Film | Stille Nächte | |
Produktionsland | Deutschland | |
Jahr | 2014 | |
Spielzeit | 90 Minuten | |
Regie | Horst Johann Sczerba | |
Hauptdarsteller | Katharina Schüttler, Matthias Koeberlin, Katharina Thalbach, Hanns Zischler | |
Bewertung |
Worum geht’s?
„Und, was haben wir dieses Jahr gemacht?“, fragt Rita auf dem Beifahrersitz, als sie gemeinsam mit Georg auf dem Weg zu dessen Eltern ist. Der alljährliche Besuch zum Weihnachtsfest steht an, und Rita leidet unmittelbar davor keineswegs an Gedächtnisschwund. Ihre Frage hat einen ganz anderen Hintergrund: Schon seit sieben Jahren ist sie von Georg geschieden, aber der hat es bisher nicht übers Herz gebracht, das seinen Eltern zu offenbaren. So bittet er Rita, mit der er sonst praktisch keinen Kontakt mehr hat, Jahr für Jahr immer wieder, noch einmal für die Weihnachtstage das glückliche Ehepaar zu spielen. Während der Fahrt werden ein paar Eckpunkte der fiktiven gemeinsamen Biographie abgestimmt, dann beginnt das heikle Schauspiel. Rita hat allerdings längst genug davon: Diesmal soll Georg endlich die Wahrheit sagen, verlangt sie.
Das sagt shitesite:
Regisseur und Drehbuchautor Horst Johann Sczerba stellt für Stille Nächte einen klaren Gedanken in den Mittelpunkt: Weihnachten ist eine Illusion. Wir alle wünschen uns Harmonie, wenigstens für diese paar Tage im Jahr, und alle gaukeln deshalb etwas vor, den anderen, aber mindestens ebenso sich selbst.
Der erste Pluspunkt bei seiner Umsetzung ist, dass er in Stille Nächte ganz normale Leute in den Mittelpunkt stellt, ihre kleinen Sehnsüchte und ihre gar nicht so kleinen Ängste. Die Überhöhung, die mit dem Fest der Feste einher geht, wird dadurch noch umso deutlicher. Rita ist Friseurin, deren eigener Salon in Berlin nicht gut läuft. Auch ihr Liebesleben bietet seit der Scheidung viel mehr Enttäuschungen als Glücksmomente, auch wenn sie ihrem Ex-Mann von glamourösen Affären und verheißungsvollen Bewunderern erzählt. Georg ist Krankenpfleger in Köln, der sich als sowohl seinen Eltern als auch seiner Ex-Frau gegenüber als Arzt ausgibt, sich für den obligatorischen Trip zu den Eltern große Autos bei Kollegen leiht und Rita das Märchen von einer glücklichen neuen Beziehung auftischt.
Dass beide nicht über das Ende ihrer Ehe hinweg sind, auch weil sie sich nie darüber ausgesprochen haben, ahnt man schnell. Dass sie Jahr für Jahr in einer so misslichen Lage sind, wenn sie Georgs Eltern besuchen, hat aber einen anderen Grund: Diese Eltern sind das Muster einer innigen Liebe, und an diesem Ideal messen sich sowohl Georg als auch Rita. Sie scheitern daran – auch, weil sie nicht wissen, dass die Eltern selbst gar kein Problem damit haben, an sie einen großzügigeren Maßstab anzulegen. Georg fühlt sich als Versager, und nachdem er die auch von seinen Eltern für ihn erhoffte Medizinerkarriere bisher in den Sand gesetzt hat, will er wenigsten in seiner Beziehung als erfolgreich und etabliert erscheinen. Nur deshalb überredet er Rita immer wieder, den schönen Schein zu wahren. Nur aus Zuneigung zu den liebevollen Schwiegereltern lässt sie sich auch darauf ein. Als besondere Pointe wird dann im weiteren Verlauf klar: Auch die Eltern verbergen etwas, ebenfalls aus falsch verstandener Rücksichtnahme. Sie alle lügen aus Liebe. Sie alle pflegen lieber Konvention als sich gegenseitig Wahrhaftigkeit zuzumuten.
Auf dem Weg zu dieser Erkenntnis für den Zuschauer ändert Stille Nächte ein bisschen zu drastisch seine Stimmung zwischen launig und rührend. Der Gesamteindruck bleibt dennoch sehr positiv, vor allem durch den zweiten großen Pluspunkt dieses Fernsehfilms: seine große Empathie mit den Figuren. Die ebenso fürsorgliche wie freche Schwiegermutter, der vermeintlich virile, aber etwas schusselige Vater, der verunsicherte Georg und die faszinierend vielschichtige Rita – ihnen allen wird mit großer Wärme begegnet. Diese belebt auch die Rituale von Kartoffelsalat, Kartenspiel und Weihnachtsmesse, die hier ein weiteres Symbol werden für die Erinnerung daran: Weihnachten ist ein Schaupiel, bei dem alle wissen, dass es ein Schauspiel ist. Aber wir glauben, es sei besser für alle, es als Realität zu akzeptieren statt es zu hinterfragen.
Bestes Zitat:
„Die Wahrheit tut immer weh.“