Künstler | Sparta | |
Album | Trust The River | |
Label | Dine Alone | |
Erscheinungsjahr | 2020 | |
Bewertung |
Was genau mit dem Titel dieses Albums gemeint sein könnte, ist leider nirgends explizit erklärt. Man kann Trust The River aber vielleicht so interpretieren: Wenn man sein Boot zu Wasser lässt, sollte man sich einfach auf dem Fluss treiben lassen und darauf vertrauen, dass man an einem guten Ort landen wird. Es bringt nichts, gegen den Weg der Strömung und die Kraft der Natur anzukämpfen.
So handhabt es Jim Ward auch, wenn er Songs schreibt. Das galt schon bei At The Drive-In, wo er seit 1994 Gitarre und gelegentlich Keyboard spielte, es galt auch später bei Sparta, zuletzt bei seinen Soloplatten oder mit dem Quasi-Country-Projekt Sleepercar. „Ich war immer Fan davon, den Song bestimmen zu lassen, wohin er geht. Ich habe mich nie hingesetzt und gesagt ‚Das mögen die Leute von mir‘ oder ‚Das ist gerade erfolgreich‘. Diese Bedürfnisse hatte ich nie“, sagt der Texaner. Als er Ende 2017 an neuem Material arbeitete, merkte er schnell: Es war härter als das, was er zuletzt gemacht hatte. Es würde zu Sparta passen. Und so kam es, dass die Band 14 (!) Jahre nach dem Vorgänger Threes heute ihr viertes Album veröffentlicht.
Trotz der langen Pause sieht Jim Ward dies keineswegs als Comeback. Sparta haben in seinem Kopf immer weiter existiert und nur darauf gewartet, wieder aktiviert zu werden, genau wie seine anderen Projekte: „Ich habe es mir zum Ziel gesetzt, niemals eine meiner Bands aufzulösen. Wenn man sich meine musikalische Historie anschaut, wurde sie von On/Off-Projekten bestimmt. Sie ist gefüllt mit Tragödien, Reunions, mehr Tragödien und so weiter. Deshalb möchte ich, soweit ich es kontrollieren kann, keine Endgültigkeit.“
Man merkt Trust The River trotzdem schnell an, dass der Künstler nicht mehr Ende 20, sondern fast in der Mitte seiner 40er Jahre angekommen ist. Die Platte ist einerseits ruhiger als die ersten drei Alben von Sparta, sie ist eher für neu hinzugekommene Liebhaber von alternativem Rock geeignet als für die alten Hardcore-Fans. Andererseits zeigt Ward, was er seitdem alles gelernt hat. Ein Lied wie der Album-Schlusspunkt No One Can Be Nowhere beweist das: Der Song ist reif, aber auch mit der nötigen Frische, Leidenschaft und Überzeugung ausgestattet. Die Klavierballade Dead End Signs zeigt ihn verletzlich, aber nicht kraftlos. „Auf ganz natürlichem Wege kommt es zu dieser Einheit“, erklärt Ward dieses Aufeinandertreffen von Energie und Kontrolle. „Diese beiden Welten in mir waren schon immer auf dem Weg zur Einheit. Und ich wusste tief in meinem Herzen, dass es so kommen würde.“
Umgesetzt hat er das mit Sparta-Gründungsmitglied Matt Miller am Bass als wichtigstem Kompagnon, dazu kommen Gitarrist Gabriel Gonzales (er hat auf Threes schon mitgespielt) und Schlagzeuger Cully Symington, produziert hat David Garza („Er kannte zwar die Band, aber wusste nicht was Sparta wirklich ‚ist‘. So konnte etwas ohne Regeln und Grenzen entstehen, was ich sehr genieße“, sagt Jim Ward über die Zusammenarbeit). Weiteren Input liefert Nicole Fargo, eine Sängerin aus Wards Heimatstadt El Paso, die seine Duettpartnerin in Spirit Away wird. Der Track zeigt, dass Trust The River durchaus Überraschungen zu bieten hat, auch wenn diese nicht mit dem Dampfhammer kommen: Die Streicher lassen hier ebenso aufhorchen wie der plötzlich sonore Gesang, das Ergebnis würde auch wegen der sehr stimmungsvollen Schwermut gut zu Nick Cave passen.
Diese Freude am Subtilen kann man hier immer wieder erkennen: Der Album-Auftakt Class Blue ist inspiriert vom ersten Ton an, braucht aber kein Spektakel und in der ersten Minute noch nicht einmal Gesang. Die kompakte und spannende Single Believe stoppt zwei Meter, bevor sie eine Hymne à la Bruce Springsteen werden könnte. Empty Houses hat eine schöne Dramaturgie, Graveyard Luck wird etwas dreckiger und druckvoller als der Durchschnitt der Platte, Turquoise Dream erweist sich als klasse Fortführung einer Idee, die mal „College Rock“ oder „Emo“ hieß. Jim Ward deutet darin an einer Stelle ein „Ohoho“ an, und besonders clever ist dabei, dass es ein dezentes Element im Hintergrund bleibt, das eher strukturieren will als den Song auf eine neue, besonders plakative Eben zu hieven.
Cat Scream ist das Stück, das den Weg zu einer neuen Platte dieser Band ebnete. „Als dieser Song, wie eine Peitsche von aufgeladenen Emotionen, aus mir herauskam, wusste ich sofort, dass er zur Sparta-Familie gehörte“, sagt Ward über den Track, in dem bei aller Turbulenz die Melodie im Refrain durchaus ihre Eleganz zu bewahren weiß. Sparta können in ihrer neuen Inkarnation verspielt sein und hintergründig, kraftvoll und straight. Auch das vergleichsweise rohe Miracle unterstreicht das: Keines der Elemente darin ist verschleiert oder gewagt, aber die Kombination ist nahezu perfekt, sodass das Ergebnis viel Klasse und noch mehr Spannung bekommt. Dass Ward wieder richtig Lust auf diesen Sound hat, merkt man nicht nur hier. „Ich freue mich so darauf, was jetzt passiert. Denn wir machen alles genau so, wie es sich für uns gut anfühlt“, blickt er voraus. „Wenn du 23 bist, gibt es nichts Besseres, als jeden Tag in einer anderen Stadt zu spielen und in irgendeiner Bar zu versacken. Heute möchte ich die Show spielen und am nächsten Tag die Stadt erkunden – Patti Smith hat mal gesagt, sie spielt nur noch an Orten, die sie gern besuchen möchte. Das möchte ich genauso machen. Der ganze Rest – der Erfolg und das Geld – das gibt mir alles nichts. Und das Leben ist viel zu kurz, um unglücklich zu sein.“