Künstler | Spider Bags | |
Album | Someday Everything Will Be Fine | |
Label | Merge Records | |
Erscheinungsjahr | 2018 | |
Bewertung |
Bands haben ja oft großes Vergnügen daran, in der Liste ihrer Einflüsse möglichst abseitige Referenzen zu nennen, gerne auch welche, die schon längst nicht mehr leben. Albert Einstein findet man in solchen Aufzählungen trotzdem selten. Beim heute erscheinenden Someday Everything Will Be Fine von Spider Bags trifft das ebenfalls zu. Es wäre allerdings im Fall der 2006 gegründeten Band aus North Carolina gar nicht so falsch, den Physiker zu erwähnen. Denn die Fähigkeit, die Relativität aller Dinge anzuerkennen, ist ein entscheidendes Element auf dem fünften Album des Trios. „I wonder who I am going to be this time“, singt Frontmann Dan McGee in Oxcart Blues, und in der Tat lebt er danach auf dieser Platte etliche Inkarnationen aus. Das Lied hat viel Drive, Zuversicht und Kraft – und eine weitere wundervolle Zeile: „I asked my doctor what he’d give me for despair / he just shrugged and said there ain’t no pills that can make a man care.“
Dieser Hang zur Gleichgültigkeit ist das zweite prägende Element von Someday Everything Will Be Fine, zugleich ist es das Wissen um die Relativität (und damit auch Veränderbarkeit) der Welt, die daraus bei den Spider Bags nicht Resignation werden lässt, sondern Hoffnung. Der Album-Auftakt Reckless ist ein perfektes Beispiel dafür: „I wasn’t born into this world to drive a truck / or to hold the truth / or to give a fuck“, singt McGee, und genau diese Überzeugung, für etwas Besseres bestimmt zu sein, dieser Traum von einem anderen Leben, das größer, freier und glamouröser ist, macht die Gegenwart erträglich.
Der Sound dazu ist lupenreiner Siebziger-Rock, wie man ihn sich etwa von Aerosmith vorstellen könnte, und das hat unter anderem technische Gründe. Aufgenommen wurde Someday Everything Will Be Fine mit Produzent Andrew McCalla (wie beim 2012er Album Shake My Head), und zwar mit einem altertümlichen Tascam 388-Aufnahmegerät in Memphis. „Dort klingt Rock and Roll einfach besser. Ich schwöre“, sagt Dan McGee, und diese Einschätzung bezieht sich wohl nicht nur auf die Stadt, sondern auch auf die Wahl des Equipments.
Alligator zeigt am besten die Effekte, die das hat: Das Lied handelt von der Suche nach der großen Liebe und nach Identität, es entwickelt seine große Dringlichkeit auch durch die Spontaneität und Unmittelbarkeit des Lo-Fi-Sounds. Auch in Ninety Day Dog haben Spider Bags einen sehr sympathischen, altmodischen Charme, denn die Botschaft heißt hier: Es gibt nichts, über das man sich nicht mit einer E-Gitarre, ein paar Bier und ein paar Kumpels hinwegtrösten könnte (in diesem Fall ist es der Verdacht, von der eigenen Frau betrogen zu werden, der sonst Anlass für Kummer wäre).
Burning Sand könnte von The Who sein, nicht nur wegen des Synthesizers am Anfang, Apocalypso wird ein schräger Psychedelic-Blues, Tonight, I Walk On The Water ist vergleichsweise straight, hat viel Punch und macht mit seiner Party-Atmosphäre (wie etliche weitere Tracks auch) große Lust darauf, Dan McGee und seine Mitstreiter Rock Forbes (Schlagzeug) und Steve Oliva (Bass) einmal live zu sehen. Das gilt auch für Cop Dream/Black Eye (True Story), in dem sie mit noch mehr Tempo, Feuer und Geschrei dem Punk sehr nahe kommen.
Rollin‘ With The Flow schließt das Album ab, auch hier zeigt sich sowohl im Songtitel als auch im Text („I got a lot of crazy friends / and they forgive me all my sins“) die Fähigkeit der Spider Bags, sich mit der Beschissenheit der Zustände zu arrangieren, ohne die Zuversicht zu verlieren. Lustigerweise hat die Melodie des Lieds einige Ähnlichkeit mit Leo Sayers More Than I Can Say, aber hier wird das Ganze natürlich mit deutlich mehr Herzblut, Dreck, Aggressivität und Wahnsinn vorgetragen.
Der beste Song ist My Heart Is A Flame In Reverse, dessen Ausmaß an Großartigkeit an Bob Dylan denken lässt. „The future tells many lies about the past“, heißt es darin. Das ist nicht nur erneut eine Aussage, die wohl auch Albert Einstein unterschreiben würde. Sondern auch ein Bekenntnis dazu, an der Authentizität der eigenen Biographie festzuhalten, gegen alle Widerstände und Versuchungen. „They learned that to live / is to suffer and to smile / and to succeed in anything you must fail for a long while“, singt Dan McGee. Man muss das wohl Weisheit nennen.