Künstler | The Get Up Kids | |
Album | Problems | |
Label | Big Scary Monsters | |
Erscheinungsjahr | 2019 | |
Bewertung |
„Ich bin jetzt 41 Jahre alt und könnte nie wieder einen Song schreiben, der so klingt, als sei ich gerade erst 19 geworden. Ich meine diese ‚Ich vermisse meine Freundin‘-Songs. Es ist uns sehr wichtig, über Dinge zu schreiben, die uns aktuell beschäftigen“, sagt Jim Suptic, einer der beiden Sänger bei den Get Up Kids. Es gibt einen Moment auf dem morgen erscheinenden sechsten Album seiner Band, der das wunderbar illustriert. Dieser Moment heißt Salina und stellt in einem herrlich romantischen Refrain die Frage: Warum zur Hölle werde ich eigentlich so sentimental und fange schon wieder an, einen Song über dich zu schreiben, wenn du doch bloß zwei Stunden entfernt bist?
Das Lied ist zugleich ein tolles Beispiel dafür, was das Quintett aus Kansas auf Problems ausmacht: Sie können Sturm und Drang wie auf dem Debütalbum aus dem Jahr 1997, sie haben aber mehr als genug Erfahrungen gesammelt, um das auch reflektieren zu können, sich in Gelassenheit zu üben oder über die eigene Eitelkeit, die im Emo ein so wichtiges Element ist, auch mal lächeln zu können. Wie schon die EP Kicker im vergangenen Jahr gezeigt hat, haben Matt Pryor (Gesang, Gitarre), Jim Suptic (Gitarre, Gesang), Rob Pope (Bass), Ryan Pope (Schlagzeug) und James Dewees (Keyboards) diese von ihnen selbst maßgeblich mitgeprägte Schublade längst hinter sich gelassen.
Der beste Beleg dafür ist Fairweather Friends. Der Song beschwört den wahren Zusammenhalt im Gegensatz zu oberflächlichen Bekanntschaften, und unverkennbar ist das auch auf die Band selbst bezogen. Er zeigt zudem: Alle Diskussionen über Punk-Ursprünge, Pop-Affinität, Americana-Annäherung oder Emo-Zutaten sind bei den Get Up Kids längst obsolet. Das hier ist Rockmusik, und zwar packende. Man kann diese Formulierung auch auf ein paar weitere Stücke anwenden. The Advocate ist eine Hymne auf Empathie, und zwar eine sehr überzeugende. Der Album-Abschluss Your Ghost Is Gone ist die einzig echte Ballade, und zwar eine herzzerreißende, gipfelnd in den letzten Zeilen „I can’t throw away / the last piece of you / because if I do / you’ll really be gone.“
Diese Verse verweisen auf eine weitere Stärke von Problems. Auf ihrem ersten Album seit acht Jahren klingen die Get Up Kids frisch und kraftvoll, auch durch die Mitwirkung von Produzent Peter Katis (Kurt Vile, The National), der die Aufnahmen in Bridgeport, Connecticut betreut hat. Viel mehr noch klingen sie aber wie eine Band, die etwas zu sagen hat. Dies ist keine Nostalgie-Revue, sondern eine Gruppe von Menschen, die Musik macht, weil das eben ihr Mittel ist, um der Welt zu begegnen und ihre Erfahrungen zu verarbeiten. Der banal wirkende Albumtitel ist deshalb bestens gewählt: Probleme sind erstens das, was uns um- und vorantreibt. Probleme werden zweitens einfacher zu ertragen, wenn man sie gemeinsam angeht.
Welche Effekte diese Herangehensweise bei den Get Up Kids haben kann, zeigt schon die Single Satellite, zugleich der Opener des Albums. Das Lied beginnt akustisch und fast ein bisschen betrübt, mit dem Refrain wachsen dann Feuer, Kraft und Biss. Am Ende hat der Track so viel Entschlossenheit und Unbedingtheit, dass jegliche Frage nach „Warum jetzt ein neues Album?“ oder „Wer braucht diese Band noch?“ bereits pulverisiert wird. Matt Pryor hat auch jenseits der Musik eine überzeugende Antwort darauf. „Ich habe angefangen, über meinen 14-jährigen Sohn zu schreiben, der total introvertiert ist. Nicht ungesellig, aber er bleibt am liebsten für sich. Doch irgendwann habe ich angefangen, über mich selbst zu singen. Darüber, dass ich mich selbst dann noch ängstlich und isoliert fühle, wenn wir eine Show in einem Raum voller Menschen spielen“, sagt er.
Diese sehr erwachsene Selbstreflexion findet sich auf Problems immer wieder, gerne wird dabei auch der direkte Vergleich zwischen früher und heute gezogen. „I used to be outgoing and free / but not today“, heißt es in Now Or Never, zu energischen Drums und einem Refrain, der mit Harmoniegesang, Freude am Hymnischen und einer Prise Melancholie an Fountains Of Wayne denken lässt. Symphony Of Silence offenbart eine ganz ähnliche Perspektive. „I used to be good once / but now I get nervous / I used to be good once / I used to be gorgeous“, heißt es darin. Diese Verse bilden den besten Refrain des Albums und demonstrieren zugleich einen selbstbewussten Umgang mit der schmerzlichen Erkenntnis, nicht mehr jung zu sein. Lou Barlow nimmt eine Zufallsbegegnung mit dem Musikerkollegen als Ausgangspunkt für eine sehr grundsätzliche Reflexion (und als Vorlage für ein Lied, in dem der Bass zeigen darf, was er kann). Der Weltschmerz in Common Ground ist längst nicht mehr pubertär, ein Hauch von Optimismus in der Strophe von Brakelines trifft auf einen Refrain mit den Zeilen „Terrified / keeps me up all night.“
Für Waking Up Alone darf der Synthesizer in den Vordergrund, allerdings wirkt das Lied trotz vieler guter Ideen insgesamt etwas unrund und bemüht und wird so zum einzigen Schwachpunkt von Problems. Deutlich überzeugender wird The Problem Is Me, dank eines hämmernden Klaviers, eines ungewöhnlichen Rhythmus‘ in der Strophe und eines Refrains, in dem aus der Frage „Could it be? Maybe the problem is me?“ auch die Überzeugung spricht: Na wenn schon, scheiß drauf, ich bin so und lasse mir nicht einreden, dass das ein Defizit ist.
Der Blick von Matt Pryor auf seine Band bestätigt dieses neue Selbstvertrauen der Get Up Kids, das durch Problems mehr als gerechtfertigt wird: „Der Grund, warum wir angefangen haben, neue Songs zu schreiben, ist zum großen Teil darauf zurückzuführen, dass es gerade Dinge in unserem Leben gibt, die uns beschäftigen. Wir haben etwas Neues zu sagen. Und trotzdem sind wir immer noch eng mit unseren Wurzeln verbunden – die Tatsache, dass wir das hier alles noch immer machen dürfen, ist für uns die größte Freude.“