Künstler | Tamar Aphek | |
Album | All Bets Are Off | |
Label | Kill Rock Stars | |
Erscheinungsjahr | 2021 | |
Bewertung |
Dass Tamar Aphek irgendwann ein Soloalbum machen würde, wie es jetzt in Form von All Bets Are Off vorliegt, hat sich einigermaßen klar abgezeichnet: Zu den Stationen ihrer musikalischen Laufbahn gehören Kinderchor, Klavierstunden und Musikhochschule. Wer dabei akademischen Wohlklang erwartet, wird vom Auftakt dieser morgen erscheinenden Platte allerdings ziemlich umgehauen sein: Ein spektakulärer Beat drängt im Opener Crossbow vorwärts und man ahnt nicht nur wegen des von Ausweglosigkeit handelnden Textes, dass einen am Ziel dieses Songs nicht Gutes erwartet. Das hat eine rhythmische Härte, die man von The Prodigy oder den Chemical Brothers kennt, dazu kommen hier aber eine große Gelassenheit im Gesang und am Schluss ein sehr freigeistiges Gitarrensolo. Das folgende Russian Winter hat ebenfalls eine fast existenzialistische Grundstimmung und lässt wieder eine große Lust auf Provokation und Irritation erkennen.
Die Hinwendung zum intelligenten Lärm ist dem Moment geschuldet, in dem Tamar Aphek den Rock’N’Roll für sich entdeckte. „Ich erinnere mich noch genau an den Tag, als ich meinen ersten, billigen Verstärker und eine schrottige E-Gitarre kaufte. Ich werde mich nie mehr so sehr über ein neues Instrument freuen können. Nichts lässt sich mit dieser Aufregung vergleichen!“ In ihrer israelischen Heimat hat sie dann in den Bands Carusella und Shoshana gespielt sowie ihr eigenes Festival ins Leben gerufen. Mit dem in New York aufgenommenen und selbst produzierten All Bets Are Off gibt es nun ihr Solodebüt.
Ganz verschwunden sind die Einflüsse aus dem Konservatorium allerdings nicht. All Bets Are Off betrachtet die Künstlerin als Konzeptalbum über eine Reise aus der Dunkelheit ins Licht, und das wird nicht nur in den Texten umgesetzt, sondern auch in den Instrumentalparts, in denen sie von Uri Kutner (Bass) und Yuval Garin (Schlagzeug) begleitet wird. „Musikalisch strebte ich einen Wechsel an: Bass, Gitarre und Schlagzeug sind am Anfang noch synchron, bei den späteren Stücken arbeiten der Bass und die Gitarre dann aber gegen den Beat. Das sollte für ein Element von Anspannung und Entspannung sorgen“, sagt Tamar Aphek über die Platte, die sich in ihrer Idealvorstellung „wie eine Achterbahnfahrt anfühlen“ sollte.
Das Resultat ist leider, dass das Album nach dem aufsehenerregenden Start schnell schwächer wird. Show Me Your Pretty Side ist zumindest an der Oberfläche entspannter als die beiden Songs zum Auftakt, das getragene All I Know wird geprägt von einer schweren Orgel und einem Schmerz, der so intensiv ist, dass er ihre Identität infrage stellt: „All I know is that I’m not really me“. Drive vermittelt eine Idee davon, was vielleicht entstanden wäre, wenn The Velvet Underground größere Könner an ihren Instrumenten gewesen wären, dann aber vor lauter Virtuosität den Fokus verloren hätten.
Beim sechsten Stück namens Too Much Information ist dann der Punkt erreicht, den man zu diesem Zeitpunkt schon geahnt hatte: Jazz. Das „Look at you, acting like a madman“, singt Tamar Aphek aus einer sehr coolen Position heraus, aber die Musik findet keine Entsprechung für diese Souveränität und ist auch nicht feurig genug, um den Verrückten zu repräsentieren, über den sie sich hier erhebt. Beautiful Confusion bleibt zunächst reduziert, dann erlaubt es sich doch mehr und mehr Größe, sodass eine interessante Atmosphäre entsteht, die mit dem Songtitel gut zusammengefasst ist. In Nothing Can Surprise Me sind Bass und Schlagzeug auf Tempo aus, dazu kommt dann eine elektrische Gitarre auf den Spuren von Santana, das Ergebnis wirkt allerdings schnell selbstverliebt.
„Ich wollte Ryhthmen in den Rock’N’Roll bringen, die ich dort bisher nicht gehört habe“, erklärt Tamar Aphek den oft bewusst experimentellen Ansatz von All Bets Are Off. „Ich wollte einen Song im Stil von Johnny Cash schreiben, ihn dann aber mit verrücktem Schlagzeug à la Max Roach anreichern oder mit Rhythmen aus Äthiopien. Ich wollte herausfinden, was passiert, wenn ich einen eingängigen Indie-Song auf ein seltsames Reggae-Feeling treffen lasse.“ Leider verpuffen die meisten dieser Kollisionen schnell, erst ganz am Ende bekommt das Album mit As Time Goes By wieder die Kurve. Ihre Stimme passt sehr gut zur tragischen Nonchalance dieser Vorlage aus dem Jahr 1931 (die später vor allem durch den Einsatz in Casblanca bekannt wurde), die wichtigsten Zutaten für das Arrangement sind eine Schrammelgitarre und digitale Streicher. Diese Elemente sorgen für eine Coverversion mit Attributen, die man diesem Album auch insgesamt attestieren kann: ambitioniert und überraschend.