Künstler | Stella Donnelly | |
Album | Beware Of The Dogs | |
Label | Secretly Canadian | |
Erscheinungsjahr | 2019 | |
Bewertung |
Um es vorweg zu nehmen: Beware Of The Dogs ist eine Platte, in die man sich verlieben kann. Die Lieder auf dem Debütalbum von Stella Donnelly sind schön, schlau und besonders. Zugleich merkt man in jedem Moment, wie viel sie bedeuten, als Aussage über unsere Welt, aber auch für die Künstlerin selbst. „Diese Platte gab mir das Gefühl zurück, die Zügel in der Hand zu haben. Es war ein Gefühl, das mich zugleich befreit und geerdet hat, als mir klar wurde: No one can f**k with this except me“, sagt die Australierin, die 2017 mit der EP Thrush Metal ihre erste Veröffentlichung vorgelegt hatte.
Die wichtigste Entwicklung, die seitdem eingesetzt hat (auch hier: in der Welt und für ihr eigenes Leben), heißt #MeToo. Ganz unmittelbar war das als Auslöser für Old Man der Fall, das die Platte eröffnet. „Ich hatte den Refrain und die Akkorde schon fertig, ungefähr zu der Zeit, als Woody Allen die MeToo-Bewegung als Hexenjagd bezeichnet hat. Es fühlte sich sehr seltsam an, wie sich die Welt in dieser Hinsicht gerade unmittelbar vor meinen Augen veränderte. Diese Männer, die so lange ihre Macht ausgenutzt hatten, wurden plötzlich für ihre Taten zur Verantwortung gezogen“, erzählt die 26-Jährige. „Es erinnerte mich an meine eigenen Erfahrungen als junge Frau, die gerne Musik machen wollte, und an bestimmte einflussreiche Männer, die mich manipulieren und auch andere junge Frauen ausnutzen wollten. Ich musste dieses Lied für mich selbst schreiben. Wenn ich das nicht getan hätte, wäre da immer noch eine ziemliche Wut in mir über Dinge, die ich habe durchgehen lassen, als ich noch jünger und naiver war. Mir geht es nicht darum, die Leute namentlich anzuschwärzen. Aber es ist ein befriedigendes Gefühl, dass sie vielleicht eines Tages dieses Lied hören und ein bisschen von der Erniedrigung und Machtlosigkeit spüren werden, die sie mir damals zugemutet haben.“
Der Sound für diesen Prozess von Rückblick und Selbstfindung ist erstaunlich heiter und entspannt, fast gemütlich. Gerade dadurch wird klar: Es geht in Old Man um eine Begegnung mit einem Grabscher und Manipulator, um eine Situation der Ohnmacht – die aber jetzt aber überwunden ist. „Oh are you scared of me old man / or are you scared of what I’ll do? / you grabbed me with an open hand / the world is grabbing back at you“, singt Stella Donnelly, ganz am Ende des Liedes sogar ergänzt um ein triumphierendes „Ha, ha!“
Es gibt mehrere weitere Songs auf Beware Of The Dogs, die um ähnliche Themen und Erfahrung kreisen. Der Kampf um Respekt und Gleichberechtigung, die Tatsache, dass man im Musikgeschäft nicht einfach eine Frau sein kann (so wie man einfach ein Mann sein kann), der Blick auf den eigenen Körper und der Blick der Umwelt darauf, der ebenso aufgeladen ist mit Erwartungen, Druck und Stereotypen. Season’s Greetings zeigt: Mit all diesen Erwartungen umgehen zu müssen, kann leicht ins Chaos münden. Stella Donnelly singt darüber mit einer Leichtigkeit und Schärfe, wie das sonst nur Lily Allen hinbekommt. „I’m locked out of my body and its usual common sense“, heißt die zentrale Zeile im Album-Schlusspunkt Face It, auf die eigene Unreife, die noch gar nicht so weit zurückliegt und gelegentlich auch noch in die Gegenwart hineinreicht, blickt Watching Telly. Zu den Dingen, mit denen sie hier kämpft, gehören Kerle, Kirche und Körperbewusstsein.
