Slut – „Talks Of Paradise“

Künstler Slut

Slut Talks Of Paradise Review Kritik
In Athen legten Slut die Basis für „Talks Of Paradise“.
Album Talks Of Paradise
Label Lookbook
Erscheinungsjahr 2021
Bewertung

„Nein, gar nicht“, hat Noel Gallagher kürzlich im Interview mit Zeit Online auf die Frage geantwortet, aber er Angst davor habe, sich in seiner Musik zu wiederholen. Seine Argumentationslinie, dass Qualität wichtiger sei als Innovation, kann man nachvollziehen, wenn er meint, sein neuster Song klinge „stilistisch, klanglich und textlich wie viele andere Songs, die ich in den vergangenen zwanzig Jahren geschrieben habe – großartig ist er trotzdem“.

Slut haben sich 1994 gegründet, also in dem Jahr, in dem Noel Gallagher sein erstes Album mit Oasis veröffentlicht hat. Sie stehen vor ihrem mittlerweile neunten Longplayer also natürlich auch vor dieser Grundsatzfrage. Alle, die ein gutes Vierteljahrhundert in der Geschichte der Band aus Ingolstadt begleitet haben, werden schon eine Vermutung haben, wie in ihrem Fall die Entscheidung ausfiel. Denn wer sowohl den Bundesvision Song Contest in Betracht zieht als auch eine Bearbeitung der Dreigroschenoper, wer mit Schriftstellerinnen wie Juli Zeh ebenso zusammenarbeitet wie mit den leider verblichenen Indie-Kollegen von Readymade, der hat keine Lust auf Stillstand – egal, wie hoch das Qualitätsniveau sein mag, auf dem dieser sich ereignet. Talks Of Paradise bestätigt das eindrucksvoll.

Ein Song wie For The Soul There Is No Hospital ist tanzbar, eingängig, kompakt und modern, Vandals hat ähnlich viel Punch. Das stimmungsvolle How Trivial We Are ist erwachsen, aber frisch, Penny Changes Dresses wird kraftvoll, energisch, heiter – und somit zu einem Hit längst nicht nur für die Ü30-Disco. Immer wieder kann man bei Talks Of Paradise beispielsweise an Phoenix oder Two Door Cinema Club denken, die es ähnlich clever beherrschen, Rock und Elektronik zu kombinieren.

Dass Slut auf diesem heute erscheinenden Album so lebendig und kreativ klingen, hat auch mit dem Timing und Entstehungsprozess der Platte zu tun. Als 2013 der Vorgänger Alienation erschienen und im Jahr darauf die dazugehörige Tour abgeschlossen war, machte die Band erstmals seit längerer Zeit wieder eine Pause, und zwar auf unbestimmte Zeit. Dass damals auch das Ende der Band als Option im Raum stand, war den Beteiligten wohl selbst nicht klar. „Es gab erstmals keine Vereinbarung, ob es weitergeht“, sagt Sänger Chris Neuburger heute. Das kreative Durchschnaufen erwies sich in jedem Fall als sehr hilfreich, als er 2017 gemeinsam mit Gitarrist Rainer Schaller wieder begann, an neuem Material zu arbeiten. Die beiden zogen sich nach Athen zurück, wo mit minimalen Mitteln und spontan entstehenden Texten die ersten Grundlagen für das entstanden, was gemeinsam mit Produzent Fabian Isaak Langer (AnnenMayKantereit, Giant Rooks, Die Höchste Eisenbahn) dann zu Talks Of Paradise wurde.

Good For All eröffnet die Platte und ist sofort spannend, bevor es so erhebend wird, wie man das von Slut kennt. Fala könnte man zunächst für ein Instrumental halten, bevor dann doch noch der zarte Gesang von Christian Neuburger einsetzt, der Album-Abschluss Black Sheep bleibt dann wirklich ohne Text und könnte mit seiner elektronischen Prägung auch zu Kraftwerk passen. Yes No Why Later ist der experimentellste Moment der Platte, Tell Your Friends, das als Ballade beginnt und sich dann aber zu einem komplexeren Gebilde entwickelt, unterstreicht ebenfalls die Ambitionen von Slut und zeigt zugleich, wie sehr Christian Neuburgers Stimme auch mit dem neuen Ansatz der Band den Sound dominiert.

Belly Call verweist sehr elegant auf die Kraft des Bauchgefühls und des Un(ter)bewussten, aus dem hier hörbar sowohl Inspiration als auch ein sehr unverkrampftes, organisches Gesamtwerk entspringen. Auch The Worst Is Yet To Come klingt so beschwingt und leichtfüßig, dass die im Titel steckende Prognose gar nicht mehr allzu schlimm erscheint. In jedem Fall darf man davon ausgehen, dass sie für die Zukunft von Slut unzutreffend ist.

Wir sind keine Maschinen, heißt eine der Botschaften im Video zu Belly Call.

Website von Slut.

Michael Kraft

Michael Kraft ist Diplom-Journalist und lebt in Leipzig. Auf shitesite.de schreibt er seit 1999 als Hobby über Musik, Filme, Bücher und ein paar andere Dinge, die ihn (und vielleicht auch den Rest der Welt) interessieren.

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