Künstler*in | The Fratellis | |
Album | Here We Stand | |
Label | Island | |
Erscheinungsjahr | 2008 | |
Bewertung | Foto oben: Universal Music / Scarlett Page |
Here We Stand ist ein widersprüchliches Album. Jon (Gesang/Gitarre/Piano), Barry (Bass) und Mince (Schlagzeug) Fratelli wollten sich nach dem Erfolg des 2006 veröffentlichten Debüts Costello Music (mehr als eine Million verkaufter Exemplare, Brit Award als Best British Breakthrough Act) offensichtlich einerseits von ihrem Erstlingswerk distanzieren („Wir wollten so weit wie möglich weg von diesem Indie-Band-Geschepper. Here We Stand klingt völlig anders. Es klingt wie eine richtig gute Rock´n´Roll-Scheibe“, verkündete der Sänger vorab), andererseits aber auch nicht klar mit ihrem bisherigen Sound brechen. Sie wollten nach eigenem Bekunden härter sein als zwei Jahre zuvor, setzten dafür aber ausgerechnet das Klavier als besonders prominentes Instrument ein. Ihr Frontmann prahlte damit, wie gerne er Geschichten erfindet und wie erfolgreich er den Medien in Interviews Lügen auftischt, zugleich zeigte er sich stolz über die vermeintlich authentischen Texte über das vermeintlich draufgängerische Leben in den nicht so glamourösen Ecken von Glasgow.
Für diesen verwirrenden Eindruck lassen sich leicht zwei Ursachen identifizieren. Erstens muss das Trio offensichtlich noch den unverhofften Ruhm verdauen. Sie wissen, dass sie sich wie Glückspilze fühlen dürfen, sie wollen keine Fans verprellen, aber mit dem Nachfolger auch beweisen, dass sie kein One Trick Pony und schon gar keine Scharlatane sind. Zweitens haben The Fratellis diesmal auf einen Produzenten verzichtet, der die Fäden hätte in der Hand halten oder die klangliche Richtung klarer hätte steuern können. War das Debüt noch unter Regie von Tony Hoffer (Beck, Air) entstanden, ließen sie sich diesmal ein eigenes Studio einrichten, um darin selbst zu produzieren. „Wir wählten den harten Weg, ohne das Sicherheitsnetz eines erprobten Studios und Produzenten. Das hätte auch schief gehen können“, sagt Jon Fratelli dazu.
Man möchte ihm entgegnen: Es geht auf Here We Stand auch manchmal wirklich schief. Schon der Auftakt My Friend John hat zwar viel Energie, aber auch zu viele Ideen (wie etwa spanische Einflüsse), die zudem nicht immer gut zueinander passen und kaum harmonisch verbunden werden. Stragglers Moon soll wohl ihre Version einer düsteren Ballade sein, ist aber zu wenig subtil, insgesamt viel zu lang und auch noch etwas selbstverliebt. Jesus Stole My Baby will offensichtlich besonders edgy sein, vielleicht sogar in einer Liga mit Nirvana spielen, aber diese Idee bringt erst bloß einen plumpen Boogie zustande und versinkt dann völlig im Chaos. Tell Me A Lie beweist, dass ihnen Großspurigkeit immer dann nicht gut steht, wenn das entscheidende Quäntchen Finesse fehlt.
Ganz oft scheint die Band fast verkrampft zu versuchen, innerhalb eines Liedes auf keinen Fall nur auf ein starkes Riff und einen griffigen Groove zu setzen – es könnte ihnen ja jemand vorwerfen, sie hätten einfach noch einmal Chelsea Dagger gemacht. Dabei sind sie mit straightem, kraftvollen Rock weiterhin besonders gut wie etwa in Shameless, dem in den Fußstapfen von The Who wandelnden Mistress Mabel oder A Heady Tale, das Glam-Rock-Härte mit ein paar Bubblegum-Elementen verbindet, die es durchaus auch bei Slade, The Sweet oder T-Rex schon gab, deren Solid Gold Easy Action die Fratellis kurz vor Erscheinen von Here We Stand noch für den Soundtrack des Action-Comedy-Films Hot Fuzz gecovert hatten.
Auch in anderen Momenten blitzen natürlich die Qualitäten noch durch, die Costello Music so kurzweilig gemacht haben. Auch das zweite Album hat reichlich schöne Melodien sowie eine eindrucksvolle Dosis Selbstvertrauen und Überzeugungskraft wie das rundum überzeugende Babydoll oder der Schlusspunkt Milk And Money, der auch ihr Talent für Atmosphäre und Dramaturgie unterstreicht. Nicht zuletzt sind auch diese zwölf Lieder wieder sehr vielfältig.
Look Out Sunshine! trifft die genaue Mitte zwischen der rotzigen Lässigkeit der Libertines und der verspielten Niedlichkeit der Kooks, Acid Jazz Singer kombiniert Punch und Esprit sowie obendrein eine ausgelassene Atmosphäre, eine originelle Melodie und wieder eine dieser feuchtfröhlichen Geschichten aus dem Nachtleben. Das beste Lied der Platte ist Lupe Brown, mit dem The Fratellis dann doch genau das schaffen, was wohl jede Band nach einem erfolgreichen Debüt anstrebt: Es ist eine hörbare Weiterentwicklung, ohne dass sie dabei ihren Charakter verlieren.