The Fratellis Here We Stand

The Fratellis – „Costello Music“

Künstler*in The Fratellis

The Fratellis Costello Music Review Kritik
Altmodische Zutaten, hoher Spaßfaktor: So klingt „Costello Music“.
Album Costello Music
Label Fallout Records
Erscheinungsjahr 2006
Bewertung

Vier Dinge waren besonders erstaunlich, als The Fratellis im September 2006 ihr erstes Album veröffentlichten. Erstens: Wie enorm schnell dieses Trio aus Glasgow, selbst für Hype-affine britische Verhältnisse, durchgestartet ist. Schon nach ein paar Konzerten hatten Sänger Jon, Drummer Mince und Bassist Barry einen Vertrag mit einem Major-Label in der Tasche. Die zahlungskräftige Plattenfirma schickte die Band nach Los Angeles, wo Costello Music mit Star-Produzent Tony Hoffer (Beck) aufgenommen wurde. Das Werk wurde enorm erfolgreich, erreichte Platz 2 in den UK-Charts und hielt sich dort 83 Wochen lang. Genauso gefeiert wurden die Konzerte der Fratellis, ob bei Festivals oder als Headliner der NME-Tour.

Zweitens ist kaum zu fassen, wie wenig die drei Musiker dabei wie Newcomer wirkten. Obwohl sie bei Veröffentlichung ihres Debüts erst seit anderthalb Jahren zusammen spielten, kommen sie wie eine verschworene Gang rüber und beweisen zudem – etwa mit der Rasanz und Wucht eines Songs wie Creepin‘ Up The Backstairs – dass sie souveräne, versierte Könner sind. Genau deshalb wirkte ihr sehr steiler Aufstieg auch nicht wie das Ergebnis von Marketing und Inszenierung. „They look like they sweat rock’n’roll“, hat der New Musical Express damals über sie geschrieben und anerkannt: „Sie sind von einer echten Liebe zu dieser Musik und ihrer Geschichte beseelt und wollen unbedingt ein Teil davon sein.“

Damit zeigt sich drittens, wie wenig sie damals in die britische Musikszene passten. Acht Monate zuvor hatten die Arctic Monkeys ihr erstes Album voller intelligent-poetischer Rocksongs vorgelegt, New Rave stand noch in voller Blüte, wegen der Herkunft aus Glasgow hatte man zunächst auch versucht, eine Nähe der Fratellis zu Art-Rock à la Franz Ferdinand herzustellen. Hört man Costello Music heute, wirkt das beinahe absurd. Man kann sich kaum ein Album vorstellen, das weniger prätentiös und mehr Rock’N’Roll ist. Nichts will hier clever sein, aber alles soll Spaß machen. „Musically, they’re gloriously straightforward“, hat der NME dann auch attestiert, und die deutsche Ausgabe des Rolling Stone erkannte hier ebenso zutreffend „zwischen Bolan-Glam und Libertines-Rotz changierende Lieder mit viel Kraft und wenig Erklärungsbedarf“.

Das wurde gestützt von der herrlich unaufgeregten Art der Band, die zwar Lust aufs Fabulieren in Interviews hatte (sie behaupteten manchmal, ihr Bandname sei dem Steven-Spielberg-Film The Goonies entlehnt, oder sie hätten früher alle beim Zirkus gearbeitet und sich dort kennengelernt), aber kein Interesse an Vereinnahmung oder Zugehörigkeit zu einer Szene. „Das waren halt die Songs, die wir zu dem Zeitpunkt hatten. Wir haben sie kurz vor den Aufnahmen geschrieben. Ein paar Wochen später, und wir hätten womöglich eine ganz andere Platte gemacht“, sagte Jon damals über die 13 Stücke dieser Platte, und fügte an: „Wir stehen nicht für einen bestimmten Stil, wir haben auch keine Richtung. Wir machen halt, was gerade so kommt.“

Solche Nonchalance klingt beinahe unambitioniert und lässt die mitreißende Energie dieser Platte noch ein wenig schockierender wirken. Denn das ist die vierte Überraschung, die The Fratellis im Gepäck haben: Costello Music ist sagenhaft gut, „eine Art Reader’s Digest des britisch geprägten Gitarrenrock“ (Rolling Stone) und „die Art von unerlaubtem Spaß, die nur Gitarre, Bass und Schlagzeug erzeugen können“ (NME). Praktisch jeder Song ist ein Hit, und die Eingängigkeit ist dabei meist so ausgeprägt, dass man nicht nur die Melodien, sondern auch gleich die Gitarrenriffs mitsingen möchte.

