Sorry 3000 Grüße von der Überholspur

Sorry 3000 – „Grüße von der Überholspur“

Künstler*in Sorry 3000

Sorry 3000 Grüße von der Überholspur Review Kritik
Zwischen den Zeilen stecken bei Sorry 3000 zentrale Botschaften.
Album Grüße von der Überholspur
Label Audiolith
Erscheinungsjahr 2024
Bewertung Foto oben: (C) Fleet Union / Sophia Küstenmacher

Fangen wir gleich mit dem besten Moment dieser Platte an. Es ist das vierte Lied, dann braucht es 74 Sekunden, in denen eine Spießeridylle aus Schottergarten, Flachbildschirm und Firmenwagen geschildert wird. „Ich find’s schön, dass ihr euch damit wohlfühlt / aber ihr wisst schon…“, singt Frontfrau Stefanie Heartman – und lässt eine Pause. Erst bei der nächsten Wiederholung des Refrains vervollständigt sie den Text „Aber ihr wisst schon / dass das gar nicht geht / wir ihr lebt.“

Es ist diese kleine Auslassung in Hinterm Kreisel, in der ganz viel von der Qualität und Ästhetik von Sorry 3000 deutlich wird. Die Band aus Halle (Saale) und Leipzig nimmt auch auf ihrem zweiten Album immer wieder Alltägliches ins Visier, auch Abseitiges und Spinnertes. Da leidet Der kleine Zitronenbaum, der wegen neuer Zimmerpflanzen nicht mehr so viel Liebe bekommt, da ist ein Nachmacher in der Stadt unterwegs, der den Nimbus der eigenen Einmaligkeit bedroht, da wird die Autobahn zum Zufluchtsort und der Erkenntnis Es ist alles nicht so schlimm – und zwar nicht durch Bleifuß-Fantasien, sondern schön mit 110 km/h auf der rechten Spur cruisend. Aber auch, wenn Verwunderung, Verwirrung und Verzweiflung hier kaum ausgesprochen oder gar leidenschaftlich inszeniert werden, weiß man durch den Sound und die Haltung von Sorry 3000 immer genau, was sie meinen und wo sie stehen. Etwa im eingangs erwähnten Hinterm Kreisel ahnt man überdeutlich das Kopfschütteln über diesen konservativen Lebensentwurf, mehr noch: Man hört Protest, Abscheu, Vorwurf.

Die Banalität, die das Quintett auf Grüße von der Überholspur so gerne besingt, ist letztlich ein Resultat der Erkenntnis: Der Alltag ist hohl, die Welt ist am Arsch, all die Ignoranz und Oberflächlichkeit sind kaum zu ertragen und jeder Versuch von Revolte wird vom System in einen ironischen Trend verwandelt, den man zwei Jahre später bei Primark kaufen kann. Deshalb schenken sich Sorry 3000 das Aufbegehren, zumindest an der Oberfläche. Sie akzeptieren den Mainstream damit nicht, aber sie berücksichtigen die tief verinnerlichte Erfahrung, wie anstrengend (und letztlich womöglich aussichtslos) es ist, gegen ihn anzuschwimmen. „Loser-Pop“ wird diese Musik deshalb im Presseinfo zum Album genannt.

Das liegt auch daran, dass auf Grüße von der Überholspur alles vergleichsweise gemütlich bleibt. Es gibt kaum Tempo oder Lärm oder Hochglanz, stattdessen pägen drei andere Zutaten des Klangbild: 1) Entspannte Gitarren, die manchmal an den Smiths geschult zu sein scheinen. 2) Lo-Fi-Keyboardklänge, deren Quelle gelegentlich ein Kinderspielzeug sein könnte, manchmal auch Equipment aus der Rubrik „Eighties, aber bitte extra cheesy“. 3) Der Mix von Stimmen, denn neben Stefanie Heartman sind hier auch Gitarrist Frank Leiden und Schlagzeuger Fenge prominent am Mikro zu hören, während Bassistin Bianca Stress und Keyboarder Joni Spumante immerhin noch Backing-Vocals beisteuern.

