Künstler*in | Spiritczualic Enhancement Center | |
Album | Carpet Album | |
Label | Kryptox | |
Erscheinungsjahr | 2021 | |
Bewertung |
Angeblich gab es einmal eine Guerillatruppe in Mittelamerika, die kurz davor war, von einer Eliteeinheit des Militärs entdeckt zu werden, das sie verfolgte. Um sich doch noch zu retten, wählten sie eine ungewöhnliche Taktik: Sie stellten Lautsprecher auf, aus denen ein „extraordinary noise“ kam. Und dieser Sound war so schrecklich und furchteinflößend, dass die Angreifer sich tatsächlich zurückziehen mussten.
Man kann sich nun die Frage stellen, welcher Art wohl die Klänge waren, die da aus den Lautsprechern dröhnten. Nicht zuletzt dürfte das ja auch vom Geschmack oder der Schmerztoleranz der damit angegriffenen Personen abhängen. Ich musste jedenfalls an diese Anekdote denken, als ich mich zum ersten Mal mit dem Spiritczualic Enhancement Center beschäftigt habe. Denn was ich über dieses Kollektiv erfuhr, weckte den Verdacht: Für mich könnte die Musik dieses Kollektivs genau das „extraordinary noise“ sein, das so schlimm ist, dass ich mich nur durch Flucht davor retten kann.
Die Selbstbeschreibung der 18 Musiker*innen, die aus 17 Ländern (genauer: Deutschland, Japan, Israel, Iran, USA, Türkei, Irak, Dänemark, Polen, Philippinen, UK, Russland, Moldau, Rumänien, Tschechien, Montenegro und Mazedonien) stammen, fast alle in Berlin leben und sich dort regelmäßig zu Sessions treffen, lautet “spectral trancejazz ensemble with a psychedelic-punk methodology.” Das klingt in meinen Ohren, als würde die versiffte Planlosigkeit von Hippies mit der elitären Freudlosigkeit des Jazz vermengt – the worst of both worlds. Dass sie ein eigenes Studio in Neukölln haben, also im Zweifel niemanden, der ihnen bei ausufernden Jams einmal Einhalt gebieten oder den Hinweis platzieren könnte, dass Musik nicht nur denjenigen Vergnügen bereiten sollte, die sie erzeugen, sondern auch denjenigen, die sie hören, kommt erschwerend hinzu.
Das Carpet Album wurde indes nicht nur in Berlin, sondern auch in Rumänien, Dänemark und der Tschechischen Republik eingespielt. Meist nutzt das 2017 gegründete Spiritczualic Enhancement Center die Gelegenheit von Liveauftritten im Ausland nämlich auch gleich, um dort aufzunehmen, nach eigenen Angaben besonders gerne in leerstehenden Bauernhäusern oder Fabriken, wo die Musiker*innen dann für mehrere Tage ihr Lager aufschlagen. Abgemischt wurde die Platte in einer alten, leeren Villa in Nizza.
Die schlimmen Befürchtungen, das Carpet Album könnte zur maximalen akustischen Qual werden, treten dann aber doch nicht ein. Zwar ist einiges undefinierbar, auf unangenehme Weise spacig oder in so eitler Hinsicht experimentell, wie man das bei dieser Ausgangssituation erwarten musste. Öfter als gedacht lässt es sich im Spiritczualic Enhancement Center aber auch ganz gut aushalten, vor allem, weil die Band dem Rhythmus oft eine prominente Rolle einräumt wie im recht luftigen Slight Gust Of Wind oder dem vergleichsweise konkreten Sell It To HBO.
Dass das als Teil dieses Ensembles womöglich Spaß machen kann, lässt sich nicht abstreiten, auch der Erfolg bei Festivals wie dem Fusion, Outernational Days, Camp Cosmic und Copenhagen Jazz Festival leuchtet schnell ein. Das beste der acht ausschließlich instrumentalen Stücke ist Mortality Management: In der ersten Hälfte steht ausnahmsweise mal eine (geisterhafte) Melodie im Zentrum, über die zweite Hälfte könnte man gut einen Rap legen. Aber das wäre dann vielleicht doch ein bisschen viel Entertainment für den Ansatz des Spiritczualic Enhancement Centers.