Künstler*in | Sebastian Madsen | |
Album | Ein bisschen Seele | |
Label | Isbessa | |
Erscheinungsjahr | 2022 | |
Bewertung | Foto oben: (C) Fleet Union / Joris Felix |
Ich mag Sebastian Madsen. Sehr sogar. Mit seiner Band hat er großartige Songs gemacht und für tolle Konzert-Erlebnisse gesorgt. Im Gespräch hat er sich als sympathischer, korrekter Typ erwiesen. Und mit ein paar teils skurrilen Nebenprojekten hat er auch stets gezeigt, dass er sich selbst nicht allzu ernst nimmt und wenig von übertriebener Indie-Grübelei oder anderem Rockstar-Gehabe hält. Noch mehr mag ich seine Stimme. Es gibt wenige Sänger, die quasi automatisch so sehr mein Herz aufblühen lassen wie ihn. Seine Stimme ist voller Klarheit, ohne nach Knabenchor oder akademischem Drill im Konservatorium zu klingen. Sie ist voller Lebensfreude, ohne schmierig oder anbiedernd zu klingen. Ich würde töten, um so singen zu können.
Jetzt hat er ein Soloalbum gemacht, das seinen gelegentlichen Ausflügen in Schlager, NDW und Rap unter Pseudonymen wie Wolfgang Wahnsinn, Zorro oder Pappenpeter (auch das vom Punk geprägte letzte Madsen-Album Na gut dann nicht kann man in gewisser Weise als soch eine Eskapade sehen) eine weitere Facette hinzufügt: Soul.
Ein bisschen Seele ist letztlich aus drei Gründen entstanden. Erstens, weil er mit seiner Band während der Corona-Zeit nicht auf Tour gehen konnte. „Ich hatte schon immer dieses Getriebene in mir – selbst als Kind. Ich bin permanent voller Ideen und die müssen dann auch raus. Und in dieser Zeit wusste ich wirklich gar nichts mit mir anzufangen“, sagt er. Zweitens als Verwirklichung eines lange gehegten Traums, denn die Musik beispielsweise von Otis Redding, George Michael oder Amy Winehouse zählt schon lange zu den Favoriten von Sebastian Madsen: „Ich habe es wirklich genossen, den Sachen, die ich privat schon sehr lange höre, mal etwas mehr Raum geben zu können. Die Platte ist wirklich genauso geworden, wie ich es mir gewünscht oder vorgestellt hatte. Ich habe die Platte gemacht, die ich schon immer für mich machen wollte.“ Drittens, weil er während der Pandemie wieder ins heimische Wendland gezogen ist, während seine Freundin Lisa in Berlin blieb. Zu der sich damit einstellenden Sehnsucht passten Lieder mit viel Wehmut und Leidenschaft. „Während andere Paare isoliert aufeinander klebten, liefen wir Gefahr, uns langsam auseinander zu leben“, sagt der 41-jährige Sänger. „Ich habe zu der Zeit viel Soul gehört, weil das einfach zu Liebeskummer passt – und irgendwann habe ich angefangen, selbst Lieder aufzunehmen.“
Man hört Ein bisschen Seele an, wie gut Sebastian Madsen dieses Genre kennt und wie sehr er diese Musik liebt. Genauso hört man, wie sehr er es genießt, nach 17 Jahren und acht Alben mit Madsen (und trotz der schon erwähnten Nebenprojekte sowie Arbeiten als Songwriter für andere Künstler*innen) ein neues musikalisches Feld für sich zu erschließen. In gewisser Weise wandelt er hier auf den Spuren von Plan B (der sich vom Rapper zum Soul-Künstler verwandelt hat) und Paul Stanley, der sich zusätzlich zu seinem Job als Sänger und Gitarrist bei Kiss ein Nebenprojekt namens Soul Station gönnt, mit dem er sich zu üppigen Streichern und Bläsern (und ganz ohne geschminkte Maske) in seine Gefühle wirft.
Tolle Arrangements mit Bläsern und Streichern prägen auch diese mit Johannes Madsen im Band-eigenen Studio im Wendland aufgenommene Platte. Da Ein bisschen Seele zunächst als privates Projekt gedacht war, bezahlte Sebastian Madsen die dabei eingesetzten Musiker*innen wie den Hamburger Arrangeur Markus Trockel, Calexico-Trompeter Martin Wenk und Multiinstrumentalistin Anne de Wolff aus eigener Tasche. „Irgendwann hatte ich das Gefühl, dass die Songs Bläser und Streicher brauchen. Ich hatte ja aber kein Label oder irgendwen, der sagt: ‚Hier ist dein Budget.‘ Also fing ich echt an, ziemlich viel Geld auszugeben“, erzählt er.