Über Missbrauch und Vergewaltigung sind sie, nur vom Picking ihrer Gitarre begleitet, in Boys Will Be Boys. Ihre Stimme könnte dabei Steine erweichen, wenn sie im Refrain singt, Jungs seien gegenüber dem Wort „Nein“ nun einmal taub. Auch das sehr intensive U Owe Me oder Allergies zeigen, wie wichtig bei all ihren anderen Qualitäten (Melodie, Witz, Leidenschaft, Attitüde, nicht unbedingt in dieser Reihenfolge) der Gesang ist für das Vergnügen, das man mit Beware Of The Dogs haben kann. Von einer Liebe sind in diesem Lied nur noch Vorwürfe, Bedauern und Ernüchterung übrig geblieben. „I did my best to love you“, lautet die Rechtfertigung.
Auch Produzent Dean Tuza und die Begleitband, bestehend aus Bassistin Jennifer Aslett, Schlagzeuger Talya Valenti und Gitarrist George Foster, verdienen sich im Verlaufe des Albums viel Lob, denn auch sie tragen dazu bei, dass diese Platte einen klaren Charakter hat und dabei dennoch viel Abwechslung bietet. In Lunch begleiten Streicher, ein stolperndes Schlagzeug und eine sehr stoische Gitarre den Kampf der Künstlerin gegen die Selbstverliebtheit anderer Leute, das Arrangement im Titelsong Beware Of The Dogs könnte man „beschaulich“ nennen, doch die Stimme lässt auch hier eine Entschlossenheit erkennen, bei der man sofort merkt: Mit der ist nicht zu scherzen.
Im wundervoll eingängigen Tricks geht die Verspieltheit in der Melodie kein bisschen auf Kosten der Prägnanz in der Aussage, die Ausgelassenheit der Stimmung trübt in keiner Weise das Ausmaß an Überzeugung. Rund um die Refrainzeile „You only like me when I do my tricks for you“ nimmt Stella Donnelly hier sowohl das Musikgeschäft als auch das nationale Selbstverständnis vieler ihrer Landsleute ins Visier. „Man kann das Lied als ein verspieltes Hineinzoomen in die so genannte ‚australische Identität’ verstehen, ebenso wie als sanften Seitenhieb auf all die Idioten, die mich angebrüllt haben, als ich noch Konzerte am Sonntagnachmittag spielte“, sagt sie. Die anhaltende Fassungslosigkeit in Bistro wird klar, weil es neben „you walked away“ kaum weitere Zeilen gibt. Die klingt absichtlich putzig, zeigt allerdings auch: Wenn Stella Donnelly über Stimmungen reflektiert, ist sie etwas schwächer als dann, wenn sie näher daran ist, eine Geschichte zu erzählen.
Letzteres ist in Mosquito der Fall, auch wenn viele Kritiker das übersehen werden. „I use my vibrator / wishing it was you“, heißt wohl die Zeile in diesem Album, auf die sich alle stürzen werden. Es ist eben ein besonders explizites Bekenntnis zur Selbstbestimmung, die Beware Of The Dogs prägt, aber im weiteren Verlauf zeigt der Song auch eine Qualität, die noch viel wichtiger ist. Stella Donnelly wirkt hier ein bisschen verschlafen, besingt ihre Sehnsucht und den Wunsch, mit blödsinnigen Gesten die eigene Begeisterung für den Liebsten aus ihrem Innersten in die reale Welt nach außen tragen zu können – und das Wissen, dass diese Euphorie flüchtig, wahrscheinlich sogar übertrieben ist. Das ist viel bedeutender für den Appeal dieser Musik als der Mut, über das eigene Sexspielzeug zu singen: Selbstreflexion und emotionale Intelligenz.
Schaut auf die Opfer! Das ist die Botschaft im Video zu Boys Will Be Boys.
Stella Donnelly gibt es im April 2019 dreimal live in Deutschland:
11.04. Berlin | Badehaus
12.04. Hamburg | Molotow Skybar
15.04. Köln | Yuca