Henrietta eröffnet das Album und zeigt vom ersten Takt an eine Entschlossenheit, wie man sie auf einem Debüt erhoffen darf, ohne dass der Song dabei eindimensional wäre: Schon nach ein paar Sekunden sind die Bläser der erste Hinweis darauf, der Refrain wird dann praktisch Punk, bevor das Lied kurz vor dem Ende nichts weniger als komplett durchgeknallt klingt. Das folgende Flathead kombiniert Chor und Krawall, zugleich die Unberechenbarkeit der Libertines mit der schamlosen „Badadab“-Eingängigkeit der Kaiser Chiefs. Auch hier sollte man indes nicht den Fehler machen, die Fratellis für plump zu halten: Das Gitarrenriff ist Proto-Country, das Gitarrensolo am Ende nahe an Jazz.

Whistle For The Choir täuscht dann mit seinem Schunkel-Rhythmus und später mit dem jovialen Pfeifen ein bisschen Gemütlichkeit vor, aber der Text handelt von Rausch, Wahnsinn und Begierde, und dieses Gefühl von schmutzigen Fingernägeln und blutiger Nase kann man bei genauer Betrachtung durchaus heraushören. Später wirkt Doginabag wie zusammengeschustert aus allem, was man morgens um 6 vor einem Pub findet: Suff, Geilheit, Erniedrigung und das Aufbegehren angesichts des Gefühls, dass die Welt einem mehr schuldet als all das. Ohnehin liebt es diese Band, ihre Songs irgendwo in der Halbwelt anzusiedeln, oder noch lieber in einem Märchenland. „Die Fratellis sind ein Mythos, und wir mögen Mythen. Das wirkliche Leben ist langweilig für mich. Es gibt so viel mehr, worüber man schreiben kann, wenn man es sich ausdenkt“, sagt Jon dazu.

Vince The Loveable Stoner erzählt entsprechend nicht nur von den Gestalten der Nacht (wie in diesem Fall von dem Typ, in dessen Augen seit 16 Tagen keine Pupillen mehr zu erkennen sind, oder der Frau, die sich für Geld auszieht), sondern feiert sie. Auch der größte Hit dieser Platte spielt im Zwielicht. Die Hymne Chelsea Dagger vereint Aggressivität mit einer arschcoolen „Scheiß drauf“-Attitüde und am Ende einer großen Einladung zur Verbrüderung. Dabei besingt der Song, ziemlich untypisch für britische Lads, eine Person, deren Geschlecht unklar zu sein scheint („Well you must be a girl, with shoes like that“), die aber in jedem Fall attraktiv wirkt. Der Song sei „so unglaublich bouncy, dass er Gefahr läuft, seinen Kopf durch den Deckenventilator zu stecken. Wenn du dich danach nicht nach einem Pint und einer Schlägerei sehnst, bist du wahrscheinlich innerlich tot“, hat der NME die Wirkung dieser 215 Sekunden auf den Punkt gebracht. Auch For The Girl überschlägt sich fast vor lauter Tempo und Übermut, ebenso platzt Baby Fratelli beinahe vor Ausgelassenheit – insbesondere der Refrain ist wie gemacht dafür, dass sich eine Gruppe verschwitzter, bierseliger Kumpels in einem Konzert im Arm liegen kann.

Everybody Knows You Cried Last Night klingt wie ein Beat-Song aus den Sechzigern, nicht nur in seiner Ästhetik, sondern auch in seiner vermeintlichen Unschuld – bis auf die vereinzelten Passagen des Songs, die für so eine Assoziation viel zu heavy sind. Got Ma Nuts From A Hippy ist so altmodisch wie die Musik von Jet oder The Enemy, die man hier gut heraushören kann, aber nichtsdestotrotz sehr wirkungsvoll. Ole Black ’n‘ Blue Eyes wird auch in seinem überraschenden akustischen Gewand keineswegs kraftlos: Gerade durch die reduzierte Lautstärke und dieses old-timey Feeling wird hier deutlich, wie gut, lässig und einfallsreich dieser Song ist. Cuntry Boys & City Girls („And oh you know we country boys / are only after sex and noise“) scheint zum Ende der Platte noch einmal in allen Kategorien eine Schippe drauflegen zu wollen, wird turbulent und feuchtfröhlich, aber auch das einzige Lied des Albums, dem dabei der Esprit fehlt.

Das Album ist auch sonst niemals innovativ und auch nicht tiefgründig („Oft bleibt bei aller Reduktion des Britpop auf das Wesentliche nur noch die pure Banalität übrig“, rümpfte der Rolling Stone die Nase), aber The Fratellis schaffen es auf Costello Music, aus den seit Jahrzehnten bekannten Zutaten etwas zu machen, das glaubwürdig, packend und vor allem lebendig klingt.

Nicht innovativ, aber wirkungsvoll: Rockmusik und leichtbekleidete Frauen.

Website der Fratellis.

Michael Kraft

Michael Kraft ist Diplom-Journalist und lebt in Leipzig. Auf shitesite.de schreibt er seit 1999 als Hobby über Musik, Filme, Bücher und ein paar andere Dinge, die ihn (und vielleicht auch den Rest der Welt) interessieren.

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