Künstler | Seamus Fogarty | |
Album | The Curious Hand | |
Label | Domino | |
Erscheinungsjahr | 2017 | |
Bewertung |
Zum Glück ist da diese Intuition. “Man weiß einfach, wenn ein Song so weit ist, dass man ihn raus lassen kann”, sagt Seamus Fogarty. Das Gespür für diesen Moment ist bei ihm besonders wichtig. Denn die Arbeitsweise des Iren, der mittlerweile in London lebt, könnte dazu verleiten, niemals ein Ende beim Tüfteln an einem neuen Lied zu finden. Er nimmt Song, und dann versaut er ihn, wie er das nennt. Das heißt: Das Fundament aus Folk wird zerschmettert, reichlich Effekte wie Drones, Synthesizer, Field Recordings und Samples kommen hinzu. Das gilt auch auf seinem zweiten Album The Curious Hand, Nachfolger des Debüts God Damn You Mountain, das 2012 erschien und dann zwei Jahre später mit zusätzlichem Material noch einmal veröffentlicht wurde.
Welche Effekte er damit erzielt, zeigt ein Lied wie Heels Over Head: Am Anfang gibt es elektronische Störgeräusche, dann gesellt sich eine Frauenstimme zu einem schweren Shuffle-Rhythmus, am Ende erklingt ein Akkordeon. Das experimentelle Tommy The Cat basiert auf Mitschnitten eines Schrei-Wettbewerbs im Westen Irlands. Das instrumentale St. John’s Square hat einen kraftvollen Beat und eine fast elektronische Anmutung. Im Titelsong The Curious Hand sind Mitschnitte von Gesprächen zu hören, unter anderem mit seinem ehemaligen Nachbar in Mayo, Irland. Das Picking in Mexico entwickelt einen fast hypnotischen Effekt und trägt zur tollen Dynamik und Dramaturgie des Songs bei.
In Summe wird das extrem abwechslungsreich, erst recht für ein Genre wie (Alt-)Folk. Dazu tragen auch die Mitstreiter bei, denen Seamus Fogarty diesmal viel Raum gegeben hat. Seine bisherigen Veröffentlichungen bestanden „zu 97 Prozent daraus, dass ich alleine mit den Songs herumalbere“, sagt er. Diesmal hat er auf vielfache Weise die Tür für Einflüsse von außen geöffnet. Emma Smith (Bass, Geige, Viola, Cello, Klarinette, Hammondorgel und Fender Rhodes) hat einen großen Anteil am Sound von The Curious Hand, Aram Zarikian sitzt am Schlagzeug, das Akkordeon steuert der Bruder von Seamus Fogarty bei. In Carlow Town, einem weiteren Beispiel für die treibenden Beats, die man auf The Curious Hand finden kann, sorgt Rozi Plain für den zweiten Part im sehr schönen Harmoniegesang. Aufgenommen wurde das Ganze im Big Jelly in Ramsgate, einer ehemaligen Kirche, coproduziert von Leo Abrahams (Wild Beasts, Regina Spektor, Frightened Rabbit).
Einer, der auch hätte dabei sein sollen, ist Vince Sipprell, ein guter Freund des Sängers, der sich allerdings 2015 das Leben nahm. „Er hätte eine riesige Rolle auf der Platte gehabt“, sagt Seamus Fogarty. „Für solche Momente hat er gelebt.“ Er hat ihm das Lied Van Gogh’s Ear gewidmet, mit der für den Freund freilich zu spät kommenden Botschaft, dass man Schwächen haben darf, Probleme und mittelprächtige Phasen. “It’s alright to be just alright / and it’s okay to feel just fine / because love will cure most anything / but it don’t work all the time”, heißt es dazu, wieder zu einem sehr guten Groove und typischen Folk-Elementen wie Mundharmonika und Banjo.
Christmas Time On Jupiter unterstreicht, wie gut Fogarty selbst die Melancholie kennt, Short Ballad For A Long Man ist das sicherlich beste Beispiel für die vielfältigen Quellen der Inspiration, die er diesmal gefunden hat. In diesem Fall war es das 250 Jahre alte Skelett eines Mannes im Hunterian Museum in London, zu dem er wohl so etwas wie eine Geistesverwandtschaft empfindet (der Verblichene stammte ebenfalls aus Irland und strebte, so meint Fogarty erkannt zu haben, genau wie er selbst nach Freiheit). In Seems Wherever spielt unter anderem die U-Bahn eine wichtige Rolle, ohnehin scheinen Reisen und Fortbewegung so etwas wie die heimlichen Leitmotive auf The Curious Hand zu sein.
Ein Song, dessen erste Fassung bereits aufs Jahr 2008 zurück geht, steht am Ende des Albums. Die Melodie von Number One ist so eingängig, dass man ihm die Sache mit „I had a number one / years and years ago“ fast glauben will. Gelegentliches Hitpotenzial ist aber nur ein willkommener Nebeneffekt. Die eigentliche Stärke von The Curious Hand ist, wie vollständig Seamus Fogarty hier die Rolle als Liedermacher im ursprünglichen Sinne interpretiert und meistert: als Sammler, Archivar und Analyst.