Künstler | Superchunk | |
Album | What A Time To Be Alive | |
Label | Merge Records | |
Erscheinungsjahr | 2018 | |
Bewertung |
Manchmal zahlt sich Ausdauer auf sehr unerwartete Weise aus: Seit fast 30 Jahren gibt es Superchunk und noch nie war die Musik von Mac McCaughan, Laura Ballance, Jim Wilbur und Jon Wurster so aktuell wie jetzt. Auf What A Time To Be Alive profitieren die Punk-Veteranen davon, dass sich die Welt zielstrebig in Richtung Abgrund entwickelt. Die Dinge, gegen die sie schon immer angesungen haben, scheinen auf einem unaufhaltsamen Siegeszug zu sein, personifiziert von Donald Trump im Weißen Haus.
Aufgenommen und gemixt wurde das elfte Album der Band aus North Carolina von Beau Sorenson, wie schon 2013 der Vorgänger I Hate Music, der etwas privatere Themen in den Blick nahm, etwa die Unausweichlichkeit des eigenen körperlichen Verfalls. Superchunk wollten danach eigentlich eine längere Pause machen, auch wegen gesundheitlicher Probleme von Bassistin Laura Ballance. Ganz unverkennbar war es aber das Ergebnis der US-Präsidentschaftswahl, das sie dann zum Umdenken bewegt und ihnen zugleich eine Infusion an neuer Energie beschert hat.
Der Titelsong What A Time To Be Alive eröffnet die Platte kraftvoll und mitreißend. Der Refrain ist plakativ, aber wirkungsvoll – und lässt in punkto Sarkasmus keine Wünsche offen. “The scum, the shame, the fucking lies / Oh what a time to be alive”, singt Frontmann Mac McCaughan. Ganz ähnlich gelagert ist die Single Break The Glass. Auch hier regieren Entschlossenheit und Ungeduld, im Refrain gibt es aber auch melodisches Feingefühl. „Break the glass, don’t use the door / this is what the hammer’s for“, lautet diesmal die Erinnerung.
Die Einnahmen aus dem Verkauf der Single spenden Superchunk zwar für eine Bürgerrechtsorganisation, ein großer Pluspunkt des Albums ist aber, dass die Songs sonst kaum explizit in einem tagesaktuellen Sinne werden. Der US-Präsident wird nirgends genannt, auch sonst wird hier eher eine Einstellung besungen als ein politisches Manifest (oder gar Lösungsvorschläge) verbreitet. Es gilt zunächst, den Frust rauszulassen wie im wilden Lost My Brain oder dem rasanten Cloud Of Hate, in dem die Zeile „I hope you die / scared of all the kids that know the truth” perfekt zum brachialen Sound passt.
Dead Photographers vereint Fuzz, Tempo, Power und Ungestüm und wäre (angesichts des Bandnamens irritierenderweise) auch gut von Supergrass vorstellbar. Bad Choices blickt auf „a lifetime of bad decisions“ zurück, beim hochgradig fokussierten I Got Cut wird niemand, der Garagenrock liebt, Füße oder Nacken (oder beides) still halten können. Die Aufforderung „Fight me!“ im an die Buzzcocks erinnernden All For You klingt verdammt einladend, Black Thread nimmt als Schlusspunkt von What A Time To Be Alive etwas den Fuß vom Gas, wird aber deshalb nicht weniger überzeugend.
Mit Reagan Youth ziehen Superchunk den Hut vor ein paar ihrer Vorfahren, nämlich der gleichnamigen Hardcore-Band aus New York. Die Parallelen zu heute sind unverkennbar („To tell the truth / there was more than one Reagan youth“, heißt es im Text), die Empörung darüber steckt in der Gitarre und noch mehr im Schlagzeug. Erasure zeigt, wie gekonnt das Quartett heavy und zugleich verspielt sein kann. Wir sind anders, wir haben ein Auge auf euch und wir werden nicht locker lassen – so lautet hier die Warnung. Als Mitstreiter steuern in diesem Song Katie Crutchfield (Waxahatchee) und Stephin Merritt (The Magnetic Fields) den Hintergrundgesang bei, weitere Gäste auf What A Time To Be Alive sind Sabrina Ellis (A Giant Dog, Sweet Spirit), Skylar Gudasz und David Bazan.
Die vielleicht größte Leistung des Albums: Superchunk wissen um die Aktualität ihrer Botschaft, erliegen aber nicht der Versuchung, das auf maximal naheliegende Weise für sich zu nutzen. Vielmehr transzendieren diese Lieder die Wut auf Trump, sodass klar wird: Sie richtet sich gegen Establishment, Ungerechtigkeit und die Ignoranz alter weißer Männer insgesamt.