Künstler | Shitney Beers | |
Album | Welcome To Miami | |
Label | Zeitstrafe | |
Erscheinungsjahr | 2021 | |
Bewertung |
Man sollte sich vom Albumtitel nicht täuschen lassen: Schaut man sich die Promotion-Fotos zu Welcome To Miami an, dann sieht die Umgebung keineswegs nach Florida aus. Genauer gesagt haben die Autos, die links und rechts an der Straße stehen, ein Mannheimer Kennzeichen. In der Kurpfalz ist Maxi Haug, die seit 2018 als Shitney Beers ihre Songs veröffentlicht, tatsächlich zu Hause. Dort hat die Halbkanadierin die Popakademie geschmissen und in Eigenregie vier EPs veröffentlicht. Die daraus bekannten Songs sind nur zum Teil auf ihrem heute erscheinenden Debütalbum enthalten, was vor allem im Falle des sehr schönen I Don’t Like Horses schade ist. Dennoch werden alle Fans hier sofort ihren Sound wiedererkennen, der meist nur aus Gitarre, Gesang und winzigen Klangtupfern weiterer Instrumente besteht. Wer Shitney Beers bisher noch nicht begegnet ist, wird eine Künstlerin entdecken, die auf sehr intelligente Weise mit dem Erwachsenwerden als Frau im 21. Jahrhundert kämpft.
Insofern ist Welcome To Miami natürlich doch ein passender Titel für diese Platte. Er klingt nach dem Versprechen von Glamour, Sorglosigkeit, Gesundheit und Wohlstand, das uns allenthalben vorgegaukelt wird, und für fast niemanden der Realität entspricht – und wegen des damit verbundenen Schönheitsideals für Frauen noch ein gutes Stück schwerer zu erreichen ist. Der Kontrast zu Mannheim könnte kaum größer sein. In Lucky besingt Shitney Beers ein Pärchen als die einzigen beiden glücklichen Personen in einer „dog-shit city“, eine Slide-Gitarre und eine zweite Stimme verstärken das Gefühl von Schweben und der Gewissheit, sich fallen lassen zu können. Es bleibt unklar, welche Stadt damit gemeint ist, und doch ist offenkundig: Die Diskrepanz zwischen Schein und Sein ist riesig, und den Schlüssel zum Glück inmitten einer kaputten oder feindlichen Welt kann man einzig in sich selbst entdecken.
Auch ein weiteres Prinzip kann man auf Welcome To Miami gut erkennen: Der Herausforderung, eine Identität zu entwickeln, wird hier ebenso sehr über Abgrenzung begegnet wie über Zugehörigkeit: Zuerst erkennt man, was man hasst, vermeiden möchte oder beunruhigend findet. Das ist dann schon einmal eine gute Voraussetzung, um im nächsten Schritt vielleicht herauszufinden, was man gerne möchte, wo man hinwill und wer auf dem Weg dorthin mitkommen sollte.
Das zeigt sich in Keys, das von der weiblichen Angst vor nächtlichen Übergriffen erzählt („You rarely see us walking at night / without our keys held tight“), was mit einer schockierend spürbaren Angespanntheit umgesetzt wird, oder in Lourdes als Bericht über eine stürmische Affäre, die mit Stalking und der Falle von „I’m even afraid to leave my house“ endet, wobei die Komposition diesen Stimmungsumschwung sehr gekonnt spiegelt. „Next time I’ll make it right“, heißt die erste Zeile im Opener Time, es geht um eine Beziehung, für die vielleicht einfach nicht der richtige Zeitpunkt erreicht war. Inevitable stellt die Frage, ob da jemand nur guter Freund oder mehr ist, Shitney Beers kennt (der Songtitel deutet es an) die Antwort längst selbst, will sie sich aber noch nicht eingestehen und lässt Instrumente und Takt zwischendurch kurz dahinzuschmelzen .
SoKo oder Suzanne Vega sind passende Bezugspunkte dafür, in Modern Love (mit den wunderbaren Versen „Your life is not a movie / and it’s not a Bloc Party song“ ) kann man auch an Stella Donnelly denken. Das Lied zeigt zudem, wie Shitney Beers es schafft, in diese zehn meist sehr reduzierten Songs die nötige Spannung und Abwechslung zu bekommen. Ein hektisches Picking sorgt hier für Unruhe, am Ende gibt es einen Mini-Chor. La Mort Hereuse (benannt nach Debütroman von Albert Camus) bleibt eher abstrakt und schwer zu fassen, Nourie Hadig (benannt nach einen Märchen aus Armenien, das eine vage Ähnlichkeiten mit dem Plot von Schneewittchen hat) ist hingegen heiter und etwas verspielt.
Parents erzählt mit einer Ukulele von dem nervenaufreibenden Moment, wenn man zum ersten Mal die Eltern des Partners treffen soll, das klingt hier so Lo-Fi und verschüchtert, als würde die Künstlerin direkt aus dem Kleiderschrank spielen, in dem sie nach dem passenden Outfit für diesen Anlass sucht. Marcel schließt Welcome To Miami dann ab und ist weit von einem versöhnlichen Ende entfernt. Auch wenn der Platte ein Song fehlt, der aus dieser sehr charakteristischen Ästhetik noch ein wenig herausragt, ist dies ein starkes Debüt. Es lebt von einer einnehmenden Stimme, schönen Melodien und schlauen Arrangements. Vor allem aber hat Shitney Beers wirklich etwas zu erzählen.