Künstler | Diverse | |
Album | Shady XV | |
Label | Shady Records | |
Erscheinungsjahr | 2014 | |
Bewertung |
Im Jahr 2014 steckte Eminem vielleicht in so etwas wie einer Midlife-Crisis. Er war 42 Jahre alt, hatte bis dahin mehr als 200 Millionen Tonträger verkauft und im Jahr zuvor The Marshall Mathers LP2 veröffentlicht, die schon im Titel den Anspruch von „Ich bin noch so gut/hart/wichtig wie früher“ mit sich führte. Außerdem hatte er sich 700 Steine aus dem Haus in Detroit gesichert, in dem er aufgewachsen war, als das Gebäude abgerissen wurde – womöglich hat er darin selbst die Metapher vom endgültigen Ende der Jugend erkannt, zugleich wird darin der Wunsch überdeutlich, sich der eigenen Wurzeln zu versichern. Und wie das so ist, wenn die Erkenntnis reift, dass die Sache mit Sturm und Drang nicht mehr ganz so einfach ist, gönnte er sich auch ein paar Vanity-Projekte, in erster Linie durch Feature-Auftritte auf den Tracks deutlich jüngerer Künstler.
Shady XV kann man als Schnittmenge dieser drei Trends betrachten: Es ist sowohl ein Rückblick auf das Erreichte als auch eine Duftmarke à la „Ich habe nichts verlernt“ sowie Spielweise und Arena für das Rangeln mit der nächsten Generation. Die Compilation zum 15. Jubiläum von Shady Records vereint auf CD2 einige der größten Hits, die das von Eminem und seinem Manager Paul Rosenberg gegründeten Label bis dahin veröffentlicht hatte. CD1 der Sammlung, die zugleich die bis dahin 15. Albumveröffentlichung auf Shady Records war, ist mit neuem Material gefüllt, wobei sich der Boss nicht lumpen lässt: Eminem ist entweder als Interpret, Feature-Gast oder Bandmitglied fast überall dabei, nur in drei der neuen Tracks ist seine Stimme nicht zu hören.
Einer davon ist das auch als Single ausgekoppelte und von DJ Premier produzierte Y’all Ready Know von Slaughterhouse, dem Quartett, zu dem unter anderem Royce da 5’9″ gehört, und das hier trotz eines old-timey Klaviers und luftigen Arrangements eine beträchtliche Härte an den Tag legt. Yelawolf sorgt als damals jüngstes Signing des Labels mit Down für eines der Highlights der Compilation: Der Track vereint ein paar Funk-Elemente mit viel Wucht und der Erkenntnis, dass er wohl Jesus sein muss, wenn Marshall der Rap-Gott ist. Auch mit der Single Till It’s Gone zeigt Yelawolf sein Können und kreiert zugleich eine große Dringlichkeit (vor allem durch die Bass-Drum) und Momente erstaunlicher Leichtigkeit (etwa durch die akustische Gitarre im Refrain).
Bei allen anderen Songs auf CD 1 hat Eminem in irgendeiner Form seine Finger im Spiel. Gemeinsam mit Sia eröffnet er den Reigen mit der von Emile Haynie produzierten Single Guts Over Fear, die zugleich Titelsong zum Film The Equalizer mit Denzel Washington war. Insbesondere durch die Streicher wird das erstaunlich elegant und erhebend, auch schon bevor im Refrain der Gesang von Sia einsetzt. Selbst das, was Eminem in der letzten Strophe dann doch wieder mitreißt, scheint nicht Wut zu sein, sondern Leidenschaft. Der Titelsong Shady XV ist kurzweilig, frisch und witzig – das hat genau den Biss und Größenwahn, den es braucht, wenn man die Gerüchte einer Midlife Crisis widerlegen möchte.
Fine Line zeigt mit dem Klavier und den recht ungewöhnlichen Samples, dass er diese Gelegenheit auch nutzt, um seine Experimentierfreude auszuleben, eher Durchschnittsware sind hingegen Right For Me und Die Alone (feat. Kobe). Am Ende von CD1 holt er noch einmal die ganze Posse zusammen, bestehend aus Royce Da 5’9″, Big Sean, Danny Brown, Dej Loaf und Trick Trick, die ihre geballte Kompetenz und Angriffslust in Detroit Vs. Everybody stecken, das seinem Titel alle Ehre macht.
