören. In Shine bietet der Sänger dem Gegenüber seinen Beistand an zu einem sehr mondänen Sound, aber selbst das wirkt, als gehe es ihm bei diesem Scheinen nur darum, sein Karma möglichst sichtbar für alle aufzupolieren. Outside Looking In lässt glauben, jemand hätte James Blake in ein Schlager-Bootcamp geschickt. Es geht um Verwirrung, vielleicht auch Enttäuschung angesichts der eigenen Situation und all der Möglichkeiten, die da gewesen sind, angesichts all der Entscheidungen, die auch zu einer anderen Gegenwart hätten führen können. Zugleich ist klar, dass eben diese Entscheidungen auch die Möglichkeit bieten, die Situation zu verbessern.

Natürlich hat White Room auch seine hellen Momente. Ein Pluspunkt ist der vielseitige Gesang, der etwa in I Stand glänzen darf und verdeutlicht: Die Stimme von Roland Meyer de Voltaire prägt die Musik von Schwarz mehr als alles andere, egal ob sie eher prosaisch bleibt wie in der Strophe oder sich im Refrain in maximale Höhen haucht. Dass ein paar der instrumentalen Passagen des Songs als Techno durchgehen könnten, bietet dabei einen weiteren reizvollen Kontrast. Auch Ghost Of You zeigt, dass sich gelegentliche Aggressivität erstaunlich gut in seinen Sound integrieren lässt.

Dream wird einer der besten Momente des Albums, gerade weil sich das Stück mehr zurücknimmt. The Others vereint die hier omnipräsente Orientierungslosigkeit mit reichlich Weltschmerz. „Is it me or were these clouds always there? Can’t remember seeing the blue sky for a while“, lauten die ersten Zeilen, denen dann dramatische Streicher folgen (die auf White Room ohnehin eine sehr prominente Rolle einnehmen), die von einem gut dosierten und deshalb sehr effektvollen Beat begleitet werden. Das Ergebnis wird elegant im Sound und in der Melodieführung.

Als so etwas wie den Hit der Platte kann man Good Time betrachten. Es geht um einen Flirt in einer fremden Stadt mit einer Dame namens Marina, der sehr viel verspricht. „I was looking for something more than just a good time / I was hoping for nothing less than a good life“, lauten darin die zentralen Zeilen, die auch deshalb der beste Vers auf White Room werden, weil darin ausnahmsweise die Bereitschaft steckt, sich auszuliefern. Die Geschichte hat allerdings kein Happy End und die Begegnung bleibt eine dieser verpassten Möglichkeiten auf das Ankommen, denen Roland Meyer de Voltaire hier so gerne nachsinnt. Man muss leider sagen: White Room fügt sich in diese Reihe ein, denn statt eine neue (und zeitgemäße) künstlerische Identität zu definieren, bleibt das Album allenfalls halbgar.

Weltschmerz in schick bietet auch das Video zu Leftwing Duckling.

Homepage von Schwarz.

Michael Kraft

Michael Kraft ist Diplom-Journalist und lebt in Leipzig. Auf shitesite.de schreibt er seit 1999 als Hobby über Musik, Filme, Bücher und ein paar andere Dinge, die ihn (und vielleicht auch den Rest der Welt) interessieren.

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