Künstler | Stephen Malkmus | |
Album | Groove Denied | |
Label | Domino | |
Erscheinungsjahr | 2019 | |
Bewertung |
Wer glaubt, in diesen Anything-Goes-Zeiten könne es keine musikalischen Glaubenskämpfe mehr geben, hat die Rechnung ohne die Fans von Stephen Malkmus gemacht. Er war als Frontmann von Pavement vor einem guten Vierteljahrhundert eine der prägenden Figuren von Underground-Rock, jetzt hat er mit Groove Denied ein Album im Gepäck, das elektronisch geprägt ist. Als der 54-Jährige als Vorbote das Video zu Viktor Borgia veröffentlichte, gab es bei YouTube natürlich wohlwollende Kommentare, ebenso lustige Anmerkungen wie „stephen malkmau5“ und „Weeds legal in Canada for five minutes and this happens“, aber auch bitter enttäuschte Fan-Reaktionen wie „wtf… no mr M… where’s your rock?! ah!“, „Kraftwerk rang they want their Pavement back“ oder „After this is released he’ll realize how much we need a Pavement reunion tour.“
Diese Empörung ist nicht ganz verwunderlich. Malkmus war eine prägende Figur für viele, die in den frühen Neunzigern mit alternativer Gitarrenmusik aufgewachsen sind, und damals waren Rock und Elektronik für viele noch erbitterte Gegner. Wer gerade erst Kurt Cobain oder Zack de la Rocha zu seinen Helden erchoren hatte, wäre niemals auf die Idee gekommen, durch die Berliner Technoclubs zu ziehen (wie es Stephen Malkmus zu dieser Zeit tatsächlich bereits getan hat, mit der Erkenntnis: “The music can be great… you can zone out, dance, and focus on music – or just get wasted!”). Rock und Techno waren Feinde, vor allem galt das für den ohnehin zum Snobbismus neigenden Indie-Rock. Er stand vermeintlich für Seele statt Kalkulation, Gesellschaftskritik statt Hedonismus, Identifikation statt Anonymität. Wer so sozialisiert wurde, ist vielleicht auch im nächsten Jahrtausend noch nachtragend, wenn eines der einstigen Idole plötzlich die Seiten wechselt.
Malkmus hat für die Hinwendung zur Elektronik einleuchtende Gründe, die nicht weniger plausibel werden, weil man sie schon öfter von anderen Künstlern gehört hat. Die Songs hat er in Oregon aufgenommen, aber größtenteils in Berlin geschrieben. Er arbeitete dabei mit der Software Ableton Live, Drumcomputern, Effektgeräten und Sythesizern und fühlte sich beim Erkunden der technologischen Möglichkeiten beflügelt. Sie erinnerten ihn an eine App für Kinder, mit der man Spielfiguren bauen kann. „Man sucht die Haarfarbe aus, die Kleidung und so weiter. Alles, indem man intuitiv etwas greift oder zur nächsten Möglichkeit wischt“, sagt er. Offensichtlich war (auch) er also gelangweilt von der bisherigen Songwriting- und Aufnahmeroutine, hatte Lust auf Neues bekommen (“It’s fun to mess with things that you’re not supposed to”), vielleicht bestärkt durch die faszinierte Erkenntnis, mit wie wenigen Geräten (letztlich nur einem Computer) und Mitstreitern (letztlich niemand, auch The Jicks sind erstmals seit 2001 nicht auf einem seiner Soloalben dabei) man ein komplettes Album machen kann. Es ist also sowohl ein Verlassen der Komfortzone als auch der Gewinn von neuer Autonomie und bequemer Effizienz.