Vielleicht das beste Beispiel für den Sound der Platte ist Küste am Atlantik. Es dürfte das erste Lied der Popgeschichte sein, in dem man die Wörter „Sachsen-Anhalt“ und „Schkeuditz West“ hört, die Atmosphäre ist laid back und zugleich vollkommen Nicht-von-dieser-Welt, so als würden Sorry 3000 tatsächlich ein Gefühl von Dekadenz kennen, aber nicht aus eigenem Erleben, sondern nur von wackeligen VHS-Aufnahmen.

Das schräge Peter Maffay handelt vom Schmerz, sich nicht zugehörig zu fühlen, der noch schlimmer wird, wenn alle anderen im persönlichen Umfeld wie ein Herz und eine Seele wirken. Auch Entschuldigung als Auftakt der Platte vereint Dada mit einem Gefühl von Fragilität. Gleich 39 Mal spricht Stefanie Heartmann hier das Wort „Entschuldigung“ aus (wohl kein Wunder, bei einer Band, die Sorry 3000 heißt), und in dieser Häufung steckt die Frage: Wann reicht es? Wann hat man oft genug um Verzeihung gebeten? Und kann eine hinreichende Quantität tatsächlich die Glaubwürdigkeit einer Entschuldigung steigern? Daraus spricht vielleicht auch das Unverständnis, auf das man treffen kann, wenn man in eine neue Umgebung kommt, dort die Codes und Befindlichkeiten nicht kennt und schnell den Eindruck hat, man könne es niemandem recht machen und sei immer bloß ein Ärgernis.

Solche klugen Ideen bei der Betrachtung des real existierenden Kapitalismus anno 2024 findet man immer wieder auf Grüße von der Überholspur. Von der Sonntagserschöpfung ist es nur ein kleiner Schritt bis zum Selbsthass, der aus dem Wissen um die eigene Unzulänglichkeit erwächst, die sich natürlich auch an allen anderen Wochentagen zeigen kann. Ich muss mich noch anstrengen könnte mit seiner Verspieltheit im Sound zu Wir sind Helden passen und im Text beispielsweise zu den geistesverwandten Nachbarn von Kapa Tult. Ich will sparen erinnert daran, dass Sonderangebote und Rabatte letztlich nur weiterer Anreiz zum Konsum sind – die wahre Lösung, um weniger Geld auszugeben, ist es natürlich, stattdessen gar nichts zu kaufen, vor allem keinen unnötigen Quatsch. Nur im Spiel zeigt auf, was mit Erotik passiert, wenn sie nach Leistungskriterien und nach Drehbuch abläuft, wenn der Wunsch nach Kontrolle und Optimierung auch in dieser Sphäre die Hoheit gewinnt.

Auch da werden wieder die wichtigsten Charakteristika von Grüße von der Überholspur erkennbar: Der Ansatz von Sorry 3000 ist meist hoch originell, die Ergebnisse sind oft eingängig und manchmal rätselhaft, dabei aber immer emotional aufrichtig. Man hört hier gelegentlich Humor und Ironie, aber auch echte Verunsicherung und sogar Wut. Die Lust auf Verweigerung (in der große Coolness stecken kann) hält sich mit dem Streben nach Veränderung (das überfällig erscheinen muss in einer Welt wie unserer) genau die Waage – und genau daraus erwächst der enorme, intelligente Reiz dieser elf Lieder.

Ihr könnt gerne mitzählen: 39 Mal gibt es hier Entschuldigung.

Website von Sorry 3000.

Michael Kraft

Michael Kraft ist Diplom-Journalist und lebt in Leipzig. Auf shitesite.de schreibt er seit 1999 als Hobby über Musik, Filme, Bücher und ein paar andere Dinge, die ihn (und vielleicht auch den Rest der Welt) interessieren.

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