Künstler | The Boys You Know | |
Album | Two Lines That Never Touch | |
Label | Wohnzimmer Records | |
Erscheinungsjahr | 2018 | |
Bewertung |
Handgestoppte 0,6 Sekunden dauert es, bis auf diesem Album der Gesang einsetzt. Dieser Schnellstart ist kein Zufall, denn Thomas Hangweyrer, Frontmann und Texter bei The Boys You Know, hat etwas zu sagen. Das gilt im Auftaktsong Already Dead, aber auch überhaupt auf dem vierten Album seiner Band. „I’m not scared of going / I’m not scared of going fast“, heißt eine der ersten Zeilen, und die Bedeutung dahinter sieht der Sänger als sinnbildlich für Two Lines That Never Touch insgesamt: „Wer aufs Gas steigt, kann leichter draufgehn. Wer aber aus Angst davor einfach stehen bleibt, lebt auch nicht. Wir fürchten uns so vor dem, was passieren könnte, wenn wir etwas versuchen, dass wir den Versuch unterlassen. Das ist der Krebs, der in uns wuchert“, sagt er.
Die Musik dazu hat nicht unbedingt Härte, aber Schwung, und auch das ist bereits ein wichtiger Fingerzeig für die am Freitag erscheinende Platte. Verband man die Österreicher bisher mit durchaus kernigem 90s-Alternative-Rock etwa im Stile von Dinosaur Jr. und den Pixies (mit denen sie jeweils schon auf Tour waren), nennen sie als Referenzen diesmal auch Acts wie Neil Young, Bon Iver, David Bowie und Beirut. Das bedeutet: Two Lines That Never Touch, das innerhalb von zwei Jahren auf Santorin und in Barcelona geschrieben wurde, ist softer, melancholischer, feinfühliger. Wer will, darf vielleicht auch Emo dazu sagen.
Das passt wunderbar zur Verletzlichkeit in der Stimme von Thomas Hangweyrer, ebenso wie zum DIY-Anspruch der 2012 gegründeten Band. Es passt aber vor allem auch zu den Themen der zehn Lieder. You And Your Arcade Fire erweist sich als wehmütige Erinnerung an eine Zeit in einem anderen Land, als noch galt: “All the consequences / they were never real.” Fast wie ein Demo klingt Barcelona, in dem der Sänger – wohl nicht ganz ohne Bedauern – bekennt, er habe dort sein Herz gelassen.
Eine wahrscheinlich ebenfalls unglückliche Liebe wird in Hannah besungen, dem ersten absolut perfekten Moment der Platte. „When Hannah walks, she never walks back“, heißt es über die Titelheldin, etwas früher (und noch schöner) auch: „She don’t do common sense.“ Das ist mindestens so bittersüß, warm, verwundet und hoffnungsvoll wie die Großtaten von Nada Surf. Ein Highlight in ähnlicher Kategorie wird The First. “You thought your life was endless”, singt Hangweyrer über einen Gedanken, der sich offensichtlich als falsch erwiesen hat. Das Lied wird zugleich eine Reflexion als auch ein Triumph über den Schmerz eines Verlustes, auch über die Überraschung, wenn dieser Verlust zu einem Zeitpunkt kommt, den man nie erwartet hätte, und in einer Reihenfolge, die man nur als unnatürliche, geradezu empörende Kränkung empfinden kann.
In Sant Marti hat Paenda ihren promintesten Auftritt, die auch in anderen Liedern von Two Lines That Never Touch gemeinsam mit Carl Otter, RIAN und Telquist im Chor singt. Das Lied wird noch etwas zurückhaltender als der Rest des Albums, bis es am Ende mit eben diesem Chor doch erhebliche Kraft und Entschlossenheit entwickelt. A Song For A Failure ist ein gutes Beispiel für die neuen Klangkoordinaten bei The Boys You Know: Es gibt einen schönen, entspannten Groove, etwa im Stile der Shins, später sogar Bläser, Harmoniegesang und, vielleicht als Reminiszenz an den früheren Sound, ein erstaunlich feuriges Gitarrensolo. Avery zeigt diesen Effekt auch: Die Atmosphäre kommt nicht ohne Betrübnis und Slacker-Attitüde aus (immerhin geht es im Text unter anderem um das Prokrastinieren), aber das Lied hat Punch, Tempo und ebenfalls wieder etwas Gift in der Gitarre.
“Is there any shame in being lazy?”, fragt Hangweyrer in Hide And Seek. Die Antwort scheint er längst gefunden zu haben, und sie heißt nicht Nein. Künstlerisch kann bei The Boys You Know auf Two Lines That Never Touch von Faulheit, Stillstand oder gar Monotonie freilich keine Rede sein. Im Gegenteil: Wie gut, tiefgründig und einnehmend diese Platte ist, zeigt ein Lied wie Another Year: Er übe noch immer sein Fred-Savage-Lächeln, singt Hangweyrer darin. Das ist der Schauspieler, der den kleinen Jungen namens Kevin Arnold aus Wunderbare Jahre spielte, und genauso traumhaft, unschuldig, verschmitzt, Großes erwartend und doch ein bisschen unsicher seiend, ob die Welt nicht doch ein Kackhaufen ist, klingt diese wunderbare Platte.