Als eines der sechs Gründungsmitglieder von D-12 steuert Eminem Bane bei, das erstaunlich elektronisch geprägt ist, das Potenzial dieser Idee aber nicht ausschöpft. Auch in Bad Meets Evil ist er natürlich mit von der Partie: Das Duo besteht aus Royce da 5’9″ (Bad) und Eminem (Evil), benannt haben sie sich einst nach dem gemeinsamen Track auf der Slim Shady LP. Ihr hier vorgelegter Beitrag Vegas überrascht mit ein bisschen E-Gitarre und Rock-Attitüde, wird über die Gesamtdauer von fünfeinhalb Minuten aber eher langweilig. Als Feature-Gast widmet sich Eminem mit Slaughterhouse und Yelawolf einem Psychopath Killer, der Track ist überzeugend in der Atmosphäre und Wirkung. Yelawolf und Skylar Grey sind seine Mitstreiter in Twisted, das sehr abwechslungsreich ist, ohne chaotisch zu werden und vom fast kongenialen Zusammenspiel der Stimmen profitiert.
Marshall Bruce Mathers III zeigt mit Shady XV insgesamt durchaus, dass er als Plattenboss ein ähnliches Talent hat wie als Künstler. Die Greatest Hits von Shady Records auf CD2 kann man im Prinzip als Leistungsschau des Rap seit der Jahrtausendwende betrachten, zudem konnte das Label, das damals erst acht Acts unter Vertrag hatte, etliche Nummer-1-Platzierungen und Platin-Auszeichnungen vorweisen. So ist 50 Cent hier mit vier Hits vertreten: I Get Money lebt von seinem unerbittlichen Beat und halbwegs origineller Selbstbeweihräucherung. Die Idee mit den Steeldrums in P.I.M.P. klingt auch 15 Jahre später noch frisch und grandios, vereint Leichtigkeit und Schärfe, Lässigkeit und Punch. Viel origineller als bei Wanksta wird es innerhalb des „Ich bin der Größte und hab sie alle gehabt“-Ansatzes nicht mehr, auch In Da Club ist vertreten, das längst ein modernder Klassiker ist, dank der Produktion genauso wie dank des Flows von 50 Cent.
Obie Trice steuert drei Beiträge bei. Gemeinsam mit Kuniva, Bobby Creekwater, Cashis und Stat Quo sorgt er in Cry Now (Shady Remix) für eine ausgelassene, glamouröse Party-Atmosphäre. The Setup wird ebenso unterhaltsam wie eigenständig, Wanna Know hat so viel Kraft und Klasse, dass es vergleichbaren Tracks beispielsweise von Jay-Z oder dem Wu-Tang Clan in nichts nachsteht.
Auch von D-12 gibt es ein Trio von Tracks: My Band ist simpel, arrogant und wirkungsvoll, zudem voller Frotzeielen und Insider-Gags zwischend den Jungs. Fight Music wird dem Titel mehr als gerecht: Wenn Titus Pullo aus Rome schon HipHop-Tracks produziert hätte, wäre wahrscheinlich so etwas herausgekommen. Purple Pills spielt clever mit dem Sound aus Without Me, zeigt aber auch das Problem der D-12-Konstellation: Damit jeder seine Skills ausreichend zeigen kann, am besten in einer eigenen Strophe, wird der Track immer länger, und irgendwann wird es schwierig, das noch musikalisch interessant zu halten.
Yelawolf steuert Let’s Roll (feat. Kid Rock) bei, dessen Produktion deutlich spektakulärer ist als die Rap-/Vocal-Beiträge, und das ebenfalls nicht komplett überzeugende Pop The Trunk aus dem Jahr 2010: Da hat sich das Rezept schon etwas abgenutzt und wirkt eher wie Selbstreferenz. Viel besser hat sich der Hammer Dance von Slaughterhouse gehalten: Er klingt auch heute noch fies, eiskalt und gefährlich. Eminem selbst ist einmal in der All-Star-Session von You Don’t Know am Werk, gemeinsam mit 50 Cent, Cashis und Lloyd Banks. Das Ergebnis klingt mächtig, inspiriert und wird getragen von einer Überzeugung, die nicht aufgesetzt oder simuliert ist, sondern aus jeder Silbe und jedem Schlag auf die Snare spricht. Zudem spendiert er die bis dahin unveröffentlichte Demoversion von Lose Yourself – und zeigt damit einerseits, dass seine eigene Blütezeit auch schon eine Weile zurück liegt, und andererseits, dass Shady Records immer noch dann am besten ist, wenn der Chef selbst zum Mikro greift.