Luke Pritchard hat gerade die Ansage zu No Pressure beendet, das beim Konzert in Leipzig die erste Zugabe bildet, da schickt er noch diesen Satz hinterher: „Oh, and fuck Brexit!“ Es ist nicht nur eine umjubelte, sondern in diesem Moment auch erstaunliche Aussage. Schließlich haben sich einige britische Musikgrößen zuletzt pro Brexit geäußert, etwa Pete Doherty („The best thing in the world for music“) oder Roger Daltrey („Britische Bands werden auch danach in der EU spielen können, genau wie zuvor“).
Sie verwechseln natürlich britische Tradition mit Überlegenheit und britische Identität mit der vermeintlichen Notwendigkeit einer Abschottung. Zugrunde liegt ihren ziemlich dummen Ansichten aber das Bewusstsein, eine sehr spezielle Kultur zu haben, auf die man gerade in musikalischer Hinsicht besonders stolz sein darf. Die Show der Kooks im Haus Auensee ist ein Beleg dafür. Nicht nur, weil die Band selbst aus Brighton kommt, sondern weil an diesem Abend in Leipzig immer wieder Lieder erklingen, die wie eine Leistungsschau der britischen Musikgeschichte wirken. In den Liedern der Kooks ist sehr viel davon versammelt, was diese Insel jemals an Melodie, Rhythmus und Gemeinschaftsgefühl hervorgebracht hat.
Do You Wanna beispielsweise könnte am Anfang von Billy Idol stammen, erinnert zwischendrin in einer längeren instrumentalen Passage an die Dire Straits, um sich dann am Ende zu einer Led-Zeppelin-artigen Härte aufzuschwingen. Kurz zuvor hat Pritchard für Around Town, das live viel besser funktioniert als auf Platte, seinen besten Mick Jagger herausgeholt, ungefähr zur Halbzeit des Konzerts baut er in Westside ein kurzes Zitat von Rod Stewarts Do Ya Think I’m Sexy? ein.
Auch Jackie Big Tits, das The Kooks nach längerer Abwesenheit im Live-Set ausgerechnet in #MeToo-Zeiten wieder ins Programm genommen haben, braucht die Selbstverständlichkeit einer Band aus diesem Land, das Pop zur gesellschaftlichen Kraft gemacht hat und in dem Pop noch immer eine Plattform für Geschichten aus dem Alltag ist. Man stelle sich vor, wie peinlich ein Lied über eine Frau mit großen Brüsten (nichts anderes ist es) sonst wäre. Gleiches gilt für Pamela (Lieder mit Frauennamen sind immer gefährlich nahe an Kitsch) oder See Me Now, das Luke Pritchard seinem verstorbenen Vater gewidmet hat und in Leipzig ganz alleine am Klavier spielt.
Die Bandbreite der Show reicht ziemlich genau von der funky Tanzwut etwa von Jamiroquai bis zur cleveren Aggressivität der Arctic Monkeys, beides natürlich ebenfalls britische Acts. Erfreulicherweise scheinen The Kooks dabei nicht nur mit der Pop-Historie ihrer Heimat im Reinen, sondern auch mit ihrer eigenen Bandgeschichte. „Yeah“, ist der erste Ton, den Luke Pritchard auf der Bühne sagt, „Whoooh“, antwortet das Leipziger Publikum pflichtgemäß, und dann erklingen überraschenderweise zunächst etliche Klassiker von den frühen Alben. Always Where I Need To Be eröffnet die Show, beim folgenden Sofa Song zieht der Sänger seine Jacke aus, danach greift er für Eddie‘s Gun erstmals zur Gitarre, anschließend gibt es das wundervolle She Moves In Her Own Way und Sweet Emotion. Erst der sechste Song, Four Leaf Clover, stammt vom aktuellen Album Let’s Go Sunshine.
Kurz darauf gibt es vor Ooh La die zweite wichtige Ansage von Luke Pritchard. „I’m incredibly drunk“, sagt er da. Kurz danach schiebt er den Hinweis nach, er scherze natürlich nur, und tatsächlich kann man bei aller Ausgelassenheit kaum glauben, dass er womöglich nicht Herr seiner Sinne ist. Die Show ist extrem professionell und über eine Dauer von satten zwei Stunden sehr abwechslungsreich. Bad Habit wird mit einem extra verzerrten Gesang besonders heavy, mit No Longer gibt es einen Song, der von Gitarrist Hugh Harris gesungen wird (der das Lied auch geschrieben hat), das großartige Seaside wird zum größten Mitsing-Moment im Haus Auensee, zudem gehen dabei nach und nach immer mehr Feuerzeuge im Saal an, wie die Sterne am Himmel beim Anbruch der Nacht.
Das ist insgesamt ein großes Vergnügen und sogar die Tatsache, dass die Show nicht ganz ausverkauft ist, erweist sich als Pluspunkt: Dadurch bleibt genau ausreichend viel Platz für die Hüften zum Schwingen, was schnell auch die bevorzugte Bewegung im Saal wird. Die Fans in Leipzig sind sich wohl einig: Es wäre ein riesiger Verlust, wenn solche Briten sich künftig auf ihrer Insel einigeln.