Squarepusher – „Feed Me Weird Things“

Künstler*in Squarepusher

Squarepusher Feed Me Weird Things Review Kritik
Zum Jubiläum erscheint Squarepushers „Feed Me Weird Things“ mit zwei Bonustracks.
Album Feed Me Weird Things (25th Anniversary Edition)
Label Warp
Erscheinungsjahr 2022
Bewertung

Es gibt einen Moment in der Dokumentation The Art Of Football, in der Dave Stewart von den Eurythmics den Unterschied zwischen Fußball und Popmusik erklärt. Seiner Ansicht nach besteht dieser in erster Linie in der Unberechenbarkeit des Mannschaftssports. Ein Musiker weiß, an welcher Stelle eines Stücks welche Note gespielt wird, er kennt die Abläufe von Strophe und Refrain, er kann sogar vorhersagen, an welcher Stelle und bei welchem Lied die Fans im Konzert besonders laut jubeln werden. Ein Fußballer kann all das nicht. Zwar gibt es auch für ihn die festen Regeln des Spiels, aber er muss stets darauf reagieren, was seine Mit- und Gegenspieler machen, in jeder Sekunde entsteht für ihn eine neue Situation.

Tom Jenkinson alias Squarepusher scheint vor 25 Jahren angetreten zu sein, um diese plausibel klingende These zu erschüttern. Die Musik auf seinem Debütalbum scheint über ihren nächsten Schritt immer erst im Moment ihrer Entstehung zu entscheiden. Der Mann aus aus Chelmsford, Essex, veranstaltet quasi eine Jam-Session mit sich selbst und seiner Studiotechnik. Den Zeitgeist von Rave und Hedonismus, Lebendigkeit und Aufbruch paart er mit der Herangehensweise des Jazz und dem Ziel, eine Schnittmenge, ja sogar die perfekte Balance zwischen echten Instrumenten und programmierten Elementen zu finden. „Ich habe auf unendlich viele Arten versucht, mich dem Punkt zu nähern, an dem die eine Welt zerfällt und die andere beginnt“, sagt er.

Mit der Ästhetik, die er damals als “breaks, percussion, 303 acid and noise, designed to be heard at ear splitting volume” beschrieb, sorgte er bei Veröffentlichung von Feed Me Weird Things 1997 für viel Aufsehen. Zum Jubiläum wird das damals auf dem mittlerweile inaktiven Rephlex-Label von Richard D. James (Aphex Twin) und Grant Wilson-Claridge veröffentlichte sowie zuletzt zehn Jahre lang vergriffene Album jetzt neu aufgelegt. Es ist auf Vinyl (2 x 12″, 1 x 10″ + Booklet), Deluxe-Casebound-Buch-CD verfügbar, zudem auch erstmals auf Streaming-Plattformen. Jenkinson hat die 14 Tracks (darunter zwei Stücke, die nicht auf dem Original-Album, sondern nur auf der japanischen Ausgabe und der B-Seite der EP Squarepusher Plays enthalten waren) von den Original-DATs remastered.

Die Verbundenheit zu seinem Erstlingswerk ist bei Squarepusher weiterhin groß, wie nicht nur diese Neuauflage zeigt. Auf seinem letzten Album Be Up A Hello (2020) hat er einen Teil der analogen und digitalen Hardware eingesetzt, mit der er auch hier gearbeitet hatte. Auf die Zeit zwischen Dezember 1994 (damals war er ein 19-jähriger, einigermaßen frustrierter Kunststudent) und März 1996, in denen die Tracks von Feed Me Weird Things entstanden sind, blickt er mit einer ziemlich unverhohlenen Nostalgie zurück: „Ich wachte auf, das Wetter war fantastisch und ich schaltete einen Piratensender ein, der Jungle spielte, und hörte all diese großartige neue Musik. Ich begann zu spüren, dass ich eine Art Verständnis für die Werkzeuge des Musikmachens entwickelte, die ich sonst nirgendwo um mich herum sah. (…) Ich hatte das Gefühl, dass ich mich auf eine neue Art des Musikmachens zubewegte. Es war eine ‚Gedankengang‘-Produktionsweise, die die Art und Weise widerspiegelte, wie mentale Prozesse auf unheimliche und manchmal alarmierende Weise ablaufen können. Ich hatte den Eindruck, dass es eine Musik zu machen gab, die psychologisch so akut war, dass sie zu neuen Empfindungen führen konnte: eine Musik, die ebenso körperlich und lebhaft emotional wie zerebral war. Und es fühlte sich so an, als würde ich anfangen, sie zu machen.“

Angesichts dieses Zitats verwundert es nicht, dass sich Tracks wie Theme From Ernest Borgnine wie ein reines Abenteuer anhören. Dem stehen aber auch Momente gegenüber wie North Circular oder Kodack, die hibbelig, verfrickelt und für Menschen mit konventionellen musikalischen Vorlieben wohl schwer zu ertragen sind. Aus den ursprünglich 40 Songs, die Tom Jenkinson produziert hatte, suchte Richard D. James 12 aus, die dann auf dem Album landeten, und legte dabei auch die Trackliste fest.

Die Bandbreite reicht vom vergleichsweise kraftvollen und straighten Dimotane Co. bis hin zum angenehmen, soften Goodnight Jade. Es gibt manches, das die Zeit der Entstehung gut erkennen lässt wie die TripHop-Elemente in U.F.O.’s Over Leytonstone oder die hektischen Breakbeats in Future Gibbon. Wenn man nicht an Innovation interessiert ist, sondern an Entertainment, können die 77 Minuten der Neuauflage von Feed Me Weird Things aber auch zu ziemlich harter Kost werden. Mark Fisher bezeichnete den Sound von Squarepusher in seinem Buch The Weird And The Eerie (2017) nicht nur wegen des hier gewählten Albumtitels treffenderweise als „weird music“, die nicht per se angenehm ist und auch nicht durchweg unangenehm, sondern „eine verblüffende Mischung aus Vergnügen und Schmerz, die der Psychoanalytiker Jacques Lacan als jouissance bezeichnete“.

Ein Stück wie das rätselhafte Tundra changiert in knapp acht Minuten zwischen sphärisch und vogelwild, der Album-Auftakt Squarepusher Theme wird eingeläutet von Akkorden auf der akustischen Gitarre, auf der Jenkinson schon als kleiner Junge geschrammelt hat und wird danach wirr und klar zugleich. Immer wieder glänzt er auch als virtuoser Bassist wie in Deep Fried Pizza, das er einen “FM radio hyper funk from an imaginary Japan” nennt.

Die vielleicht beste Analyse für den bahnbrechenden Charakter von Feed Me Weird Things hat damals Aphex Twin verfasst, als er 1996 (zum ersten und bisher einzigen Mal) die Liner Notes für das Album verfasste: „Der Squarepusher ist jemand, der sich fragt, wie sich die Löcher einer Flöte ohne die Flöte anhören. Sound, wie er noch nie geklungen hat. Richard Rodgers und Julie Andrews gaben uns den Sound Of Music, John Cage und Simon and Garfunkel gaben uns den Sound Of Silence und nun gibt uns der Squarepusher den SOUND of SOUND.“

So klingt das Squarepusher Theme.

Website von Squarepusher.

Michael Kraft

Michael Kraft ist Diplom-Journalist und lebt in Leipzig. Auf shitesite.de schreibt er seit 1999 als Hobby über Musik, Filme, Bücher und ein paar andere Dinge, die ihn (und vielleicht auch den Rest der Welt) interessieren.

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