Künstler*in | Sweed | |
EP | Sweedlife | |
Label | Euphorie | |
Erscheinungsjahr | 2022 | |
Bewertung | Foto oben: (C) Fleet Union |
Die Kids in Deutschland begehren nicht auf, suchen nach Sicherheit und mögen Statussymbole. So oder so ähnlich könnte man den aktuellen Forschungsstand zur Mentalität von Millennials und Gen-Z zusammenfassen. Als Beleg findet sich beispielsweise in der aktuellsten Shell-Jugendstudie (sie basiert allerdings auf Befragungen aus 2019, also noch vor den möglicherweise gravierenden Veränderungen, die Corona mit sich gebracht hat) der Satz, für die Jugendlichen in Deutschland sei „nach wie vor ihre pragmatische Grundorientierung kennzeichnend“.
Niklas Schwedt aus Stuttgart, 23 Jahre alt, ist somit kein bisschen typisch für seine Altersgenoss*innen. Nach Schule und Ausbildung hatte er einen sicheren Job als Vertriebler im Außendienst. Mit seinem Mercedes-Dienstwagen hatte er auch das heiß begehrte Statussymbol. Alles war vorgezeichnet für die weiteren Stationen: eine nette Wohnung, in der man regelmäßig den stabilen Freundeskreis im prosperierenden Ländle bekochen kann. Eine hübsche Partnerin, mit der man genau wie mit den regelmäßigen Sommerurlauben auf Insta hätte prahlen können. Vielleicht irgendwann Familie, mit der man auch die eigenen Eltern endgültig davon überzeugt hätte, auf dem rechten Pfad zu sein. Aber Niklas Schwedt wollte die Rebellion. Er schmiss den Job, produzierte im Sommer 2021 in Eigenregie seine erste EP Sweedside und legt nun mit den fünf Songs auf Sweedlife nach.
Stuck ist das Lied, das die letzte Phase vor seinem Ausbruch beschreibt. „Just give me a mirror / show me what a fool I am“, lauten die erste Zeilen darin. Der Song dazu ist schwungvoll und tanzbar, er will eingängig sein, aber nicht anbiedernd. Weil es etliche mehr als angedeutete Rock-Elemente in Stuck gibt, könnte man vielleicht an The Kooks oder Mando Diao mit etwas mehr Inhalt denken. Das Beste an diesem Lied ist aber, dass Sweed hier zwei Ebenen anspricht. Es geht um den Blick auf die äußeren Lebensumstände, um den dabei beobachteten Stillstand und die sich daraus ableitende Frage: Soll das schon alles gewesen sein? Es geht aber auch um den eigenen Anspruch auf (womöglich ebenfalls nicht allzu rasant voranschreitende) Persönlichkeitsentwicklung – obwohl die hier artikulierte Fähigkeit zur Analyse ja schon einmal ein Indiz dafür sein dürfte, dass da jemand zu Unrecht befürchtet, oberflächlich und unreflektiert zu sein.
Diese Stärke zeigt sich wiederholt auf Sweedlife. So lautet das Thema auch in Face2Face, das eine dahinsiechende Beziehung besingt: Wer bin ich? Was will ich wirklich? Und wer könnte ich sein, als die vielleicht bessere Version von mir? Der Sound zeigt indes, dass Niklas Schwedt bestimmt schonmal etwas von den Arctic Monkeys gehört hat. Now You Want Me ist erstaunlich funky und entpuppt sich inhaltlich als so etwas wie eine englische Version des Die-Ärzte-Klassikers Zu spät. Die Ballade Sleepless vereint etwas Soul mit viel Drama, was in Summe zu ziemlich ausgeprägten Amy-Winehouse-Vibes führt. Sehr kurzweilig und mit viel Punch wird Stupid das Highlight der EP: Auch hier spielt Sweed sehr gekonnt mit ein paar Gitarrenmusik-Topoi (nicht zuletzt dem Leiden an einer On-Off-Beziehung), kombiniert das aber mit sehr viel Individualität.
2023 stehen für den Stuttgarter bereits Auftritte beim Great Escape Festival in Brighton und beim Hamburger Dockville-Festival auf dem Programm. Seine zweite EP zeigt, wie gerechtfertigt die Hoffnung auf den nächsten Karriereschritt hin zum Erfolgslevel von Vorbildern wie Sam Fender, Giant Rooks oder Mighty Oaks ist. Auf jeden Fall unterstreicht Sweedlife: So gut, wie dieser junge Mann jetzt schon als Musiker ist, hätte er im Außendienst wohl niemals werden können.