Wie sehr sich das gelohnt hat, zeigt bereits der Titelsong als Auftakt des Albums. Vor allem die Bläser verleihen Ein bisschen Seele viel Schwung und Vorwärtsdrang, später erklingt ein stilechtes Solo auf der Hammond-Orgel und insgesamt feiert das Lied nicht zuletzt die immense Kraft, die in (Soul-)Musik stecken kann. Immer nur am Handy lässt mit Kopfstimme und Wortwitz aufhorchen und würde in diesem Stil beispielsweise zu Gnarls Barkley passen. Sei nur du selbst wird im Sound ebenfalls sehr leichtfüßig und elegant, eine Strophe darf dabei Drangsal beisteuern.
Weitere Mitstreiter*innen auf der Platte sind Eva Briegel (Juli) als Duettpartnerin in Ich löse mich auf, das mit seiner Schwermut auch zu Prag gepasst hätte, und die schon erwähnte Lisa Who, die eine Strophe im schwer romantischen Baby, ich liebe dich singt („Würd ich alles sagen, was ich fühl für dich / hätte ich für immer zu tun / es gibt so viele schöne Dinge über dich / das schönste bist du“) und auch an einigen Texten mitgearbeitet hat. Max Richard Leßmann hat ebenfalls mehrfach lyrisch unterstützt. „Max ist ein bisschen mein Übersetzer. Wir sind über die Jahre wirklich gute Freunde geworden, sprich es gibt ein großes Grundvertrauen. Wir erzählen uns sehr intime Sachen. Meistens läuft es so, dass ich eine Melodie summe und er hat dann innerhalb von fünf Minuten eine sehr gut, konkrete Textidee“, sagt Sebastian Madsen über die Zusammenarbeit.
So entstand eine Platte, die im Hinblick auf Komposition, Produktion und Instrumentierung top ist. Ein bisschen Seele hat aber ein Problem, und das hängt mit der eingangs erwähnten Charakteristik der Stimme von Sebastian Madsen zusammen. Er kennt natürlich Zweifel (so heißt es etwa im Titelsong „Ich gebe mich stets optimistisch / aber ich weiß / ich bin verloren / genau wie du“), er kennt Enttäuschungen und Tiefpunkte, er ist in seiner Musik nachweislich zu viel Feingefühl in der Lage. Aber in seiner Stimme steckt kein Schmerz. Deshalb fehlt hier an ein paar Stellen das Ausmaß an Leidenschaft, Drama und auch Ambiguität, das wirklich große Soul-Musik auszeichnet.
Dass man ihm das Bangen um die fragile Liebe in Das Gewitter, den Existenzialismus von Die Einsamkeit (die im gleichnamigen Lied so präsent ist, dass sie fast ihrerseits wie eine Begleiterin wirkt) oder die kompromisslose Offenherzigkeit von Gefühle für dich (das ausnahmsweise keinen Bläser-Schmackes bietet, sondern hörbar am Mellow-Softpop-Sound der Bee Gees orientiert ist und somit beispielsweise auch zu Albrecht Schrader passen würde) nicht vollständig abnimmt, liegt nicht an seiner Vorgeschichte mit Madsen, wo er in der Regel meist den kernigen Rocker oder den optimistischen Muntermacher gibt. Es liegt auch nicht daran, dass Soul zwangsweise immer vom Leiden handeln muss, schließlich gibt es für jedes Ain’t No Sunshine auch ein Ain’t No Mountain High Enough, für jedes How Can You Mend A Broken Heart ein Lovely Day und für jedes I’ve Been Loving You Too Long ein Upside Down. Sebastian Madsen zeigt hier immer wieder auch, dass die typischen Madsen-Themen wie Zuspruch, Beistand und die Einladung zum gemeinsamen Pferdestehlen auch in diesem Klanggewand funktionieren, etwa in Immer wenn die Nacht oder Als bei uns Sommer war. Aber so schade das ist, weil hier sonst wirklich alles passt, muss man feststellen: Sebastian Madsen hat keine Soul-Stimme – und etliche dieser Lieder wären noch besser, wirkungsvoller und intensiver, würden sie von anderen Menschen gesungen.