Das hört man man Groove Denied an. Belziger Faceplant eröffnet das Album, es ist Stephen Malkmus’ Vorstellung eines Tracks, der gemacht ist „von jemandem, der vollkommen durch ist nach einer Partynacht in Friedrichshain, dann um 5 Uhr nach Hause kommt, im ersten Morgenlicht das Laptop aufklappt und versucht, einen Song zu machen. Aber die Instrumente stolpern übereinander und man kann noch nicht wieder sprechen nach all dem Ketamin.“ Das Stück ist als einziges auf dieser Platte tatsächlich weitgehend instrumental und wirkt auch deshalb etwas obskur. Es zeigt aber auch: So sehr die Elektro-Einflüsse hier im Vordergrund stehen, so ungeeignet wäre diese Musik, um tatsächlich bei einem Rave zum Einsatz zu kommen. Dafür gibt es zu wenig Ekstase und Kraft, letztlich auch zu wenig Aktualität.
“Bei den elektronischen Sachen wollte ich, dass sie nach der Prä-Internet-Zeit klingen“, sagt Malkmus. „Der Klangkosmos erinnert ein bisschen an die Siebziger, die Einflüsse sind eher Post Punk aus der Zeit um 1981, und ziemlich britisch.“ A Bit Wilder belegt das. „Ich wollte diesen grauen Industrie-Sound, wie ihn Martin Hannett immer produziert hat. Außerdem all die Newcomer-Bands, die damals auf den Spuren von The Cure wandelten. Einzelgänger mit einem 4-Spur-Aufnahmegerät, die von Killing An Arab geträumt haben.” Diese Idee, den Vorbildern nachzueifern, sieht Malkmus als essentiell an, nicht nur für seinen eigenen Zugang auf Groove Denied, sondern auch für Musik insgesamt: Indem man sich an den Helden orientiert, beim Kopieren aber auch eigene Elemente einbringt, manchmal sogar unabsichtlich, entstehen neue Klänge. In der Tat lässt das Stück sofort an Joy Division (die von Martin Hannett produziert wurden) denken, es wäre eiskalt, würde nicht (wie bei ihnen) so viel Melancholie drin stecken.
Das schon erwähnte Viktor Borgia erinnert an OMD mit seiner fast naiv anmutenden Synthie-Melodie. Forget Your Place besteht weitgehend aus Geräusch und Säuseln, was gut zur Beta Band passen würde. Bossviscerate setzt auf einen simplen Beat aus dem Drumcomputer und eine filigrane und verfremdete Gitarrenfigur, dann noch eine akustische Gitarre: In Summe entsteht so etwas wie Country-HipHop à la Beck. Grown Nothing schließt die Platte ab, wird von einem Latin-Rhythmus und Klavier getragen, bevor tatsächlich auch ein Gitarrensolo zu hören ist. Traditionalisten finden auch anderen Stellen der Platte noch den geliebten Sechssaiter, auch wenn sie sich nicht unbedingt darauf verlassen sollten, dass das auch künftig bei Stephen Malkmus noch der Fall sein wird: „Ich habe bei Groove Denied die Sachen in den Vordergrund gestellt, die nach Achtzigern und Kälte klingen. Das war einfach das Material, das ich selbst besonders aufregend und auch mutig fand. Hätte ich noch ein Jahr länger gehabt, wären vielleicht alle Songs in diesem Stil gewesen“, sagt er.
Der erste Moment, in dem man Rock-Ästhetik (vor allem Velvet Underground) erkennen kann, ist Come Get Me, später gibt es mit Love The Door (das könnte CCR in den späten Sechzigern sein) und Ocean Of Revenge (gewitzter Rock wie Frank Black nach einer erfolgreichen Anger-Management-Therapie) weitere Beispiele. Auch Rushing The Acid Frat zählt dazu, das ausgelassen und spinnert ist, vor allem durch den Gesang mit Sixties-Beat-Heiterkeit und einigen Spleens. Das Problem an Groove Denied ist dabei keineswegs, dass Stephen Malkmus plötzlich die Elektronik für sich entdeckt hat. Vielmehr sind die entstandenen Tracks, so sehr sie sich für ihn als abenteuerliche neue Spielweise erwiesen haben, für den Hörer einfach ein bisschen unspektakulär, auch die rockigeren Stücke bleiben nur auf dem Level „solide“. Man kann sich als Fazit gut dem Urteil eines weiteren YouTube-Kommentators anschließen: „The birth of dad eletronica.“