Künstler | Self Defense Family | |
Album | Have You Ever Considered Punk Music | |
Label | Run For Cover | |
Erscheinungsjahr | 2018 | |
Bewertung |
Natürlich haben sie es probiert mit der Punkmusik. Schon seit 2003 musiziert Sänger und Songwriter Patrick Kindlon gemeinsam mit wechselnden Mitstreitern aus unterschiedlichen Ländern, zunächst als End Of Year, seit Anfang dieses Jahrzehnts als Self Defense Family. Fünf Alben und etliche EPs und Split-Singles haben sie bereits gemacht. Jetzt stellen sie im Titel ihres morgen erscheinenden sechsten Albums trotzdem die Frage: Have You Ever Considered Punk Music? Das ist sehr typisch für den Hang zu Zynismus und Selbstironie bei Kildon.
Sehr schön zeigt das der Titelsong, der ziemlich genau in der Mitte des Albums platziert ist. Have You Considered Punk Music handelt von der Suche nach irgendeinem Kick, nach Orientierung, nach Erlösung. Kildon liefert eine Aufzählung von vielen Menschen, die auf dieser Suche gescheitert sind, und er reflektiert damit über die falschen Träume und Perspektiven, die wir als Teenager haben und wie schwer es ist, diese später abzuschütteln, um als Erwachsener besser klarzukommen.
Diese Perspektive ist prägend für fast alle Lieder. Im Auftakt The Supremacy Of Pure Artistic Feeling stellt sich Kindlon vor als Außenseiter, als dysfunktionaler, verzweifelter, resignierter Charakter, der ein „flaming sword between myself and the whole wide world“ sieht. Später suhlt er sich in Watcher At The Well in seiner perversen Faszination für Leid, Zweifel und Abseitiges. “It’s not a sexy topic but it’s one my brain goes to often / mental health and what it entails and fully means”, bekennt er. Trost schöpft er ausgerechnet daraus, dass andere in einem noch viel schlimmeren Zustand sind: “I’m grateful for the problems I’ve got / their scope and scale and what they are and what they are not.” Gesungen wird das mit einer Ernsthaftigkeit, wie man sie etwa von Nick Cave kennt.
Der Bad-Seeds-Frontmann wird in Have You Considered Anything Else übrigens explizit benannt: Kildon vergleicht sich darin mit diversen Musikgrößen und prüft, welche ihrer Eigenheiten er in sich finden kann. Arthur Russell, Nick Drake, Lloyd Cole, Bill Fay, Randy Newman, Kate Bush oder Mark E. Smith gehören dazu. Mit einem ganz ähnlichen Ansatz, wenn auch etwas leichter im Sound, bewegt sich Nobody Who Matters Cares quasi auf einer Meta-Ebene: Wieder geht es um einen Schutzpanzer aus Ignoranz und Zynismus, um eine Abschottung gegen die Welt, die als Nebenwirkung aber eben Isolation mit sich bringt und die Abwesenheit von Gefühl, Freude und Hoffnung. “It’s hard to sing those songs that people love about people in love”, ist ein Teil der Bestandsaufnahme, das Ergebnis wird ein Lamento, das vielleicht hätte herauskommen können, wenn Leonard Cohen jeden Sinn für Schönheit über Bord geworfen hätte.
Selbstbezichtigung ist bei der Self Defense Family ohnehin ein beliebtes Thema. Eine verlorene Gitarre und ein unsteter Beat prägen Raw Contempt. “Like most men / I swing / from extremes / I range / from empathetic / to naked cruel”, singt Kildon und weiß genau: Er ist daran mindestens ebenso schuldig wie seine Umwelt. Die ersten Zeilen in Certainty Of Paradise lauten: “Is it possible to do a thing forever / And learn nothing? And get no better?” Bezogen ist das wahrscheinlich auf den Versuch, Glück und Zufriedenheit im Leben zu finden. Auf die Fortschritte im Perfektionieren von Post-Hardcore kann es keineswegs ernsthaft gemünzt sein, denn Self Defense Family glänzen hier mit einem kraftvollen Schlagzeug und wehmütiger Gitarre. Auch Desert Rock scheint bei diesem Song keine ganz unpassende Referenz zu sein, zumal die Ödnis eben auch das Innenleben erfasst: “I’m bent in parts and partially broken.”
Dass die Self Defense Family von ihrem früheren Label Deathwish als „Die Lieblingsband deiner Lieblingsband“ vermarktet wurde, leuchtet schnell ein: Neben der Vorliebe, sich über das Songschreiben als Versuch einer Therapie und die Musikszene lustig zu machen, passt dazu auch die technische Könnerschaft. Have You Ever Considered Punk Music hat dabei einen sehr speziellen Effekt: Der Sound ist nicht vorläufig, aber die Musik scheint sich doch immer auch andere Möglichkeiten offen halten zu wollen.
Slavish Devotion To Form ist noch etwas verlorener und zugleich schöner im Sound als die meisten anderen Songs des Albums, mit geflüstertem Sprechgesang, einer herrlich warmen Orgel, sehr luftiger Gitarre und ein paar analogen Synthesizern. “They say I’ve gotta engage with the world and the people living in it / but I stay open to second opinions”, lautet diesmal die Selbstanklage. Es geht Kildon dabei um die Flucht vor den anderen, aber auch um den Rest eines Glaubens daran, dass die Rettung aus ihm selbst kommen kann. Ein Klavier, eine Trompete und eine Frauenstimme bereichern das am Ende beinahe lethargische No Analog Nor Precedent, das bei der Suche nach den Ursachen seiner Probleme ebenfalls schnell fündig wird: Er macht sich tiefgründige Gedanken über Dinge, die von den meisten anderen Leuten einfach als selbstverständlich hingenommen werden.
The Right Kind Of Adult schließt Have You Ever Considered Punk Music ab. Ein versöhnliches Ende konnte man von der Self Defense Family wohl kaum erwarten. Dass es stattdessen als Ausstieg aus dem Album dann sehr blutige Selbstmordfantasien gibt, ist allerdings doch ein Schock – und ein Beweis für die Härte, die bei dieser Band nicht nur in den Riffs liegt, sondern vor allem in einer brutalen Ehrlichkeit sich selbst gegenüber.