Spiritualized – „And Nothing Hurt“

Künstler Spiritualized

Spiritualized And Nothing Hurt Review Kritik
Auf sich gestellt hat Jason Pierce „And Nothing Hurt“ aufgenommen.
Album And Nothing Hurt
Label Bella Union
Erscheinungsjahr 2018
Bewertung

Fast alles an And Nothing Hurt hat Jason Pierce, das Mastermind hinter Spiritualized, alleine konzipiert, geschrieben und eingespielt, in seiner eigenen Wohnung im Londoner Osten. „Wir hatten zuvor große Shows gespielt und ich wollte den Sound dieser Konzerte gerne für das Album reproduzieren. Aber dafür fehlten mir einfach die Ressourcen. Ich musste einen Weg finden, das mit den beschränkten Mitteln hinzubekommen, die mir zur Verfügung standen. Also habe ich mir ein Laptop gekauft und das alles in einem kleinen Zimmer in meinem Haus fabriziert“, sagt er.

Diese Aussage überrascht nicht nur angesichts des opulenten Sounds dieser Platte, sondern auch bei einem Blick ins Booklet: Dort sind zehn Aufnahmeorte genannt (darunter so renommierte wie die Konk Studios), ebenso viele Aufnahmetechniker, dazu noch fünf Assistant Engineers und insgesamt 19 Musiker, die an der Platte mitgewirkt haben. Dieser Widerspruch wird aber verständlicher, wenn man sich klar macht, wie wichtig das Studio bisher für die Musik von Spiritualized war. Pierce kämpft von jeher darum, die Klänge, die in seinem Kopf spielen, in die echte Welt zu übertragen. Bisher geschah das oft im Aufnahmestudio, mit anderen Musikern, die Ideen einbrachten, als Korrektiv fungierten, Sparringspartner waren. Genau dieses Element fehlte bei And Nothing Hurt – erst, als die Kompositionen fertig waren, kamen andere Beteiligte hinzu, um sie einzuspielen.

„Ganz oft habe ich mir gewünscht, irgendjemand käme vorbei und würde etwas in das Album einbringen“, sagt Pierce bezeichnenderweise, und fügt an: „Das Schwierigste für mich war, es wie eine Studio-Session klingen zu lassen.“ Weil er die neue Aufnahmemethode erst erlernen musste, war die Arbeit entsprechend mühsam. „Ich habe da wochenlang gesessen, sogar monatelang, und Schicht für Schicht aufgebaut, um es irgendwie richtig klingen zu lassen.“ Man erkennt sofort, wie sehr sich diese Anstrengung gelohnt hat, egal ob er im verträumten John-Lennon-Walzer-Modus agiert (The Prize), lärmend und krawallig in die Nähe von Primal Scream rückt (On The Sunshine) oder sehr bewegend darlegt, dass zur Lebendigkeit auch das Leiden gehört (Damaged).

Einen großen Anteil an der Majestät von And Nothing Hurt haben die Texte, auf die Pierce diesmal besonderen Wert gelegt hat, wie er sagt: „Ich habe mir viele Gedanken darüber gemacht, wie die Songs verbunden sein sollen. Ich wollte Narrative entwickeln, die wirklich Sinn machen, statt nur ein paar Zeilen aneinanderzureihen, die sich reimen.“ Im Ergebnis liest sich schon das Tracklisting wie ein Gedicht, auch an vielen anderen Stellen sind Spiritualized hier poetisch wie nie. Sehr deutlich wird das in Let’s Dance, das von der Entschlossenheit erzählt, noch die letzte Möglichkeit von Spaß aus dem Abend herauszuholen. In diesem „Come on darling, let‘s dance“ steckt nicht nur die Verlorenheit eines „lonely rock’n’rollers“, wie es heißt, sondern auch die sehr kluge Erkenntnis über die Zeit nach der durchzechten Nacht: „We’ve got the rest of our lives to recover.“ Natürlich ist dieser Abend mit seinem Gefühl von Torschlusspanik auch eine Metapher für das Altern, auch wenn der 52-Jährige betont, er habe damit kein Problem: „Es geht viel eher um Akzeptanz des Alters, ohne Unzufriedenheit. Ich kämpfe nicht gegen das Unausweichliche an.“

Das thematisch verwandte I’m Your Man wird ein Schmachtfetzen rund um das halbe Versprechen „I could be faithful, honest and true“. Zur großen Geste passen die Bläser und der Chor ebenso wie das ausufernde Gitarrensolo. Die Arrangements und Orchestrierung, in die Pierce so viel Detailarbeit gesteckt hat, sind fast durchweg zauberhaft, etwa in A Perfect Miracle: Er ist hier Träumer, Optimist und Romantiker, er vermisst, bereut und liebt – das Lied hätte ein Orchester gar nicht gebraucht, aber natürlich nimmt man als Hörer gerne hin, dass es dadurch noch betörender wird.

Synthesizer und Mundharmonika schaffen in The Morning After das Chaos, das dem Durcheinander im Kopf von Janie entspricht, der Heldin dieses Lieds. Wenn später noch Saxofon und ein sich verkrampfendes Klavier hinzukommen, wird das Durcheinander vollends zum Wahnsinn. Here It Comes (The Road) Let’s Go, thematisch wie eine Gebrauchsanweisung für die Frage „Wie kommst du zu mir und was machen wir dann zusammen?“ angelegt, ist im Sound typische Autofahrermusik mit Country-Feeling, irgendwo zwischen Tom Petty und den Eels. Sail On Through, das die Platte beschließt, klingt nicht nur wegen des Morse-Codes ganz am Ende wie eine Botschaft aus den Fernen des Alls (kein Wunder bei einem Künstler, der J. Spaceman als Synonym verwendet), die etliche Lichtjahre hinter sich gebracht und auch ordentlich kosmische Strahlung abbekommen hat.

„Das ultimative Ziel ist es wahrscheinlich, etwas zu erschaffen, das all der Zeit und Mühe gerecht wird, die man hineingesteckt hat. Ich wusste also, dass ich etwas hinbekommen musste, das gut ist und diese Existenzberechtigung nachweisen kann“, weiß Pierce, der nach diesem sehr gelungenen Kraftakt vor allem froh ist, nun kein Einzelkämpfer mehr sein zu müssen: „Eine der schönsten Aspekte an dieser Platte ist, dass wir sie nun live spielen können. Jeder kann dann einen Teil zu diesem unglaublichen Sound beitragen, der gerade durch das Dach hereingekommen zu scheint. Das ist das wirklich Beglückende.“

„Shot in legendary locations“ heißt es zum Video von I’m Your Man. So sieht es auch aus.

Website von Spiritualized.

Michael Kraft

Michael Kraft ist Diplom-Journalist und lebt in Leipzig. Auf shitesite.de schreibt er seit 1999 als Hobby über Musik, Filme, Bücher und ein paar andere Dinge, die ihn (und vielleicht auch den Rest der Welt) interessieren.

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