Um es vorweg zu nehmen: Um ein Haar wäre das Spannendste an diesem Konzert von Gossip das Publikum gewesen.
In der Arena in Leipzig tummelt sich wirklich ein illustrer Mix: Eine stattliche Fraktion der Gay Community, die mit Hercules & Love Affair eine perfekte Vorgruppe geboten bekommt (die Männer tragen Frauenkleider, die Sängerin ein riesiges T-Shirt und Basecap, dazu gibt es feinste Dance-Tracks, die freilich in einem Club viel besser funktionieren würden und sofort glauben lassen, dass Hercules And Love Affair gerade eine Menge Spaß als Vorgruppe haben, wie mir Andrew Butler im Interview verrät) und von Beth Ditto später per Ansage einen Extra-Gruß.
Dazu kommen ein paar meist nicht mehr ganz junge Frauen, oft in Gruppen, die The Gossip wahrscheinlich eher aus der Glamour kennen als aus den Hitparaden. Und obendrauf eine ganze Reihe Leute, die offensichtlich keinen Schimmer davon haben, dass diese Band sich für die Rechte von Lesben und Schwulen einsetzt und gerne einmal bei einer Fashion Show spielt. Für sie sind The Gossip einfach nur die Band, die mit Standing In The Way Of Control oder Heavy Cross monströse Hits gemacht hat, die sie aus dem Radio kennen. Diese Fans wären womöglich auch zu Kid Rock gekommen, oder zu Stiltskin.
Die Frage, ob Gossip in meinetwegen 20 Jahren eher als Eintagsfliege gelten werden oder als veritables, nachhaltiges kulturelles Phänomen, lässt sich auch an diesem Abend in Leipzig nur teilweise beantworten. Klar wird nur: Sollten sie es wirklich schaffen, den Ruf des One-Trick-Pony hinter sich zu lassen, dann liegt das voll und ganz und ausschließlich an Beth Ditto.
Nach der durchaus aufmunternden Show von Hercules & Love Affair kommt sie als erste auf die Bühne. Das ist nicht nur ungewöhnlich, denn normalerweise gönnt sich der Star der Show gerne einen nachträglichen Extra-Applaus, nachdem zuvor das Fußvolk für den Start gesorgt hat. Es ist auch ein Signal für den ganzen Abend in der Arena Leipzig: Alle Augen auf mich!
Vertical Rhythm sorgt für einen imposanten Auftakt. Dann folgt, zur allgemeinen Belustigung, ein fetter Rülpser von Beth Ditto, und dann – zur allgemeinen Überraschung, denn mutigerweise schon als zweites Stück – Standing In The Way Of Control, das mit einem Urschrei von Beth Ditto beginnt, der keinen Zweifel mehr daran lässt, wie gerne diese Frau ein Star sein möchte.
Das Problem ist nur: Hinsichtlich der Spannung haben Gossip danach nicht mehr viel zu bieten. Nicht nur, dass sich ein paar Verspieler einschleichen. Die meisten Songs haben auch den immergleichen Beat und eine sehr überschaubare Anzahl von Akkorden. Das ist natürlich im Prinzip nicht schlimm bei einer Band, die schließlich aus dem Untergrund und vom Garagenrock kommt. Es gibt reichlich Bands, die ohne Komplexität oder Virtuosität einen Klassiker nach dem anderen geschaffen haben. Bei ihnen war die Kunst aber stets, dass man ihnen ihre Beschränktheit nicht angemerkt hat. Bei Gossip ist allerdings live offensichtlich, wie schnell sie an die Grenzen der eigenen Möglichkeiten stoßen.
Das Problem ist hier nicht Minimalismus. Das Problem ist, dass fast alle ihre Songs nach derselben Formel aufgebaut sind – und das langweilt auf Dauer. Es führt zudem noch einmal vor Augen: Die kulturelle Relevanz, die diese Band momentan hat, steht in keinem Verhältnis zu den bescheidenen Chart-Erfolgen von Gossip. Eine Top10-Single? Gibt es nicht. Das aktuelle Album? Kam auf Platz 164 in den US-Charts, in Deutschland immerhin auf Platz 10.
Wenn Gitarrist Bruce Paine demnächst ein Soloalbum veröffentlichen wird, sollte sich jedenfalls kein Mensch wundern: Bei Gossip leidet der Mann an chronischer Unterbeschäftigung. Bezeichnenderweise ist es somit eine Coverversionen, die dann endlich wieder für etwas Abwechslung sorgt. Tina Turners What’s Love Got To Do With It bekommt eine Riesenportion Pfeffer verpasst und wird zurecht frenetisch gefeiert.
Und schließlich gibt es ja auch noch Beth Ditto, an diesem Abend in Leipzig in einem kurzen, schwarzen Glitzerkleidchen. Es ist nicht allzu gemein, wenn man sagt: Eine Band mit so vielen durchschnittlichen Songs braucht schon eine so überdurchschnittliche Sängerin. Gegen Ende des Konzerts in der Arena bekommt ihre Stimme zwar ein paar Gebrauchsspuren, aber mit jedem Song macht Beth Ditto deutlich, wie gut, gerne und gewaltig sie singt.
Höhepunkt in dieser Hinsicht der Rausschmeißer. Nachdem es in der Zugabe unter anderem Heavy Cross gegeben hatte, singt Beth Ditto acappella Whitney Houstons I Will Always Love You. Ein Traum.
Noch besser ist sie allerdings als Frontfrau. Beth Ditto ist schlicht eine Naturgewalt. Sie trinkt, sie flucht, sie flirtet – spätestens an diesem Abend, für diese Frau, müsste man das Wort „Rampensau“ erfinden (es gibt in der Arena übrigens eine Rampe extra für sie, auf der sie wie auf einem Catwalk immer wieder die Nähe zum Publikum sucht).
Den Vogel schießt Beth Ditto allerdings ab, als sie die Bühne (und die Rampe) verlässt, sich mitten ins Publikum wagt und ihren fulminanten Körper dann sogar auf die Tribüne hievt. Es ist ein herrlich spontaner, herrlich schräger Moment. (Ja, als sie auf die Tribüne klettert, kann man unter ihr Kleid gucken. Und ja, die schwarze Radlerhose, die sie darunter trägt, ist im Schritt bereits gerissen. Und ja: Man wünscht sich, man hätte das lieber nicht gesehen.) Es ist aber auch ein Moment, der ein bisschen das Problem dieser Band deutlich macht: Die Fans, die auf der Tribüne in der Leipziger Arena um sie herum stehen, können ihr Glück kaum fassen. Sie werden morgen erzählen: Ich war ganz nah dran an Beth Ditto. Kein Mensch wird aber sagen: Der siebte Song von Gossip, das war wirklich stark.
Gossip spielen Heavy Cross, live in der Arena Leipzig:
httpv://www.youtube.com/watch?v=ArAPNPRUPdo
wer the gossip nicht mag sollte nicht auf die konzerte gehen. ganz einfach. ist bei jedem act so. die band runterzumachen ist geschmackslos. tzzz